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Misstrauet der Idylle! So makellos wie hier vor kitschig blauem Himmel präsentierte sich die Demokratie vor den Augen von Pallas Athene, der Gralshüterin des Parlamentarismus, nicht immer in den letzten 100 Jahren. Wehret den Anfängen!

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"Wir hatten alle alles verloren. Wir hatten alle Stand und Rang und Namen, Haus und Geld und Wert verloren, Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. Jeden Morgen, wenn wir erwachten, jede Nacht, wenn wir uns schlafen legten, fluchten wir dem Tod, der uns zu seinem gewaltigen Fest vergeblich gelockt hatte. (...) Wir gewöhnten uns an das Ungewöhnliche. Es war ein hastiges Sich-Gewöhnen. Gleichsam ohne es zu wissen, beeilten wir uns mit der Anpassung, wir liefen geradezu Erscheinungen nach, die wir hassten und verabscheuten", schrieb der große Joseph Roth anno 1938, kurz vor seinem tragischen Tod, in seinem Roman Die Kapuzinergruft über die Dekade nach dem Ersten Weltkrieg, nach 1918, nach dem Ende einer trauten Hegemonie eines reichen und mächtigen Vielvölkerstaates, nach dem Untergang der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn.

"Wir begannen unsern Jammer sogar zu lieben, wie man treue Feinde liebt. Wir vergruben uns geradezu in ihn. Wir waren ihm dankbar, weil er unsere kleinen besonderen persönlichen Kümmernisse verschlang, (...) dem gegenüber zwar kein Trost standhalten konnte, aber auch keine unserer täglichen Sorgen. (...) dass es in der menschlichen Natur gelegen ist, das gewaltige, alles verzehrende Unheil dem besonderen Kummer vorzuziehen."

Hoffnungslos, aber nicht ernst

Die in seiner atmosphärischen Dichte, seiner sprachlichen Klarheit, von politischer Prophetie und gesellschaftlich analytischer Schärfe geprägten Schriften Joseph Roths sind auch abseits der literarischen Qualität ein Dokument der Zeitgeschichte. Luzide wird auch seine wechselnde Sichtweise vom utopischen Republikaner, vom engagierten Sozialdemokraten zum glühenden, paneuropäischen Monarchisten nachvollziehbar. Roth war ein Seismograf, und in seiner Kritik der zynischen Vernunft auch Diagnostiker eines Menschentyps, in dem sich lapidare Geschäftigkeit, grenzenloser Hedonismus und Erfolge mit der Einsicht in die Haltlosigkeit des eigenen Handelns die Waage halten. Die frühen Romane Rechts und Links bzw. Das Spinnennetz, als Fortsetzungsroman in der AZ erschienen, treffen wie sein Spätwerk das diffuse Daseinsgefühl der in den Untergang dilettierenden Menschen der Zwischenkriegszeit in Europa.

Joseph Roth ist nur einer der zahlreichen Autoren, die auch Walter Rauscher in Die verzweifelte Republik zu Wort kommen lässt. Anhand historischer Dokumente, Fotos und literarischer Texte von Zweig, Schnitzler, Horváth, Molnár, Italo Svevo, Karl Kraus et alii sowie journalistischen Treibguts versucht der Historiker, die Kindheitstage der Republik nachzuzeichnen. Schwerpunkt liegt bei sozialen, ökonomischen, gesellschaftspolitischen Aspekten der Existenzkrise.

Ernst, aber nicht hoffnungslos

Einen sehr weiten Bogen spannt Hubert Nowak angesichts des 100-Jahr-Jubiläums der Republik. Ein österreichisches Jahrhundert nennt der als ORF-Journalist bekannte Historiker das Kaleidoskop des kollektiven Gedächtnisses. Er weist auf die markantesten Eckpfeiler und Metamorphosen des Landes hin, nennt Entwicklungen des Wertesystems, der Parteien und weiterer Säulen (wie Sport und Kultur) des demokratischen Zusammenlebens. In der kritischen Betrachtung entwirft er ein Bild bis zur Gegenwart, die aus Fehlern, Verfehlungen und Irrwegen früherer Katastrophen gelernt hat.

Unerwartete Erkenntnisse über eine prägende Figur des österreichischen Kulturlebens birgt Edward Timms kommentierte Schriftensammlung von Karl Kraus: Die Krise der Nachkriegszeit und der Aufstieg des Hakenkreuzes. Kraus' Zeitschrift Die Fackel dient dabei als unentbehrlicher Führer durch die Kulturpolitik dieser Zeit. Seine größten Polemiken werden als "Verteidigung der Republik" analysiert. Zentral seine zwiespältige Allianz mit den Sozialdemokraten sowie seine Konfrontationen mit dem konservativen Kanzler Seipel. Die Legende, Kraus wäre Hitler schweigend begegnet, wird definitiv widerlegt. Schon früh hatte er vor dem Aufstieg der Nazis gewarnt.

Welche Metamorphosen stehen uns bevor?

Nicht nur für Zahlenmystiker interessant: Wendepunkte der Geschichte trugen sich des Öfteren in Jahren mit der Endziffer acht zu. Eine Auswahl trafen acht Autoren unter Ägide von Hannes Androsch, Bernhard Ecker und Heinz Fischer: 1848 Revolution. 1898 Gründung der Wiener Secession. "Der Zeit ihre Kunst. Der Kunst ihre Freiheit", lautet das immerwährende Postulat. 1918 Untergang der Monarchie – gleichsam Geburtsjahr der Demokratie. Auch aus kunsthistorischer Perspektive bleibt 1918 als Jahr großer Verluste in Erinnerung: Mit Klimt, Schiele, Otto Wagner und Kolo Moser starben vier der wichtigsten Künstler.

1948 beschloss die Uno die Deklaration der Menschenrechte. "Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren." Dazu kommen demokratische und gesellschaftliche Gedenkanlässe an 1938 und 1968. 1978 begann die Öffnung Chinas. 2008 barst mit Lehman-Brothers die Blase des globalen Finanzsystems. Und 2018. Droht der Big Bang des Data-Crashs? Implodiert das fragile Konstrukt menschlicher Intelligenz zugunsten künstlicher Algorithmen? Welche Metamorphosen stehen uns bevor? Die Fragen der Zukunft beantwortet übrigens Alexandra Föderl-Schmid, die ehemalige Chefredakteurin des STANDARD.

Bei aller Bewusstseinsbildung und Replik auf festgefahrene Positionen steht eines fest: ohne Vergangenheit kein Heute – und ohne Gegenwart keine Zukunft. (Gregor Auenhammer, 26.1.2018)