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Dokumentenaustausch während eines Besuchs des türkischen Staatschefs Erdoğan in Belgrad im Herbst 2017. Das Verhältnis zur EU würde Erdoğan gern normalisieren. Auch die Europäer haben ein Interesse daran. Beide wollen insgeheim das Beitrittsproblem zur Seite schieben.

Foto: AP / Darko Vojinovic

Ankara/Athen – Im Koalitionsvertrag steht es schwarz auf weiß: "Keine Zustimmung zu einem EU-Beitritt der Türkei. Verbündete zur Erreichung des endgültigen Abbruchs der EU-Beitrittsverhandlungen zugunsten eines europäisch-türkischen Nachbarschaftskonzeptes werden gesucht." Und dennoch läuft der Antrittsbesuch der neuen österreichischen Außenministerin in Istanbul Ende Jänner ausgezeichnet. "Wir haben aufrichtig miteinander gesprochen", sagt Amtskollege Mevlüt Çavuşoğlu und grinst. Das "Zentrum des Rassismus und der Islamophobie in Europa" hatte er Österreich noch kürzlich genannt. Jetzt ist Europa wieder prima für die Türkei.

Selbst eine von der rechtsgerichteten FPÖ nominierte Ministerin stört die Türken nicht mehr. Während das Verhältnis zu den USA nur jeden Tag schlechter wird, ist die türkische Führung um Entspannung mit den Europäern bemüht. Das gilt besonders für jene drei Staaten, mit denen Ankara im Ton bis dahin besonders harte Auseinandersetzungen geführt hatte: Deutschland, Österreich und die Niederlande. Auch Belgien und Dänemark gerieten im vergangenen Jahr ins Visier des autoritär regierenden türkischen Staatschefs Tayyip Erdoğan.

Für 2018 aber hat die Türkei ein großes Ziel in der Europapolitik: den Beginn von Verhandlungen über eine Erweiterung der Zollunion mit der EU. Die Visaliberalisierung für Reisen nach Europa ist nach Einschätzung von Beobachtern eher zweitrangig. Die Fortsetzung der Beitrittsverhandlungen mit Kapitelöffnungen aber haben die Türken abgehakt, auch wenn EU-Minister Ömer Çelik unverdrossen das Gegenteil behauptet. Allerspätestens nach dem Besuch Erdoğans in Paris im Jänner und den nüchternen Worten seines Gastgebers Emmanuel Macron ist klar: Das Projekt EU-Beitritt der Türkei ist derzeit für beide Seiten politisch unproduktiv. Es erschwert für die Europäer nur die Zusammenarbeit mit Ankara in zwei essenziellen Fragen: Terrorismusbekämpfung und Flüchtlingskrise.

EU-Türkei-Gipfel

Ein EU-Türkei-Gipfel noch im ersten Halbjahr oder danach, während der österreichischen Ratspräsidentschaft, könnte – so heißt es – einen Handel mit Ankara bringen: neue Zollunion gegen Fortsetzung und Ausbau des Flüchtlingspakts wie der Zusammenarbeit bei der inneren Sicherheit. Ein Mandat für die Modernisierung der mehr als 20 Jahre alten Zollunion hat die EU-Kommission seit Dezember 2016 in der Schublade. Die Staats- und Regierungschefs der EU haben es noch nicht angenommen, denn vor allem Deutschland legt sich quer.

Berlin will Erdoğan kein "politisches Geschenk" machen, solange deutsche Staatsbürger in Haft gehalten werden. Sieben bis acht solcher Fälle, die von der deutschen Regierung als politisch motiviert eingeschätzt werden, gibt es derzeit noch in türkischen Gefängnissen. Ganz oben auf der Liste Berlins steht die Freilassung des Korrespondenten Deniz Yüzel.

Die Ausweitung der Zollunion auf Landwirtschaftsprodukte, Dienstleistungen und öffentliche Ausschreibungen könnte der Türkei einen Zuwachs von 1,4 Prozent der Wirtschaftsleistung oder 12,5 Milliarden Euro bringen; aufseiten der EU wird der Gewinn auf 5,4 Milliarden Euro oder 0,01 Prozent des BIP geschätzt. Befürworter einer Modernisierung der Zollunion machen geltend, dass eine solche Reform zwangsläufig neue Verpflichtungen für die türkische Führung mit sich brächte und den Rechtsstaat wieder stärken würde.

Dünnhäutige Führung

Die Vielzahl der Zeitungen im Land, die der türkischen Regierung zugerechnet werden, fahren auf ihren Titelseiten nun keine Kampagnen mehr gegen Europa als angeblichen Schutzhafen für türkische Staatsfeinde und Terroristen. Doch das heißt nicht, dass die neue Freundlichkeit nicht jeden Tag wieder kippen könnte. Der Präsidentenpalast reagiert sensibel auf jegliche Kritik.

Die jüngsten Friktionen zwischen Berlin und Ankara wegen der türkischen Militärintervention in der syrischen Provinz Afrin und der Modernisierung deutscher Leopard-Panzer, die dort eingesetzt werden, bestätigen nur diese vorsichtige Einschätzung. Die Deutschen verschoben eine Entscheidung über die technische Aufrüstung der Panzer auf die Zeit nach der Bildung einer neuen Regierungskoalition.

Die türkische Regierung das Gesicht wahren lassen ist zu einer pragmatischen Linie der Regierungen in der EU geworden. So tun die Europäer nach außen hin, als sei die türkische Justiz unabhängig. Gleichzeitig sind sie sich aber bewusst, dass in politisch wichtigen Strafverfahren in der Türkei mittlerweile keine Richterentscheidung ohne Weisung aus dem Präsidentenpalast fällt. Fälle wie jener des Leiters von Amnesty International in der Türkei machen den Neustart mit Europa allerdings schwer: Taner Kiliç ist am Mittwoch aus der U-Haft freigelassen und nur Stunden später erneut festgenommen worden. (Markus Bernath, 2.2.2018)