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Alljährliches Gedenken in Polen: Am 27. Jänner 1945 wurde das deutsche Konzentrationslager Auschwitz von der Roten Armee befreit.

Foto: REUTERS/Kacper Pempel

In einem Raum in Polens staatlichem Institut für Nationales Gedenken (IPN) am Warschauer Stadtrand steht eine große gläserne Kiste, prall gefüllt mit abertausenden Papierschnipseln. Die geschredderten Akten sollen den Versuch der ehemaligen kommunistischen Behörden symbolisieren, am Ende ihrer Herrschaft noch rasch Spuren von Machtmissbrauch und Spitzelwesen zu beseitigen.

Wegen des Vorwurfs, unliebsame Aspekte der eigenen Geschichte auszublenden, steht nun aber auch die aktuelle polnische Regierung international massiv in der Kritik. Hintergrund: In der Nacht auf Donnerstag hat der Senat, die zweite Kammer des Parlaments, ein umstrittenes Holocaust-Gesetz abgesegnet. Wer etwa "öffentlich der polnischen Nation oder dem polnischen Staat faktenwidrig die Verantwortung oder Mitverantwortung für Verbrechen zuschreibt, die durch das Dritte Deutsche Reich begangen wurden", muss künftig mit einer Geldbuße oder mit bis zu drei Jahren Haft rechnen. Zuvor hatte bereits der Sejm die Regelung mit großer Mehrheit angenommen.

In beiden Kammern hat die nationalkonservative Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) die Mehrheit. Das Gesetz muss nun nur noch von Präsident Andrzej Duda unterzeichnet werden, um in Kraft treten zu können.

Proteste aus Israel

Vor allem aus Israel kamen am Donnerstag heftige Reaktionen. Das Gesetz stelle "ein Abstreifen der eigenen Verantwortung dar und eine Verleugnung von Polens Anteil am Holocaust an den Juden", erklärte etwa der israelische Geheimdienstminister Israel Katz.

Besonderen Ärger rief der Umstand hervor, dass beide Seiten nur wenige Tage vor der Senatsentscheidung übereingekommen waren, vorerst im Gespräch zu bleiben. Israels Premier Benjamin Netanjahu und sein polnischer Kollege Mateusz Morawiecki hatten laut Angaben der israelischen Regierung erst am Sonntagabend in einem Telefonat vereinbart, "unverzüglich einen Dialog zu eröffnen". Jede Seite werde eine Delegation benennen.

"Das Gesetz ist inakzeptabel und spuckt Israel gleich zweimal ins Gesicht", sagte daher die ehemalige Außenministerin Zipi Livni. "Einmal in das des jüdischen Volkes und einmal in das des Premierministers, der erklärt hatte, eine Übereinkunft mit den Polen geschlossen zu haben."

Auch das US-Außenministerium hatte Polen vor der Abstimmung im Senat aufgefordert, den Gesetzesentwurf nochmals zu überarbeiten. Meinungsfreiheit und wissenschaftliche Forschung könnten eingeschränkt werden, so die Befürchtung in Washington.

Warschau winkt ab: Polen werde niemals die Forschung zum Holocaust einschränken, sagte Premierminister Morawiecki Donnerstag im Staatsfernsehen TVP.

Auch Kritiker in Polen kann das nicht beruhigen: Das Gesetz sei unpräzise, sagen Wissenschafter des Zentrums für Holocaustforschung der polnischen Akademie der Wissenschaften, und daher "eine Gefahr für das öffentliche Leben und die Debatte über die polnische Vergangenheit".

Kein Diskussionsverbot

Laut Außenminister Jacek Czaputowicz geht es Polen jedoch nicht darum, wissenschaftliche oder künstlerische Diskussionen über den Holocaust zu verbieten. Man wolle sich "gegen unwahre Schuldzuweisungen wehren", so Czaputowicz. Warschau protestiert etwa gegen die falsche Formulierung "polnische Konzentrationslager", wenn von Konzentrationslagern Hitlerdeutschlands im besetzten Polen die Rede ist.

Kritiker sind jedoch eher besorgt, dass nun auch antisemitische Verbrechen von Polen aus Furcht vor dem Gesetz dem Schweigen anheimfallen könnten: "Wir wissen, dass es in den polnischen Dörfern sehr viele Fälle von Polen gab, die Jagd auf Juden machten", sagt etwa David Silberklang, Historiker an der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Viele Juden seien während der nationalsozialistischen Besatzung auch von ihren polnischen Nachbarn beraubt, an die Deutschen ausgeliefert oder vergewaltigt und ermordet worden, so Silberklang.

In Polen gibt es seit Jahren eine heftig geführte Antisemitismusdebatte. Dabei geht es auch um antijüdische Pogrome aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. 2015 hatte der polnische Film Ida den Oscar gewonnen und für Aufregung gesorgt, weil darin eine katholische Nonne ihre jüdischen Wurzeln erkennt – und dahinterkommt, dass ihre Eltern von Polen ermordet wurden. Im Jahr darauf wurde im südostpolnischen Dorf Markowa dann ein Museum für jene Polen eröffnet, die Juden gerettet haben. (Gerald Schubert, 1.2.2018)