Experten sehen keinen Aufwärtstrend im Skisport.

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Linz – Es war in Kinder- und Jugendtagen stets ein Fixpunkt im familiären Jahreskalender: Der Ski-Urlaub. Am Tag der Semesterzeugnis-Verteilung ist man quasi schon mit der Ski-Unterwäsche in die Schule gekommen und der Erhalt des Halbjahresergebnisses wurde fast zur Nebensache. Denn vor den Schultoren parkte bereits Vaters Opel Ascona. Die Ski am Dachträger fixiert, die Stimmung im Wageninneren angesichts einer drohenden Staugefahr meist deutlich angespannt.

Doch je näher das Dachsteinmassiv rückte, umso größer wurde auch die Freude auf die bevorstehende Schneewoche. Das Ziel war stets Gosau. Konkret die kleine Frühstückspension von Tante Hilde und Onkel Peter. Vor allem Letzterer war für Kinderaugen ein mächtiges Erscheinungsbild: Ein Bär von einem Mann mit einem Vollbart, dessen Dichtheit mit dem Dschungel von Eschnapur locker mithalten konnte. Und ein begnadeter Skifahrer. Im Pisteneinsatz meist mit kleinen Eiszapfen im Gesichtsbewuchs und immer mit einer Tafel Schokolade und einem Liter Milch als Proviant im Rucksack.

Erbsenkaiser

Ja, Skifahren war damals vor allem auch ein Abenteuer. Von Sesselliften mit beheizten Sitzen war man noch weit weg, ebenso waren die elektronischen Liftkarten noch Zukunftsmusik. Dafür lehnte an jeder Station ein Liftler mit sonnengegerbter Haut und Falten, tief wie die Täler der Alpen. Die Skischuhe nahmen die kleinen Kinderzehen kräftig in die Mangel. Doch Schmerzen spielten aber angesichts der Anspannung vor den notwendigen Schleppliftfahrten meist eine untergeordnete Rolle.

Man nahm die Strapazen auch als Kind auf sich – jeden Tag dieser Skiwoche. Und das genau aus einem Grund: Weil es jedes Mal ein unglaublich erhebendes Gefühl war, nach den Mühen des Aufstiegs und der Fahrten über Eis und Schnee vor der Hütte die Ski abzuschnallen. Dort, wo sich damals noch die Spreu vom Weizen trennte. Am Berg die echten Helden, im Tal die Sumsilift-Verlierer. Winterlicher Hochmut bei Erbsen-Würstl-Suppe und Skiwasser.

Ohne Pflicht keine Kür

Viel hat sich seit diesen Kindertagen getan. Dahingeschmolzen scheint vor allem die Selbstverständlichkeit, im Winter regelmäßig in die Bindung zu steigen. Viele Österreicher können oder wollen sich das Skivergnügen nicht mehr leisten. Hinzu kommt, dass der Brettl‘-Nachwuchs zunehmend ausbleibt. Seit vor gut 20 Jahren die Schulskikurs-Pflicht abgeschafft wurde, geht die Zahl der Neueinsteiger kontinuierlich zurück.

Die Gründe für die stetig steigenden Preise an den Liftkassen – rund 51 Euro kostet heute eine Tageskarte in den großen Skigebieten – liegen vor allem im immer größer werdenden Aufwand, die Pisten künstlich weiß zu halten. Der Klimawandel ist auch für den Wintertourismus, an dem in Österreich rund 250.000 Jobs und gut zwölf Milliarden Euro Umsatz hängen, eine echte Bedrohung.

Doch wer zahlt, bekommt heute im Carver-Paradies natürlich auch einiges geboten: Beheizte Lifte, Vier-Sterne-Skihütten mit Filetspitzen statt Germknödel, perfekte Pisten in unglaublicher Länge, neue Hotels statt Selbstversorgerhütten. Und selbst die Kleinsten werden heute mit dem Smiley-Snowmobil direkt von der Unterkunft zum Kinderskikurs gebracht und tragen im Einsatz beheizbare Socken, die sich über Papa‘s Handy steuern lassen.

62 Prozent fahren nie Ski

Es drängt sich nur eine Frage auf: Haben die Schneekanonen nicht längst den klassischen Volksport Skifahren ins Aus geschossen? Fährt heute nur mehr die Elite voll auf der Kante und die breite Masse hat die Ski längst in den Keller gestellt?

Für Peter Zellmann, Leiter des Instituts für Freizeit- und Tourismusforschung, stellt sich interessanterweise die Frage nach dem Volkssport mit Ablaufdatum erst gar nicht: "Ganz einfach deswegen, weil das Skifahren eigentlich nie ein klassischer Volkssport war und es heute noch weniger ist. Wenn man davon ausgeht, dass vor 25 Jahren bereits 40 Prozent der Menschen angegeben haben, nie Ski zu fahren, dann ist schon damals der Begriff Volkssport mit Augenzwinkern zu sehen. Um von einem Volksport reden zu können, sollte diesen doch eine Mehrheit ausüben. Und das ist in Österreich etwa beim Wandern oder Radfahren der Fall."

Der Anteil der Nicht-Skifahrer sei in den letzten Jahrzehnten dann deutlich gestiegen. Zellmann: "Derzeit liegen wir bei rund 62 Prozent. Da muss man ehrlich sagen, dass der Mythos ‚Volkssport‘ endgültig dahin ist." Aus Sicht des Freizeitforschers sei es aber wichtig, zwischen der "Tagesaktivität Skifahren" und dem klassischen Skiurlaub zu unterscheiden.

