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Als langfristige Konsequenz der Kürzung der US-Hilfsgelder könnte eine Fluchtbewegung nach Europa folgen, glaubt UNRWA-Generaldirektor Pierre Krähenbühl. Der Schweizer leitet die Organisation seit 2014, zuvor war er für das Internationale Komitee des Roten Kreuzes tätig.

Foto: MartialTrezzini/Keystone/AP Photo

Die USA waren im Jahr 2017 laut vorläufigen Zahlen des UNRWA – endgültige Daten liegen erst im Lauf des Februar vor – der größte Geldgeber des Palästinenserhilfswerks.

Wien/Brüssel – Nach der drastischen Kürzung der US-Zahlungen an das UN-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) warnte Pierre Krähenbühl, Generaldirektor der Hilfswerkes, im Gespräch mit dem STANDARD vor Instabilität in der Region – und darüber hinaus. Mehr als fünf Millionen palästinensische Flüchtlinge seien auf das UNRWA angewiesen, laut Krähenbühl eine "Gemeinschaft ohne Perspektiven, ohne politischen Horizont". Wenn dem UNRWA das Geld für Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen fehle, "wird das letzte Stück Würde verschwinden".

Krähenbühl, der das Hilfswerk seit 2014 leitet, warnt vor einem erhöhten Risiko für Radikalisierung – und vor einer Fluchtbewegung in Richtung Europa. Jene Palästinenser, "die keine Zukunftsperspektive mehr haben", würden möglicherweise nicht in der Region bleiben.

Das UNRWA bietet Unterstützung für Palästinenser in Jordanien, Syrien, dem Libanon, im Gazastreifen und im Westjordanland, die entweder selbst nach dem arabisch-israelischen Krieg 1948/49 geflohen oder Nachkommen der Geflohenen sind. Israels Premier Benjamin Netanjahu kritisiert immer wieder, dass das UNRWA eigens für die Palästinenser geschaffen worden sei, während sich das UN-Hilfswerk UNHCR um andere Flüchtlinge kümmere. Allerdings gebe es hier zwei "ganz klar getrennte Mandate", sagt Krähenbühl. Und UNRWA stelle im Vergleich zum UNHCR auch Bildungseinrichtungen bereit und betreibe etwa 700 Schulen. Was Ausbildung, Gesundheitsversorgung und Jobs betrifft, sind Palästinenser – etwa im Libanon – oft Diskriminierung ausgesetzt.

Gelder früher überwiesen

Unmittelbare Konsequenzen hatte das Ausbleiben der 300 Millionen US-Dollar (rund 241 Millionen Euro) aus den USA auf die UNRWA-Kernaktivitäten bisher nicht, sagt Krähenbühl. Denn andere Hauptgeldgeber seien bereit gewesen, ihre Beiträge früher zu überweisen. Die Überweisungen etwa aus der Schweiz, Deutschland und Schweden würden dem UNRWA erst einmal etwas Zeit geben. Bisher gab es aber lediglich Zusagen für frühere, nicht jedoch für höhere Beträge. Krähenbühl befürchtet deshalb "in den nächsten Wochen und Monaten" für das Hilfswerk "ganz wesentliche Schwierigkeiten".

Das UNRWA, das sich mit bis zu 97 Prozent aus freiwilligen Hilfszahlungen finanziert, startete deshalb vergangene Woche einen weltweiten Spendenaufruf, diese Woche fanden Gespräche zwischen Krähenbühl und EU-Spitzen wie der Außenbeauftragten Federica Mogherini und Nachbarschaftskommissar Johannes Hahn statt. Mogherini kündigte am Mittwoch zwar eine Aufstockung der EU-Hilfen an die Palästinenser an – direkte zusätzliche Gelder an das UNRWA allerdings nicht. Wesentlich sind vonseiten Brüssels Krähenbühl zufolge aber ohnehin politischer Einfluss und Unterstützung, um den Dialog mit potenziellen finanziellen Partnern zu schaffen.

Mehr von den Golfstaaten

Krähenbühl nimmt hier vor allem die Golfstaaten in die Pflicht: Es wäre etwa wichtig, dass Länder wie Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Katar und Kuwait "nicht nur jährlich einen kleinen Beitrag zu unseren Hauptaktivitäten, sondern in regelmäßigem Abstand und über mehrere Jahre einen größeren Beitrag leisten würden".

Vor etwa zwei Wochen hatte die Regierung von US-Präsident Donald Trump angekündigt, Mittel in Höhe von rund 65 Millionen Dollar (52,3 Millionen Euro) einzufrieren – gut die Hälfte der ersten Tranche der für dieses Jahr vorgesehenen US-Hilfe an das UNRWA. Die USA begründeten den Schritt mit der fehlenden Bereitschaft der Palästinenser zu Friedensverhandlungen mit Israel – was Krähenbühl nicht nachvollziehen kann. Es sei "ja nicht das erste Mal in der Geschichte, dass es Meinungsverschiedenheiten zwischen den Parteien" gebe, so der UNRWA-Direktor. "Humanitäre Gelder sollte man aber vor der Politik schützen." (Noura Maan, 31.1.2018)