Foto: beinecke rare book & manuscript library/yale university

Edmonton – Kryptologisches Meisterstück oder mindestens ebenso begnadeter Hoax? An einer Entschlüsselung des Voynich-Manuskrips haben sich seit seiner Entdeckung vor mehr als einem Jahrhundert ganze Heerscharen an Linguisten und Kryptografen versucht – bis heute ohne nennenswerten Erfolgen.

Die Handschrift aus dem 15. Jahrhundert besteht aus Abbildern von unergründlichen mechanischen Apparaturen, seltsamen teils nackten Frauenfiguren und fremdartigen botanischen und astronomischen Welten sowie einem Text in unbekannter Sprache und nicht identifizierbarem Schiftcode. Nun aber scheint ein kanadisches Forscherteam der Lösung des Geheimnisses um das Voynich-Manuskript einen wesentlichen Schritt näher gekommen zu sein. Den entscheidenden Beitrag dazu lieferte eine künstliche Intelligenz.

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Benannt wurde das Werk nach dem polnischen Buchhändler Wilfrid Voynich, der es 1912 in einem Jesuitenkolleg im italienischen Frascati entdeckt hatte. Das Dokument besteht heute aus 240 Seiten, ursprünglich dürfte es allerdings umfangreicher gewesen sein, das zumindest ergaben bisherige Untersuchungen. Vielmehr als das konnte man darüber im vergangenen Jahrhundert jedoch nicht herausfinden. Selbst versierte Codeknacker während des Zweiten Weltkriegs blieben glücklos. Letztlich gelangten einige Wissenschafter zu dem Schluss, dass es sich um einen wenn auch sehr komplex ausgearbeiteten Scherz handelt, der gar nicht entschlüsselt werden könne.

Hebräischer Text?

Greg Kondrak kann diese Schlussfolgerung mit seiner aktuellen Analyse der ominösen Zeichenfolge nicht gänzlich entkräften. Dem kanadischen Computerexperten von der University of Alberta gelang es jedoch immerhin gemeinsam mit seinem Team und der Unterstützung durch eine künstliche Intelligenz, den Text möglicherweise als echte Sprache zu identifizieren: Offenbar ist das Voynich-Manuskript in Hebräisch verfasst, wobei die Buchstaben in einem festgelegten Muster arrangiert sein dürften. Eine Übersetzung freilich konnten die Forscher nicht vorlegen, dafür sei es noch zu früh. Zumindest aber, so Kondrak, sei nun eine Basis gelegt worden, mit der Linguisten arbeiten könnten.

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In einem ersten Schritt verglich die von den Forschern eingesetzte künstliche Intelligenz den Voynich-Code mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die in 380 unterschiedlichen Sprachen abgefasst wurde. Aus dieser Gegenüberstellung ergab sich, dass der mysteriöse Text mit hoher Wahrscheinlichkeit aus hebräischen Worten besteht. "Das war natürlich eine große Überraschung für uns", meinte Kondrak. "Allein schon diese Feststellung ist ein bedeutender Fortschritt. Als nächstes galt es herauszufinden, wie wir den Text entziffern können."

Anagramme als Chiffriermethode

Einem zweiten Schritt legten die Wissenschafter eine Hypothese zugrunde, die bereits von früheren Wissenschaftern formuliert worden war: Dass der Voynich-Text mithilfe eines Systems alphabetisch umgeordneter Anagramme der einzelnen Worte verschlüsselt wurde. Mit dieser Methode würde etwa aus dem Wort STANDARD die Buchstabenkombination AADDNRST werden. Auf dieser Grundlage schufen die Forscher einen Algorithmus, der die einzelnen Anagramme des Voynich-Textes in hebräische Worte umordnete. "Tatsächlich zeigte sich, dass über 80 Prozent der Zeichenkombinationen in dem Manuskript mit unserer Methode Worte aus einem hebräischen Wörterbuch ergaben", sagt Kondrak.

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Inhalt bleibt rätselhaft

Ob der spätmittelalterliche Text insgesamt letztlich auch einen Sinn ergibt, ließ sich vorerst nicht feststellen. Der letzte Schritt, den die Forscher unternahmen, würde allerdings nicht unbedingt dafür sprechen: Die ersten Absätze des mysteriösen Manuskripts ergaben mithilfe dieser Dechiffrier-Methode zwar tatsächlich wiederum eine Aneinanderreihung von hebräischen Worten. Laut Moshe Koppe, einem Computerexperten mit muttersprachlichen Hebräisch-Kenntnissen, ergeben diese jedoch keine sinnvollen Sätze. (tberg, 30.1.2018)