Wien – Als mythologischer Held hätte Richter Christian Noe zweifelsohne von einer Prinzessin einen Faden bekommen, um aus dem Labyrinth der Vorfälle im Espresso Jolly in Wien-Ottakring wieder heil herauszufinden. Noes Problem im Verfahren gegen Dragan M. und Johannes D.: Ihm werden ziemlich viele verschiedene Schnipsel solcher Fäden vorgelegt.

Es dreht sich um den Abend des 12. April. Erstangeklagter M., 44 Jahre alt, sagt, er sei damals nach der Arbeit in das Lokal gekommen und habe bei einem Nachbarn am Tisch Platz genommen. Um zu plaudern und Wein zu trinken. Später sei auch der Zweitangeklagte in dem kleinen Etablissement erschienen.

Hier bekommt der Richter die ersten beiden Fadenschnipsel. Bei der Polizei hatte der Erstangeklagte M. noch gesagt, es habe eine Auseinandersetzung um D.s beißkorblosen Hund gegeben. Nun erzählt der Serbe, sein Kontrahent habe plötzlich Xenophobes von sich gegeben. "Er hat herumgeschrien: ,Ausländer‘, ,AMS‘, ,Ihr tuts nix arbeiten, sondern nur trinken!‘", erinnert sich der Erstangeklagte.

"Schocktrance" nach Faustschlägen

Sein Nachbar habe mittlerweile den Platz gewechselt, plötzlich sei der 49-jährige Gegner D. an seinen Tisch gekommen und habe ihm drei Faustschläge ins Gesicht verpasst. "Ich war in einer Schocktrance." Der Zweitangeklagte habe seinen weißen Spritzwein von der Theke genommen und ihm ins Gesicht geschüttet."

Ich hatte Angst und habe die Hände hochgerissen. Da hat er mich gepackt und über den Tisch gezerrt. Dann sind wir gestolpert, er ist mit dem Kopf gegen den Getränkeschrank geprallt. Aber ich habe ihn sicher nicht getreten oder geschlagen, als wir am Boden gelegen sind!", beteuert der Erstangeklagte. Er selbst habe einen Nasenbeinbruch, eine Gehirnerschütterung und Prellungen erlitten.

"Jetzt halte ich Ihnen vor, was Herr D. danach der Polizei gesagt hat", kündigt Noe an. Der Zweitangeklagte schildert nämlich nach einem Streit um den Beißkorb einen ganz anderen Gesprächsverlauf. "Wo ist die Frau mit den großen Brüsten?", soll demnach M. gefragt haben. D.s Replik "Du Schwein!" habe wiederum M. mit "Ich werde deine Mutter, deine Frau und deine Tochter ficken, und du wirst zusehen müssen" gekontert. Stimmt nicht, sagt der Erstangeklagte.

Drei Spritzer Weiß, zwei Jägermeister

Stimmt sehr wohl, behauptet der Zweitangeklagte, als er seine Version erzählen darf. Der Unternehmer war mit seinem Hund Gassi und wollte noch ein Getränk an der Theke konsumieren. Es wurden drei Gläser Weißwein mit Soda, die mit zwei Fläschchen Jägermeister abgerundet wurden. D. schildert den Dialog über das Geschlechtsmerkmalvolumen, ein Thema, das er auf seine Lebensgefährtin bezogen habe. Seine Schlussfolgerung: M. sei ein Spanner, der D.s Freundin durchs Fenster der nahen Wohnung beobachtet haben müsse. Um seinen Unmut über diese Verhaltensweise auszudrücken, habe er daher den Inhalt des vierten Spritzweins im Gesicht des Erstangeklagten deponiert.

Nun bekommt Noe zwei weitere Bestandteile der Faden. Unmittelbar nach dem Vorfall hatte der Zweitangeklagte den Polizisten gesagt, er habe einen Stoß bekommen, sei ausgerutscht und auf dem Boden vor der Vitrine – die nachweislich beschädigt ist – wieder zu sich gekommen. Nun sagt er, der Erstangeklagte habe ihm mit einem harten Gegenstand, einer Bierflasche oder einem Aschenbecher, auf den Kopf geschlagen, dadurch sei er gegen die Vitrine geschleudert worden. Und auch seine Nase sei dadurch gebrochen, das sei aber erst später festgestellt worden.

"Kann es nicht doch sein, dass Sie ausgerutscht sind? Beispielsweise auf einer Flüssigkeit, die Sie unmittelbar davor verschüttet haben?", fragt der Richter nach. D. bleibt dabei – es sei ein harter Gegenstand gewesen.

Zeuge kennt beide Streitparteien

Noch verwirrender wird die Angelegenheit, da die Polizei mit einem Zeugen gesprochen hat, der beide Parteien kennt und wieder etwas anderes behauptet. Demnach habe er beobachtet, wie D. mit M. schrie, ihm dann das Getränk ins Gesicht schüttete und schließlich mit der Faust zuschlug. Anschließend sei D. bei einem Gerangel ausgerutscht.

Zu Noes Unmut gibt es noch mehr namentlich bekannte Lokalgäste, die von der Polizei aber nicht befragt wurden. Der Richter will sie hören und vertagt auf den 8. März. (Michael Möseneder, 26.2.2018)