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Im September 2000 wurde die König-Fahd-Moschee in Sarajevo feierlich eröffnet. Sie ist eine von drei Moscheen in Bosnien-Herzegowina, die mit Unterstützung von Saudi-Arabien erbaut wurden.

Foto: REUTERS/Danilo Krstanovic

"Wenn das die Norweger gemacht hätten, würden wir nichts sagen, weil die Norweger sind weit vom Balkan entfernt. Aber nicht die Österreicher! Die Österreicher haben wir immer als gut informiert und freundschaftlich zugewandt erlebt. Hoffentlich gibt es nun keinen Politikwechsel", sagt der junge Mann im Café in Sarajevo, der die Islam-Publikation aus Wien gelesen hat. Insbesondere unter den Bosniaken ist die Sorge groß. Konkret geht es um einen Sammelband des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) mit dem Titel "Islam europäischer Prägung". In diesem befindet sich ein Text der Schweizer Romanistin Saïda Keller-Messahli namens "Islam auf dem Balkan – ein historischer Überblick bis hin zur Gegenwart".

Der Text stößt auch bei Kennern der Region auf heftige Kritik. "Der Text von Saïda Keller-Messahli über den Balkan-Islam ist von Unkenntnis und Vorurteilen geprägt. Die Autorin hat offensichtlich wenig Wissen zur historischen Entwicklung des Islam auf dem Balkan. Der Text hat nur wenige wissenschaftliche Verweise, ansonsten wird oft auf dubiose Quellen verwiesen, wichtige Aspekte sind ausgelassen, und der bosnische Krieg von 1992 bis 1995 liest sich wie eine Propagandaschrift aus serbischnationalistischer Perspektive", meint etwa der Leiter des Zentrums für Südosteuropa-Studien an der Universität Graz, Florian Bieber, zum STANDARD.

Angebliche Unterwanderung

Neben vielen anderen Stellen kritisieren Experten Keller-Messahlis Verweis auf die Mudschaheddin im Bosnienkrieg. Sie schreibt konkret: "Viele von diesen Söldnern ließen sich nach dem Krieg in Bosnien nieder und begannen systematisch mit dem Aufbau einer islamistischen Community, welche zunächst nur schleichend, dann aber immer offensichtlicher die Städte und Gemeinden in vielen Teilen des Landes mit ihrem extremistischen Kurs nach saudi-arabischem Vorbild unterwanderte und auch weiter im Begriff ist, dies zu tun."

Keller-Messahli führt allerdings keine einzige Stadt in Bosnien-Herzegowina an, die "nach dem saudi-arabischen Vorbild" von Islamisten unterwandert wurde. Das wäre auch schwierig, denn eine solche Stadt gibt es in Bosnien-Herzegowina nicht.

Für besonders viel Kritik sorgt folgende Passage: "In den ersten Jahren nach dem Friedensschluss, der primär dazu diente, Bosnien unter den drei Volksgruppen aufzuteilen und entsprechend neue (Landes-)Grenzen zu ziehen, begannen lokale Islamisten mit dem Aufbau eines internationalen Netzwerkes mit der Absicht, eine Theokratie zu errichten. Ziel sollte sein, die bosnische – und früher oder später freilich jede andere – Gesellschaft der islamischen Gesetzgebung zu unterwerfen. Unterstützung erfuhren sie dabei nicht nur durch ihren eigenen Staatschef Izetbegović, welcher diese Pläne eifrig vorantrieb, hatte er doch während des Krieges circa 6.000 Mudschaheddin aus dem arabischen Raum sowie Afghanistan, Pakistan und anderen Ländern nach Bosnien geholt. Das Königreich Saudi-Arabien witterte bald großes Potenzial, seine eigene Staatsreligion, den wahhabitischen Islam, von Bosnien aus in andere europäische Länder zu tragen. Dazu bediente und bedient sich das steinreiche Land einer cleveren wie auch perfiden Strategie, indem es Milliarden von Dollars in den Bau von unzähligen Moscheen steckt, die mittlerweile in ganz Europa zu finden sind."

Vager Begriff "unzählige Moscheen"

Der Wiener Kommunikationsberater Nedad Memić, der viel zum Balkan publiziert hat, meint dazu: "Weder vor, noch während noch nach dem Bosnienkrieg arbeitete irgendeine offizielle Stelle oder Politik in Bosnien-Herzegowina an der Errichtung einer islamischen Theokratie in diesem europäischen Land." Er verweist darauf, dass dies "auch nach dem Daytoner Friedensabkommen, das Bosnien-Herzegowina als eine Gemeinschaft der muslimischen Bosniaken, christlich-orthodoxen Serben und römisch-katholischen Kroaten sowie allen anderen Bürgerinnen und Bürgern definiert, gar nicht möglich gewesen" wäre. Problematisch sei auch der vage Begriff von "unzähligen Moscheen", die angeblich von Saudi-Arabien in Bosnien-Herzegowina finanziert würden.

Tatsächlich wurden in Bosnien-Herzegowina insgesamt drei Moscheen mit saudischen Geldern bezahlt: die König-Fahd-Moschee in Sarajevo im Jahr 2000, eine in Tuzla und eine in Bugojno. Laut der Islamischen Glaubensgemeinschaft, die jeden Moscheebau in Bosnien-Herzegowina kontrolliert, wurde seit mehr als zehn Jahren aber überhaupt keine Moschee mehr mit finanzieller Hilfe des saudi-arabischen Staates gebaut. Nach dem Krieg, in dem hunderte Moscheen zerstört wurden, spendeten vor allem Staaten mit muslimischer Bevölkerung für deren Wiederaufbau.

