Ohne Hoffnung und ohne Verzweiflung schreiben: Der 2016 mit dem H.-C.-Andersen-Preis ausgezeichnete Haruku Murakami vor Andersens Geburtshaus.

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Wien – Wie Karen Blixen bringe auch er jeden Tag ohne Hoffnung und ohne Verzweiflung seine paar Seiten zu Papier, schreibt Haruki Murakami im Essayband Von Beruf Schriftsteller. Um den Stoff, so Murakami weiter, gewissenhaft und ehrlich in Worte zu fassen, brauche es vor allem "konzentrierte Schweigsamkeit, unablässige Ausdauer und ein einigermaßen solide gebautes Bewusstsein".

Letzteres ist dem japanischen Autor, der seit fast vier Jahrzehnten im literarischen Geschäft ist und regelmäßig für den Nobelpreis gehandelt wird, nicht abzusprechen. Wobei er das Publikum von Anfang an polarisierte. Viele sehen in dem 69-Jährigen einen Kultautor, anderen gilt er als einer, der am Fließband Unterhaltungsliteratur produziert.

Leicht zu fassen ist dieser Schriftsteller, der in den USA ebenso erfolgreich ist wie in Japan, Deutschland, Russland oder China, in der Tat nicht. Er gilt als öffentlichkeitsscheu – und hat doch oben genanntes, recht intimes Buch über sein Schreiben vorgelegt. Er ist zurückhaltend, ohne unentschlossen zu wirken, er hält sich vom Literaturbetrieb fern und nutzt, falls notwendig, doch dessen Mechanismen. Etwa als er in den 1990er-Jahren merkte, dass der US-Ableger seines Verlages Kodansha, der ihm den Start überhaupt erst ermöglicht hatte, nicht die notwendige Durchschlagskraft besaß, um ihn auf dem amerikanischen Markt durchzusetzen. Ohne zu zögern wechselte Murakami damals zum renommierten Verlagshaus Knopf (Randomhouse). Allerdings mit "leichten Schuldgefühlen", wie er in Von Beruf Schriftsteller schreibt.

Haarrisse, die sich zu Abgründen weiten

Buch um Buch schreibt Murakami seit seinem literarischen Debüt Wenn der Wind singt (1979) in dem ihm eigenen nüchternen, schnörkellosen Stil. Er ist dabei keiner, der übertriebenen erzähltechnischen Aufwand betreiben würde, dafür variiert er die immer gleichen Themen – Verlust, Verlorenheit, Erinnerung – bis an die Grenzen der Langeweile. Stets wirkt die Oberfläche seiner Texte glatt, wobei sich durch das Innere und die Welt der Protagonisten feine Haarrisse ziehen, die sich zuweilen zu Abgründen weiten. Fast immer werden die Figuren Murakamis zudem mit magischen Parallelwelten konfrontiert, die den Werken dieses Autors einen doppelten Boden einziehen.

Das ist in Murakamis Roman-Großprojekt Die Ermordung des Commendatore (Dumont-Verlag, € 26,80), dessen 500 Seiten starker erster Band gerade erschienen ist, nicht anders. Wie gewohnt treffen wir auch in diesem Buch auf einen namen- und irgendwie eigenschaftslosen Ich-Erzähler, der sich an eine Phase seines Lebens zurückerinnert, in der er von seiner Frau verlassen wurde.

Er war damals Mitte dreißig, doch der Beziehungsstopp bedeutete auch die Befreiung aus einer festgefahrenen Situation. Denn zunächst als abstrakter Maler gestartet, hatte sich der Erzähler zwecks Aufbau einer bürgerlichen Existenz der lukrativeren Porträtmalerei verschrieben. Er erwies sich als talentiert – auch weil er die honorigen Herrschaften nicht nur abbildete, sondern auch ihren persönlichen Kern erfasste.

Westlicher Stil

Einen Neustart als Maler will der Mann, der gedanklich nach wie vor im Hexenkessel der Erinnerung an die einstige Gattin rührt, im Verlauf der Erzählung in einem abgelegenen Haus in den Bergen wagen, das der an Demenz erkrankte Vater eines Studienkollegen aufgeben musste. Der ehemalige Bewohner heißt Tomohiko Amada, ist 93 Jahre alt und ein Star der Nihonga-Malerei, die zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts die traditionelle japanische Malerei sanft modernisierte und klar vom "westlichen Stil" abgrenzte.

Von 1936 bis 1939 hatte dieser Amada in Wien studiert und auch "westlich" gemalt. Nach seiner überstürzten Rückkehr nach Japan wird er über diese Zeit nie wieder reden. Was damals passierte, vor allem während des "Anschlusses" an das Dritte Reich, ist eine der Fragen, die der Roman aufwirft. Zumal der alte Meister und Opernliebhaber ein mysteriöses Bild malte, das der Erzähler gut versteckt auf dem Dachboden findet. Es heißt Die Ermordung des Commendatore und spielt auf die Mozart-Oper Don Giovanni an, in der der Geist ebenjenes von Don Giovanni ermordeten Commendatore den Meuchler in die Hölle holt. Gut möglich, denkt sich der Erzähler, dass das Gemälde auf die Wiener Zeit Amadas anspielt.

Effekte des Unheimlichen

Ab diesem Punkt des Buches überschlagen sich die Ereignisse, ein Geist taucht ebenso auf wie ein seltsamer Nachbar, der in großem Wohlstand auf einem Nachbarhügel wohnt und dem Erzähler ein finanziell unmoralisch hohes Angebot macht – offenbar mit Hintergedanken. Lesen lässt sich dieser von Ursula Gräfe aus dem Japanischen übersetzte Roman als Gespenster- sowie als Künstlergeschichte. Beide Lesarten sind trotz eines beträchtlichen Spannungsbogens nicht vollkommen befriedigend. Zumal Murakamis berüchtigte Sexszenen ("Ich konnte es kaum glauben, aber ihre Orgasmen waren ohne Zweifel echt") und missratene Kalauer ("Es ist vertrackt ohne Trakt", sagt ein Geist, der nicht essen mag) schnell einmal an den Nerven zerren.

Murakami schafft es zwar, eine etwas zu plakativ geratene Atmosphäre des Unheilvollen heraufzubeschwören. Die intendierte Verknüpfung der Anderswelt, in der Naturgesetze nicht gelten, mit den magischen Momenten, in denen in der Kunst jenes schwer zu beschreibende "Etwas" geschieht, will allerdings trotz starker Passagen über Literatur, Musik und Malerei nicht recht gelingen. "Wichtig war, dass ich (...) auf die Kraft der Linien und der durch sie begrenzten Zwischenräume vertraute", sinniert der Maler-Erzähler. Auch sein Schöpfer hätte mehr auf die Kraft des Ungesagten und der Leerstelle vertrauen sollen. Der zweite Teil des Romans erscheint am 16. April. (Stefan Gmünder, 27.1.2018)