Zellmann: "Der Ausstieg erfolgt in großstadtnahen Gebieten nämlich vor allem in dem Bereich Tagesausflug. Dort hat sich in den letzten Jahren das ‚Nicht mehr-Skifahren‘ abgespielt. Und die viel zitierte Teuerung ist für diesen Bereich zweit- wenn nicht drittrangig. Es ist vielmehr die emotionale Nähe verloren gegangen. Und die Teuerung ist der allgemeine rationale Aspekt. Motto: Was man nicht gerne macht, ist einem schnell auch zu teuer."

Geografisch gesehen, ist der alpine Ausstieg im westlichen Österreich deutlich geringer – "von 40 auf 48 Prozent" ¬ ausgefallen: "Dort, wo ich die Möglichkeiten vor der Haustüre habe, nehme ich diese auch eher Anspruch."

Kein finanzielles Problem

Doch wo ist die Liebe zum Schnee auf der Strecke geblieben? Zellmann: "Es hat sicher mit dem Ende der Skikurspflicht begonnen – Schulskikurs und Weihnachten war der Winter. Wir haben den Kindern seit den 90er-Jahren nicht mehr so selbstverständlich Skifahren gelernt, wie das eben früher der Fall war. Man hat den Kindern in den Ballungszentren einfach die Freude daran genommen. Und haben jetzt die erste Eltern-Generation, die nicht mehr Skifahren gelernt hat. Das ist der emotionale Ausstieg. Die Menschen sind nicht beleidigt, weil es so teuer ist oder frustriert, weil kein Schnee liegt. Die Identität ‚Im Winter geht man auf die Piste‘ ist verloren gegangen. Und das Geld ist für andere Sache sehr wohl vorhanden und für den Skilauf eben nicht."

Entschieden anders stellt sich aus Sicht der Freizeitforschung die Situation im Bereich der mehrtägigen Pistengaudi dar: "Ein Skiurlaub war immer ein Angebot für die gehobene Mittelschicht. Da hat sich auch nichts verändert. Und dieses obere Drittel ist von den Teuerungen noch nicht beeindruckt und fährt daher unverändert gerne Ski."

Umgelegt auf die einzelne Person habe eine Woche Skiurlaub in den 80er-Jahren rund 40 Prozent eines durchschnittlichen Monatsgehalts gekostet. Zellmann: "Heute liegen wir bei etwas mehr als 50 Prozent für ein durchschnittliches Quartier. Der Skiurlaub einer Familie mit zwei Kindern hat immer das Monatsbudget überschritten."

Doch auch bei der schneebegeisterten Oberschicht sitzt mitunter schon der Sparefroh am Sessellift. Es gebe, so Zellmann, einen deutlichen Trend hin zu einer kürzeren Aufenthaltsdauer: "Es fährt heute kaum wer mehr sieben Tage auf Skiurlaub. Eher drei bis vier Tage."

Um entsprechend gegenzusteuern, sei eine Aufwertung der kleineren Skigebiete enorm wichtig. Zellmann: "Dort muss man investieren. Die Lust auf das Skifahren muss in den jungen Familien geweckt werden. Wirtschaft und Politik sind gefordert, sich gut zu überlegen, ob eine identitätsstiftende ehemalige Volkssportart nicht auch volkswirtschaftlich von so großer Bedeutung ist, dass man sich einen endgültigen Ausstieg noch zweimal überlegen sollte."

Skirennen für Oldies

Franz Schenner, ehemaliger Chef von "Blizzard" und heute Sprecher des "Netzwerks Winter" – einer nationalen Plattform für Wintersport und Tourismus – unterscheidet zwischen aktiven und passivem Volkssport: "Wenn wir vom Skirennsport ausgehen, dann sehen sich die zuschauenden Österreicher natürlich als große Skination. Da gewinnen wir und zeigen der Welt, was wir können. Faktum ist aber auch: Mit dem öffentlich-rechtlichen Angebot erwischen wir die Jugend nicht mehr. Wir bedienen mit diesen Live-Ski-Events eigentlich die Zielgruppe 60 Plus."

Man müsse sich daher fragen, wie man die Kinder wieder in den Schnee bekommt. Schenner: "Eigentlich hätte die Abschaffung der Schulskikurse der Weckruf sein müssen. Doch die Antwort auf die Frage, wie schaffen wir den Sprung vom Müssen zum Wollen, wurde verschlafen. Da hat auch in den 90er Jahren die Bildsprache nicht gepasst. Wer cool war, ist auf das Snowboard umgestiegen. Und das Bild der Skifahrer war oft das einer Menschenmenge, die Schlager grölend irgendwo im Zielraum herumtorkelt. Nur damit begeistert man keine junge Menschen für das Skifahren."

Angst vor künftig leeren Pisten hat Schenner trotzdem nicht: "Ein Blick auf die Skier-Days – also die Anzahl der Skifahrertage – zeigt, dass wir mit 52 Millionen einen Rekordstand haben. Natürlich gehen uns dabei ein paar Österreicher ab. Aber diese heimischen Abgänge haben wir durch die Öffnung des Eisernen Vorhangs kompensiert. Das war ein glücklicher Umstand, dass plötzlich die osteuropäischen Länder frei herumreisen durften. Und dadurch sind Leute zu uns gekommen, die sich den Sport auch leisten können und wollen."

Der Salzburger sieht daher den Skisport "überhaupt nicht in der Krise". Schenner: "Wir verdienen im Winter das Geld, damit wir uns den Sommertourismus leisten können." Und: "Wir brauchen uns für unsere Preisgestaltung nicht entschuldigen. Was wir bieten, ist auch das Geld wert." (Markus Rohrhofer, 3.2.2018)