Wenn Bill Kristol eines nicht ist, dann ist das: links. Der 69-Jährige gilt als Vordenker der US-Neokonservativen, er hat dem Irak-Krieg George W. Bushs strategisch den Boden bereitet und für die in Europa verlachte Sarah Palin seine Hand ins Feuer gelegt. Doch als Kristol im vergangenen Juli Twitter öffnet, kann er die Welt nicht mehr verstehen. Denn was er dort sieht, ist ein Präsident, Republikaner wie er selbst, der einen Menschen verprügelt, auf dessen Schulter statt eines Kopfes linkisch ein Logo des Nachrichtensenders CNN montiert wurde. "Die Geschwindigkeit, mit der wir den Niedergang und Fall Roms wiederholen, ist beeindruckend", twittert Kristol wenig später.

So wie Kristol fühlen sich viele Proponenten der US-amerikanischen Rechten von ihrem Präsidenten vor den Kopf gestoßen. Nicht genug freilich, um dem von der Russland-Affäre gebeutelten Donald Trump ernsthaft gefährlich zu werden. Bisher jedenfalls. Schließlich wurde Trump vor seiner Wahl von 80 Prozent des Parteiestablishments unterstützt – und erhielt 90 Prozent der republikanischen Stimmen. Und doch wächst bei den Honoratioren ein Jahr nach Trumps Vereidigung die Sorge vor dem Danach. Was, fragt man sich, bleibt übrig von der Grand Old Party, wenn Trump mit ihr fertig ist?

Donald Trump, 45. Präsident der USA.
Foto: AFP PHOTO / MANDEL NGAN

Keine schlechte Bilanz

Für den Moment sonnen sich die einst so stolzen US-Konservativen noch im Lichte ihres Präsidenten, das dieser wohl auch bei seiner Rede zur Lage der Nation erstrahlen lassen will. Denn trotz einiger Misserfolge – etwa die bis heute nicht gebaute Mauer zu Mexiko und der vorerst gescheiterte Angriff auf die Gesundheitsreform Obamacare – ist die Bilanz des ersten Jahres aus konservativer Sicht so düster nicht: die Steuerreform, mehr Geld für das Militär, der faktische Sieg über die Terrormiliz IS in Syrien und dem Irak, seine härtere Gangart gegenüber dem Iran und Nordkorea, der Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen, die Anerkennung Jerusalems als Israels Hauptstadt, die Wirtschaft, die brummt wie schon lange nicht mehr. Und durch Neil Gorsuch, den von Trump ins Amt gehievten Höchstrichter auf Lebenszeit, dürfte die konservative Hegemonie über die Ära Trump hinaus gesichert sein. Hunderte konservative Richter, die Trump in niedrigeren Positionen nominiert hat, werden sie absichern.

Dass die Selbstzufriedenheit vieler US-Republikaner jedoch nur von kurzer Dauer sein dürfte, steht in den Augen David Frums – auch er alles andere als ein Linker – trotzdem fest. Für den Publizisten und ehemaligen George-W.-Bush-Redenschreiber zerstört der 45. Präsident der USA den Konservativismus von Grund auf. In seinem jüngst im Verlag Harper Collins erschienenen Buch "Trumpocracy" hält Frum dem "New Yorker Playboy" zwar zugute, die Bruchlinien Amerikas besser zu verstehen als jeder andere. Die Kombination aus Trumps übergroßem Ego und der gegenwärtigen Schwäche der USA stellt für ihn gleichwohl eine Gefahr für die Demokratie dar. Emblematisch dafür: Trumps Aufstachelung seiner Unterstützer zu Gewalt.

"Madman"

Auch manch aktivem Politikern aufseiten der Republikaner geht der Flirt des Staatsoberhaupts mit der militanten Rechten zu weit. Politikern wie Jeff Flake. Der scheidende Senator aus Arizona veröffentlichte vergangenen Sommer ein Buch ("Conscience of a Conservative"), das nicht nur mit Trump, sondern auch mit seiner Partei hart ins Gericht hing. Rassismus, Fremdenhass und Nationalismus herrschten dort, der Präsident sei ein "Madman", ein Irrer. Als sich im Dezember in Alabama der ultrakonservative Roy Moore zum Senator wählen lassen wollte, spendete Flake hundert Dollar an den demokratischen Gegenkandidaten Doug Jones. Als dessen Sieg feststand, twitterte Flake: "Anständigkeit gewinnt."

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John McCain, Veteran mit Gewissensbissen.
Foto: AP Photo/Patrick Semansky

So ist auch Trumps bisher größte Niederlage vor allem internem Dissens geschuldet. Dafür verantwortlich sind Abgeordnete wie Susan Collins aus Maine. Während die republikanischen Mitglieder in Senat und Repräsentantenhaus im Durchschnitt zu immerhin neunzig Prozent mit ihrem Präsidenten stimmen, sind es bei der Senatorin aus Maine laut FiveThirtyEight.com nur 81,5 Prozent. Ihr Nein trug dazu bei, dass Obamacare vorerst bleibt. Auch Politikveteran John McCain, vor zehn Jahren als Kandidat an Barack Obama gescheitert, stimmte gegen seinen Präsidenten. "Der Kongress", schrieb der 81-Jährige, bei dem im Sommer ein Hirntumor entdeckt wurde, wenig später, "muss mit einem Präsidenten regieren, der keine Erfahrung mit öffentlichen Ämtern hat, der schlecht informiert ist und in seinem Verhalten und seiner Sprache impulsiv sein kann."

Identitätskrise

Pulitzerpreisträger Bret Stephens, neokonservatives Aushängeschild der "New York Times" und selbsterklärter "Nevertrumper", erklärt die drohende Identitätskrise mit den Worten des 2003 verstorbenen konservativen Demokraten Daniel Patrick Moynihan. Der Erfolg einer Gesellschaft, schreibt dieser, hänge von ihrer Kultur ab, nicht von der Politik. Und darum könnten auch die Erfolge Trumps nicht über dessen Scheitern hinwegtäuschen.

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Ben Shapiro, Jungrechter mit Zweifeln.
Foto: Leah Hogsten/The Salt Lake Tribune via AP, Pool

So wie der Jungkonservative Ben Shapiro, dessen Podcast 300.000-mal pro Tag heruntergeladen wird, stören sich viele Republikaner an der Verbindung Trumps zur rechtsradikalen Alt-Right-Bewegung. Und doch beruft Shapiro sich, wenn es um den Präsidenten geht, auf sein Recht zu kognitiver Dissonanz. "Er hat nicht den Charakter eines Präsidenten", sagte er unlängst dem Webmagazin "Slate". "Und doch genieße ich die Politik, die er macht." (Florian Niederndorfer, 31.1.2018)