Spendengelder für etwa fünf kleine Moscheen in Dörfern gebe es in den letzten fünf Jahren aus Kuwait und den arabischen Emiraten. Die Türkei finanziert Renovierungen von alten osmanischen Moscheen in Bosnien-Herzegowina. Ansonsten gibt es noch einige private Spender – auch aus arabischen Ländern.

Islamische Glaubensgemeinschaft "besorgt"

Die Islamische Gemeinschaft kontrolliert aber alle diese Moscheen und sucht alle Imame selbst aus – aus den Spenden ergibt sich also kein theologischer Einfluss im Land. Die Islamische Glaubensgemeinschaft (IZ) reagiert auf den Text von Keller-Messahli "besorgt". "Wir werden den Text nun offiziell übersetzen und gemeinsam analysieren", so die IZ zum STANDARD.

Die IZ versucht zu vermeiden, dass Bosnier überhaupt in Saudi-Arabien Islam studieren. Sie hat deshalb die arabischen Botschaften angeschrieben, dass die arabischen Staaten keine bosnischen Studenten aufnehmen dürften, solange sie nicht die Erlaubnis von der IZ bekommen haben. Die IZ bevorzugt insgesamt Absolventen der eigenen Islamischen Fakultät in Sarajevo, die westlich ausgerichtet ist. Diese Fakultät orientiert sich auch an liberalen Strömungen – wie etwa der Universität in Tübingen.

Keine "terroristischen Camps"

Die Behauptung, dass der saudische Einfluss durch "saudische Moscheen" in Bosnien und Herzegowina immer größer werde, ist allerdings sehr weit verbreitet. Auch in Österreich. In einem Interview, dass FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache vergangenen September dem Fernsehsender der Republika Srpska gab, sagte er: "Wir weisen seit Jahren darauf hin, dass Geheimdienstinformationen vorhanden sind, dass es innerhalb von Bosnien-Herzegowina Entwicklungen gibt, wo aus Saudi-Arabien, aus Katar luxuriöse Moscheen gebaut werden." Strache meinte auch, dass es eine massive Gefährdung durch Terrorismus in der Region gebe und dass es eine Radikalisierung von "Salafisten und sunnitischen Extremisten" gebe, die "ins Land gekommen sind". Er sprach auch von "terroristischen Camps", ohne dies näher auszuführen, obwohl es in Bosnien-Herzegowina keine "terroristischen Camps" gibt.

Weiters sagte er in dem Interview, dass Geld an Familien gezahlt werde, um Druck "auf Frauen aufzubauen, um sich vollverschleiert in der Öffentlichkeit und in der Gesellschaft zu bewegen". Vor Strache hatte bereits der damalige Außenminister Sebastian Kurz im August 2017 gesagt: "In Sarajevo oder Pristina werden zum Beispiel Frauen dafür bezahlt, vollverschleiert auf die Straße zu gehen, um das Straßenbild zu ändern." Diese Behauptung führte zu starken Irritationen in Bosnien-Herzegowina. Das Gerücht über die angeblich fürs Verschleiern bezahlten Frauen ist uralt und stammt schon aus Kriegszeiten. Es wurden allerdings niemals Quellen oder Belege für diese Behauptungen beigebracht. Die Behauptungen stammen auch nicht aus den Erkenntnissen österreichischer Sicherheitsbehörden.

Noch keine Antwort von Sebastian Kurz

Der bosnische Sicherheitsminister Dragan Mektić wies vergangenen Sommer die Aussage von Kurz zurück. "Ich habe keine Informationen darüber", sagte er. Auch die IZ meinte, dass keine solchen Fälle bekannt seien. Man war allerdings so befremdet über die Behauptung von Kurz, dass der Großmufti Reis ul-ulema Husein Kavazović einen Brief an den damaligen Außenminister schrieb. Rasim Čolić, der Direktor für Auslandsbeziehungen der IZ, dazu: "Wir haben noch keine Antwort bekommen."

Nachdem nun aber Strache in der Regierung sitzt und er zudem kürzlich einen Orden vom separatistisch ausgerichteten Präsidenten der Republika Srpska, Milorad Dodik, der unter US-Sanktionen steht, bekommen hat, befürchten manche Bosniaken nun einen Politikwechsel Österreichs im Verhältnis zu Bosnien-Herzegowina. Das Außenministerium weist dies allerdings klar zurück.

"Kein Beitrag zum Dialog"

Der Text von Keller-Messahli nährt allerdings diese Sorge in Bosnien-Herzegowina. Der österreichische Politologe Vedran Džihić sieht in ihrem Beitrag "eine Erhöhung des Konfliktpotenzials", auch er kritisiert die offensichtlich "mangelnde Beschäftigung" der Autorin mit dem Thema, eine "Argumentation jenseits der Tatsachen", etwa was den "Charakter des Bosnien-Kriegs" betrifft. "Das ist jedenfalls kein Beitrag zum Dialog", so Džihić zum STANDARD.

Auf Anfrage des STANDARD, wer Frau Keller-Messahli ausgesucht habe und nach welchen Kriterien dies geschehen sei, schreibt der ÖIF in einer Stellungnahme: "Die Inhalte des Sammelbands wurden mit größtmöglicher Sorgfalt recherchiert und erstellt. Wie im Impressum des Sammelbands ausgewiesen, geben die einzelnen Beiträge die Sichtweisen der Verfasser/innen auf das Thema wider und wurden vom ÖIF nicht verändert." Der Sammelband vereine Denkanstöße. Einige Balkanexperten haben angekündigt, sich in den kommenden Tagen mit einem offenen Brief an den ÖIF zu wenden. Der Österreichische Integrationsfonds ist ein Fonds der Republik Österreich und ein Partner des Außenministeriums. (Adelheid Wölfl aus Sarajevo, 30.1.2018)