Nach droben gibt es keine Straße. Wer den Hof besuchen will, muss den Berg hinaufsteigen.

Foto: Filmdelights / Klemens Hufnagl

Wien – Wie in den steilen Berghang gequetscht scheinen der Bauernhof und der Stall. Nur wenige Tiere gibt es hier knapp an der Waldgrenze zu versorgen, ein paar Kühe, Ziegen. Der Hofhund streunt herum, vielleicht erschießt ihn eines Tages ein Jäger, die Katze hat eben Junge geworfen, doch die will die alte Bäuerin (Ingrid Burkhard) nicht behalten – und setzt gleich zu Beginn von Die Einsiedler die entsprechenden Handgriffe.

Langsam geschehen die Dinge, irgendwann ist die Zeit hier stehengeblieben, wie man so sagt, vielleicht genau in dem Augenblick, als eine Lawine vor vielen Jahren die drei Kinder auf dem Schulweg ins Tal erfasst hat. Wenn Albert, der verbliebene Sohn, seine Eltern besucht, muss er zu Fuß den Berg hinaufsteigen, denn eine Straße hat den Südtiroler Bergbauernhof nie erreicht. Albert arbeitet im Tal in einem Marmorbruch, Andreas Lust spielt ihn als introvertierten Mann, den die Last auf den Schultern jeden Augenblick in die Knie zwingen kann.

"Die Einsiedler" – Trailer
Trailerloop

Beinahe isolierte Welt

Der selbst in einem kleinen Bergdorf in den italienischen Alpen aufgewachsene Filmemacher Ronny Trocker weiß in seinem bemerkenswerten Spielfilmdebüt sichtlich, mit Land und Leuten umzugehen. Das zeigt sich zuvorderst an seinem geschulten Blick für Details, an einer Aufmerksamkeit für die scheinbaren Nebensächlichkeiten, die in dieser beinahe isolierten Welt das Tun und Wirken bestimmen: die rohen Steinmauern, die spürbare spätherbstliche Kälte. Vor allem aber auch an den Tönen und Geräuschen, die diesen von jeder musikalischen Untermalung befreiten Film wesentlich mitbestimmen.

In diesen Alltagsrealismus betten Trocker, der sein Filmstudium unter anderem an der argentinischen Universidad del Cine absolviert hat, und sein Co-Autor Rolando Grumt Suárez eine sich in losen Schritten entwickelnde Erzählung. Ein Unfall auf dem Hof, eine mögliche Beziehung Alberts zu einer Kantinenarbeiterin, eine verunmöglichte Freundschaft.

Fehlende Worte

Was an Gefühlen da ist, das wird hier allerdings weniger unterdrückt, sondern scheitert an den fehlenden Worten, an einer gefühlten Unmöglichkeit des Ausdrucks. Die deutschen Untertitel zum Tirolerischen, das Burkhard und Lust handwerklich akkurat sprechen, muten da beinahe wie ein schriftlicher Kommentar an.

Wie überhaupt Ingrid Burkhard diesen prägnanten Film über die Einsamkeit und den damit einhergehenden Trotz, die zur Monotonie erstarrte Routine und nicht zuletzt über die Schuld, die man sich schuldlos aufbürdet, in hohem Maße prägt. Immer wieder beobachtet die Kamera (Klemens Hufnagl) die körperliche Anstrengung dieser Frau, taucht ihr Gesicht zur Hälfte ins Dunkel, malt Chiaroscuro-Bilder, in denen die Hell-Dunkel-Kontraste die engen Räume beherrschen. Einmal fährt sie langsam an einer Wand entlang, um Burkhard endlich durch ein kleines, verschmiertes Fenster als winzige Gestalt zu erspähen. Es ist die Stille nach dem Schuss. (Michael Pekler, 30.1.2018)