Harter Alltag in der Opposition: SP-Chef Kern protestiert gegen "Sozialabbau" – ahnt aber, dass er damit nicht so schnell durchkommt.

Foto: APA / Herbert Pfarrhofer

An sich könne er die ewigen Klagen von Politikern, falsch zitiert worden zu sein, nicht leiden, sagt Karl Schlögl. Doch diesmal müsse auch er strikt widersprechen: "Nein, ich habe Christian Kern nicht infrage gestellt."

Genau das haben aber Medien und auch viele Sozialdemokraten aus einem Interview herausgehört, das ihr Genosse dem "Kurier" gab. Die "zerrissene" Partei brauche "eine glaubhafte Persönlichkeit an der Spitze", hatte der Ex-Innenminister und heutige Bürgermeister von Purkersdorf geurteilt. Und diese, so die Nachfrage, sei nicht der aktuelle SP-Chef Kern? Schlögl: "Für mich gibt es andere Persönlichkeiten auch noch, die zur Diskussion stehen."

Entschuldigung für Schlögl bei Kern

Er habe den Ruf nach personeller Erneuerung auf die Reihen hinter dem Chef gemünzt, beteuert Schlögl nun – was ihn aber nicht vor einer Schelte bewahrte. Niederösterreichs SP-Chef Franz Schnabl wies ihn zurecht, Kern selbst erzählt dem STANDARD, dass sich die niederösterreichischen Abgeordneten im Parlament geschlossen bei ihm für Schlögl entschuldigt hätten: Dessen Aussagen seien "völlig fehlgeleitet". Ein anderer Mandatar, der Steirer Josef Muchitsch, schimpft: Was Schlögl tue, sei "dumm, dümmer, am dümmsten. Echte Männer greifen zum Telefon und reden sich das persönlich aus, statt dem anderen etwas auszurichten."

Hat sich da also nur ein Einzelkämpfer im Herbst seiner Karriere wichtig gemacht? Oder haben Kern-Gegner Schlögl gezielt vorgeschickt, um ihn den ersten Stein werfen zu lassen? Wer sich in der SPÖ umhört, stößt auf keine handfesten Hinweise auf eine konzertierte Aktion. "Der Karli Schlögl ist von ganz allein für solche Geschichten gut", sagt etwa ein Kern-affiner Funktionär, billigt dem Ortschef aber ein starkes Sensorium für die Stimmungslage in der Partei zu: "Und da hat sich Unzufriedenheit breitgemacht, was Schlögl nun artikuliert hat."

Steiniger Weg in Opposition

Reibungslos verlief Kerns Weg vom Kanzleramt auf die Oppositionsbank von Anfang an nicht. Während der scheidende Regierungschef keine reale Chance auf eine Koalition mit ÖVP oder FPÖ sah, fand eine Gruppe in der Partei, dass sich die SPÖ zu leichtfertig von der Macht verabschiedet habe. Besonders die Burgenländer Hans Niessl und Hans Peter Doskozil sowie der künftige Wiener SPÖ-Chef Michael Ludwig samt Mitstreitern seien über die rasche Festlegung auf die Opposition verstimmt gewesen.

Für Unmut in anderen, nämlich linksliberalen Kreisen der Partei sorgte der von Kern eingesetzte Bundesgeschäftsführer Max Lercher, der das Ausländerthema hochgezogen und sich an den einstigen Gottseibeiuns ("Jörg Haider würde heute SPÖ wählen") angebiedert hatte. Quer über alle Flügel gibt es das Gefühl, dass die SPÖ in der neuen Rolle nicht richtig in die Gänge komme, zuletzt genährt vom Wahlergebnis in Niederösterreich: Viele Genossen hatten sich mehr erhofft als knapp 24 Prozent – und ein Ende der absoluten Mehrheit der ÖVP.

Kern sieht Niederösterreich-Ergebnis positiv

Kern hingegen verbucht das niederösterreichische Ergebnis auf der Habenseite. Immerhin habe die SPÖ im Gegensatz zu ÖVP und Grünen zugelegt, sagt er im Gespräch mit dem STANDARD, "selbst wenn das nicht alle registrieren wollen". In Kärnten und Tirol, wo die nächsten Wahlen anstehen, sei die Stimmung außerordentlich gut, seine Reden seien regelrecht bejubelt worden.

Von Enttäuschung also keine Rede? "Bei manchen gibt es da vielleicht eine überzogene Erwartungshaltung", sagt Kern und mahnt zur Ausdauer auf dem langen, steinigen Weg der Oppositionsarbeit: "Wir werden die Regierung nicht in den ersten zwei Monaten stürzen. ÖVP und FPÖ haben den Neuigkeitswert auf ihrer Seite, sie haben den Boulevard hinter sich. Es wird wahrscheinlich zwei Jahre dauern, bis wir ernsthaft vorkommen."

Dass gerade der Kurs in der Ausländerpolitik Genossen verunsichert, ist dem Parteichef nicht entgangen. Um Klarheit zu schaffen, will er die Linie nun noch einmal unmissverständlich zusammenschreiben – auf dass diese dann von allen vertreten wird. Dass das nicht ganz einfach ist, weiß Kern, er selbst verweist darauf, dass Landeshauptmann Niessl in der Frage der Mindestsicherung eine restriktivere Haltung vertritt.

Verlierer nicht abmaxeln

Nicht auf einer Linie waren Kern und Niessl auch in einer entscheidenden Personalfrage. Der Burgenländer darf sich freuen, dass Ludwig Wiener SP-Chef und Bürgermeister wird und nicht Andreas Schieder, der wie seine Lebensgefährtin Sonja Wehsely gegen Rot-Blau nach burgenländischem Muster gehusst hat. Kern hingegen betont zwar, sich bewusst aus dem Duell herausgehalten zu haben, ein Erfolg Schieders hätte ihm aber wohl in die Hände gespielt. Der derzeitige geschäftsführende Klubchef im Nationalrat steht dem Parteichef nicht nur inhaltlich näher, sondern hätte auch garantiert, dass in der SPÖ keine Wien-Burgenland-Achse des (relativ) rechten Flügels entsteht.

Außerdem hätte ein Abschied Schieders aus dem Parlament Kern Spielraum für neue personelle Akzente geboten: Als künftiger Klubchef würden sich die Ex-Minister Thomas Drozda oder – als Signal an die Frauen – Gabriele Heinisch-Hosek anbieten.

Zur Rochade dürfte es nun nur dann kommen, wenn Ludwig – was viele bezweifeln – Schieder in sein Team holt. Ansonsten, informierte Kern am Dienstag die SPÖ-Mandatare, werde er an Schieders Position nicht rütteln. Warum, erklärt Kern so: Es wäre höchst undemokratisch, den Verlierer einer Auseinandersetzung postwendend "abzumaxeln". (Gerald John, Michael Völker, 31.1.2018)