Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: Win McNamee/Pool via AP

Eines weiß man seit Dienstagnacht: Donald Trump kann Reden halten. 80 Minuten lang hielt er sich an den vorbereiteten Redetext, wirkte freundlich und sogar charmant und präsentierte sich mit patriotischen Worthülsen als Vater einer großen Nation. Er rief die oppositionellen Demokraten zur Zusammenarbeit auf, etwa bei einem riesigen Investitionsprogramm für die Infrastruktur, und bot ihnen in der großen Streitfrage Migration einen Kompromiss an – ein Weg zur Staatsbürgerschaft für illegale Einwanderer, die als Kinder ins Land gekommen waren, gegen eine Sicherung der Grenze durch den Bau einer Mauer zu Mexiko.

Hätte Trump ein Jahr lang so regiert, wie er vor dem Kongress sprach, dann wäre er ein umstrittener, von vielen angefeindeter, aber dennoch populärer und effektiver Präsident. Denn Trump hat das große Glück, dass die US-Wirtschaft boomt, die Arbeitslosigkeit sinkt und die Löhne nach Jahren der Stagnation wieder steigen. Das hat er vor allem der Politik seines Vorgängers Barack Obama zu verdanken, aber so genau nehmen das viele Amerikaner nicht. Schließlich hat er die Unternehmenssteuern gesenkt und die Wirtschaft dereguliert – für Konservative das einzig richtige Rezept für mehr Wachstum.

Auch Ankündigungen, die in Europa auf großes Missfallen stoßen, dass er das Gefangenenlager Guantánamo auf Kuba offen halten und das Atomwaffenarsenal ausbauen will, werden ihm von breiten Teilen der US-Bevölkerung nicht übel genommen. Auch wenn es kaum noch zu Terroranschlägen oder -plänen mit ausländischem Bezug gekommen war – Härte gegenüber islamistischen Terroristen und anderen Feinden bleibt populär.

Erleichterung bei Republikanern

So mancher Republikaner wird sich nach dieser Rede gedacht haben, dass ihr Präsident die Partei bei den Kongresswahlen im November doch nicht in den Abgrund führen und in den kommenden drei Jahren weiterhelfen wird, ihre erzkonservative Agenda umzusetzen. Und bei manchen Demokraten setzt wohl Ernüchterung ein. Dieser Präsident hat politisches Talent und kann ein harter Gegner sein.

Doch dies war bereits die Einschätzung vor einem Jahr, als Trump erstmals vor dem Kongress sprach. Kurz darauf ging eine jener morgendlichen Twitter-Lawinen los, die auch viele Berater an seiner Zurechnungsfähigkeit zweifeln lassen. Und auch jetzt ist die Trump-Präsidentschaft ein Marsch durch ein Minenfeld, bei dem der Anführer die Sprengsätze selbst zündet.

Warten auf den nächsten Ausbruch

Die Untersuchungen von Sonderermittler Robert Mueller in der Russland-Affäre, die geschlossene Ablehnungsfront der Demokraten im Senat, die Trump für viele Gesetzesinitiativen braucht, die ständige Kritik in den unabhängigen Medien, die Indiskretionen aus seinem eigenen Team, sogar der fragwürdige Zustand seiner Ehe – all das kann Anlass für den nächsten Ausbruch sein, der Trump wieder als polarisierenden, unberechenbaren und unqualifizierten Staatschef erscheinen lässt. Und bisher gibt es keine Anzeichen für eine Erholung seiner katastrophal niedrigen Popularitätswerte.

Die Demokraten im Kongress schwiegen oder buhten während der Ansprache. Sie wissen: Trumps Worte von Einheit und Gemeinsamkeit sind nur leeres Gerede. Mit diesem Präsident ist kein Staat, ja nicht einmal ein Deal zu machen. Und noch sieht es die Mehrheit der Amerikaner genauso. (Eric Frey, 31.1.2018)