Joachim Meyerhoff in Jan Bosses Dramatisierung von Thomas Melles Roman "Die Welt im Rücken" 2017.

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Berlin/Wien – Zwei Einladungen für die Münchner Kammerspiele und je eine Einladung für das Wiener Burgtheater ("Die Welt im Rücken"), die großen Häuser von Hamburg (Thalia und Schauspielhaus) und der Schweiz (Zürich und Basel), an Schaubühne und Volksbühne aus Berlin sowie das Berliner "Nationaltheater Reinickendorf" – das ist die Auswahl für das 55. Berliner Theatertreffen, die heute bekannt gegeben wurde.

In "Die Welt im Rücken" bot Joachim Meyerhoff grandioses Solo

Altmeister Frank Castorf ("Faust") und Langzeit-Schaubühnen-Chef Thomas Ostermeier ("Rückkehr nach Reims") haben es ebenso unter die zehn "bemerkenswertesten" Inszenierungen geschafft wie die schon in den vergangenen Jahren eingeladenen Karin Henkel, Christopher Rüping und Ulrich Rasche. Falk Richter ist mit der Uraufführung von Elfriede Jelineks Trump-Stück "Am Königsweg" vom Deutschen Schauspielhaus Hamburg vertreten, Jan Bosse mit der Wiener Dramatisierung von Thomas Melles autobiografischem Roman "Die Welt im Rücken", die in der Darstellung einer bipolaren Störung zu einem grandiosen Solo für Joachim Meyerhoff wurde.

Cast of Color für "weißes" Werk: "Mittelreich"

Außergewöhnlich sind zwei Einladungen: Anna-Sophie Mahlers Münchner Adaption von Joseph Bierbichlers Roman "Mittelreich" war bereits vor zwei Jahren zum Theatertreffen eingeladen, nun kopierte Regisseurin Anta Helena Recke diese Inszenierung, "verändert jedoch ein bedeutendes Detail: Ihr Cast besteht ausschließlich aus Schauspieler/innen of Color. Die Inszenierung eignet sich erstmals auf einer deutschen Stadttheaterbühne in dieser Form ein 'weißes' Werk an, um das mit einer scheinbar einfachen Überlegung zu adressieren: Was ist anders, wenn eine schwarze Besetzung statt einer weißen spielt?", so die Jury, die sich auch von dem in einer Berliner Lagerhalle aufgebauten "Nationaltheater Reinickendorf" des Künstler/innenduos Vegard Vinge und Ida Müller fasziniert zeigte: "Ein Gesamtkunstwerk der Besessenheit, dessen Widersprüche das Publikum bis in den Morgen fesseln."

"Zerbrochene und zerbrechende Charaktere, die neue Realitäten erzeugen"

"Die Arbeiten der diesjährigen Auswahl zeigen durch die unterschiedlichen Generationen und Kontexte hindurch entschiedene Perspektiven auf unsere komplexe Gegenwart", befand Theatertreffen-Leiterin Yvonne Büdenhölzer in einer Aussendung. "Das Theater vertraut dabei auf seine genuinen Mittel und die Lust am Spiel. Die Protagonist/innen sind oft zerbrochene und zerbrechende Charaktere, die die Welt durch ihre individuelle Wahrnehmung filtern und so neue Realitäten erzeugen." Das Berliner Theatertreffen findet heuer von 4. bis 21. Mai statt.

Jury diskutierte 409 Inszenierungen

Die Jury (Margarete Affenzeller, Eva Behrendt, Wolfgang Höbel, Andreas Klaeui, Dorothea Marcus, Christian Rakow und Shirin Sojitrawalla) sichtete und diskutierte im Zeitraum vom 28. Jänner 2017 bis 21. Jänner 2018 insgesamt 409 Inszenierungen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Immerhin in die Diskussion schafften es aus Österreich auch die Grazer Schwab-Erstaufführung "Faust : Mein Brustkorb : Mein Helm" von Claudia Bauer, die Salzburger Festspiel-"Lulu" von Athina Rachel Tsangari sowie Johan Simons "Radetzkymarsch"-Version für das Burgtheater. (APA, 30. 1.2018)