Wien – Es gibt zwei Möglichkeiten: Herr H. ist ein pädophiler Kinderporno-Konsument, der seine eigene Tochter sexuell missbraucht hat, als die fünf bis elf Jahre alt gewesen ist. Das sagt die Staatsanwältin. Oder der 53-Jährige ist, wie er und sein Verteidiger Ernst Schillhammer überzeugt sind, Opfer einer Intrige vor dem Hintergrund einer Scheidung und des damit verbundenen Streits um ein Anwesen im Wert von 700.000 Euro. In jedem Fall zeigt die Geschichte, dass sich hinter den Fassaden der Orte im Speckgürtel rund um Wien hässliche Dinge abspielen.

Dem Schöffensenat unter Vorsitz von Claudia Geiler erzählt der unbescholtene Angeklagte zunächst, dass er derzeit über keine aufrechte Meldeadresse verfügt – er lebt in einem Wohnmobil auf einem Industriegelände im Süden Wiens. Sein Einkommen: 683 Euro Pension, sagt H., auf der anderen Seite stehen 88.000 Euro Schulden für das Haus.

Hauskauf mit Erbschaft

Ohne Zweifel waren die Zeiten für ihn früher besser. Er, seine Gattin und die beiden Kinder lebten zunächst in Wien, nach dem Tod der Mutter erbte er Liegenschaften, verkaufte sie, und die Familie zog 2009 in eine Immobilie mit 469 Quadratmetern Wohnnutzfläche in Niederösterreich.

Spätestens ab dem Jahr 2016 war es mit dem Idyll vorbei. Anfang des Jahres erwirkte der Angeklagte, dass seine Frau und sein Sohn aus dem Haus gewiesen wurden und bis Juni 2016 ein Betretungsverbot bekamen. Im Juli zogen Gattin, Sohn und Tochter mit Freund wieder ein – am 10. Juli folgte der nächste Polizeieinsatz. Diesmal wurde H. vorgeworfen, handgreiflich geworden zu sein, er bekam ein Betretungsverbot für die Dauer des laufenden Scheidungsverfahrens. Strafrechtlich wurde die Angelegenheit diversionell erledigt.

"Und das Scheidungsverfahren ruht jetzt?", erkundigt sich die Vorsitzende. "Na ja, ruhen ...", zuckt der Angeklagte mit den Schultern. Privatbeteiligtenvertreter Harald Hauer, der nicht nur H.s Tochter, sondern auch dessen Frau im Scheidungsverfahren vertritt, mischt sich ein. "Ja, sicher, ruhend!" – "Ich versuche eine Finanzierung zu bekommen, um meine Frau auszahlen zu können, um mich vor Ablauf der drei Jahre scheiden lassen zu können", erklärt der Angeklagte, der sonst keine Fragen Hauers beantworten will.

76 Dateien mit einschlägigem Material

In der strafrechtlichen Sache geht es im Kern um zwei Vorwürfe, die der Angeklagte beide zurückweist. Der erste, der von Geiler behandelt wird, ist, dass H. zumindest zwischen 2006 und 2008 Kinderpornos besessen hat. Von der Polizei wurden 76 Dateien mit einschlägigem Material auf CDs, DVDs, Festplatte und VHS-Kassetten sichergestellt. Möglicherweise gibt es noch mehr, ein Teil der Dateien ist verschlüsselt.

H.s Erklärung, wie die Dinge in sein niederösterreichisches Haus gekommen sind, überrascht: "Die waren von meinen toten Eltern." Der Vater war 2002 verstorben, die Mutter starb mit über 80 Jahren vier Jahre später. "Ich habe bei der Wohnungsräumung die CDs gesehen und war überrascht, was das war. Ich habe sie in einen Müllsack gegeben und meiner Gattin gesagt, sie soll sie in Wien wegwerfen", schildert der Angeklagte ruhig.

Auch die Festplatte sei von einem gebrauchten PC, zu dem darüber hinaus jeder im Haus Zugang hatte, die Videokassetten wiederum stammen angeblich ebenso von den Eltern, H. will sie aber nie angesehen haben.

CDs erst nach Tod der Eltern gebrannt

"Der Sachverständige sagt aber, dass die Daten erst zwischen März 2007 und Juli 2008 auf die CDs gebrannt wurden", wirft Geiler ein. "Da waren Ihre Eltern ja schon tot." – "Möglicherweise hat sie meine Frau gebrannt, weil sie es damals schon geplant hat", mutmaßt der Angeklagte. "Neun Jahre vor der Scheidung?", wirft der Privatbeteiligtenvertreter ein.

Die Frau soll das Material angeblich erst nach der Wegweisung von H. gefunden haben. Der Angeklagte wiederum sagt, sie habe ihm schon bei einem Anwaltstermin im August 2016 mit einer Anzeige wegen Kinderpornobesitzes gedroht, falls er seine Haushälfte nicht seiner Tochter überschreibt. Eine Aussage, die wiederum die Wogen zwischen Hauer, der mit einer Verleumdungsanzeige droht, und Verteidiger Schillhammer hochgehen lässt.

Auch den Vorwurf des schweren sexuellen Missbrauchs seiner Tochter bestreitet H. mit Vehemenz. "Das ist alles erstunken und erlogen!" Laut Anklage soll er das Mädchen bis zu zweimal im Jahr beim Baden mit einem Finger penetriert und sie nach ihrer Erinnerung auch in anzüglichen Posen fotografiert haben.

Innerfamiliäre finanzielle Verschiebungen

"Was für einen Grund sollte Ihre Tochter für diese Vorwürfe haben?", fragt die Vorsitzende. "Meine Frau hat unserem Sohn ihre Hälfte des Hauses überschrieben, um mich im Scheidungsverfahren finanziell zu schädigen. Meine Tochter ist dadurch leer ausgegangen", vermutet der Angeklagte auch hier eine Intrige.

Ein Indiz dafür aus Schillhammers Sicht: Die heute 25 Jahre alte Frau habe die Vorwürfe erst im Scheidungsverfahren erhoben. Die Tochter selbst sagt nicht aus, es wird nur ihre kontradiktorische Einvernahme auf Video vorgespielt. Auch dort wird sie gefragt, warum sie nie jemandem etwas gesagt habe. "Als Kind versteht man es gar nicht, als Heranwachsende ist es einem peinlich", sagt die Zeugin da. Sie habe es auch eher als "Spiel" wahrgenommen, das mit Kitzeln begonnen habe. "Ich glaube, er wollte mir auch nicht wehtun."

Außerdem sei sie generell nicht der Typ, der die Vergangenheit ständig lebendig halten wolle. Erst nach einem persönlichen Schicksalsschlag sei alles wieder hochgekommen. "Es ist wie die Büchse der Pandora, die muss man wieder zubringen", erklärt sie, warum sie die Vorfälle jetzt doch aufarbeiten will.

Die strafrechtliche Aufarbeitung wird auf unbestimmte Zeit vertagt: Geiler will auch den EDV-Sachverständigen hören und wird ihn, wie die Gattin des Angeklagten, beim nächsten Termin befragen. (Michael Möseneder, 29.1.2018)