Erschöpfung und ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen: das nennen Experten als mögliche Folgen zu langer Arbeitszeit. In Ausnahmefällen könne der Zwölf-Stunden-Tag aber auch positive Effekte haben.

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Der österreichische Schriftsteller Robert Musil – dessen Werke heute zur Weltliteratur zählen – soll immer nur vier Stunden pro Tag gearbeitet haben.

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Wenn der Kopf frei ist und die Gedanken schweifen, kommen die besten Ideen. Das hat schon Robert Musil entdeckt. Der bedeutende österreichische Schriftsteller fand für sich heraus, dass er nur vier Stunden am Tag konzentriert arbeiten könne. Die restliche Zeit des Tages verbrachte er mit Spaziergängen oder damit, Briefe zu schreiben. "Erfolgreiche Schriftsteller arbeiten meist drei bis vier Stunden, und dann ruhen sie sich aus. Jene, die mehr arbeiten, sind nicht produktiver", sagt der schwedische Arbeitspsychologe Anders Ericsson, der in Studien bestätigen konnte: Konzentration hat Grenzen, ist zeitlich limitiert.

Das gilt nicht nur für Schreiber. Spätestens ab der zehnten Tagesarbeitsstunde entsteht bei jedem Menschen ein deutlicher Leistungsknick, inklusive erhöhter Unfallgefahr im Beruf oder im Straßenverkehr – das hat eine im März 2017 erschienene Studie des Zentrums für Public Health in Wien ergeben. Kritisch wird es schon nach der siebten und achten Arbeitsstunde: Ab dann nehme das Unfallrisiko exponentiell zu, sagt eine andere Studie aus Deutschland.

Fehler rutschen durch

Der Neurowissenschafter Henning Beck erklärt, warum: "Wenn wir arbeiten, erzeugt das Gehirn viele Gedanken. Die vernünftigen werden priorisiert, die fehlerhaften blockiert. Dieser Filter wird durchlässiger, wenn wir zu lange arbeiten." Fehler rutschen durch, Unfälle passieren.

"Die Vorstellung, dass man sich über mehrere Stunden konzentrieren kann, ist eine Illusion", sagt der Wiener Neurologe Wolfgang Lalouschek. Vor allem jene kognitiven Fähigkeiten, die für qualitatives Arbeiten nötig sind, seien nach einer so langen Zeit erschöpft. Monotone Tätigkeiten könnten länger durchgeführt werden, "aber selbst als Kassier an der Supermarktkasse braucht man regelmäßig Pausen", so Lalouschek.

Laut australischen Forschern könnten die kognitiven Fähigkeiten nach einer gewissen Anzahl an Arbeitsstunden sogar abnehmen. In einem 2016 durchgeführten Experiment stellten sie fest, dass Arbeiten das Gehirn nur bei etwa 25 Arbeitsstunden pro Woche fit hält. Wer wöchentlich mehr als 40 Stunden arbeitet, habe sogar schlechtere kognitive Fähigkeiten als jemand, der gar nicht arbeitet: Er sei unaufmerksamer, gute Ideen blieben aus.

Wie lange kann man produktiv sein?

"Konzentriert man sich, hält man sich Informationen im Arbeitsgedächtnis warm", erklärt Neurowissenschafter Beck. Dieses ist aber irgendwann voll. "Ähnlich wie bei einem Schreibtisch. Da kann ich nur eine gewisse Anzahl an Zetteln ablegen." Die Folge: "Das Gehirn entsorgt Dinge, es vergisst – um des Chaos wieder Herr zu werden."

"Grundsätzlich sind kürzere Arbeitstage produktiver als längere", bestätigt Lalouschek. Gleichzeitig hat die neue Regierung die tägliche Höchstgrenze der Arbeitszeit auf zwölf Stunden angehoben. Aber kann man überhaupt so lange produktiv sein?

Keine Maschine

"Zwölf Stunden durchgehend konzentriert zu arbeiten ist unmöglich", meint Neurowissenschafter Beck. "Ein Gehirn arbeitet ja nicht rund um die Uhr gleichbleibend wie eine Maschine." Gerade die Kapazitäten von Wissensarbeitern würden häufig überschätzt, ihre Tätigkeit gelte als weniger hart. "Bei körperlicher Arbeit, zum Beispiel am Bau, ist klar, dass das niemand zwölf Stunden am Stück machen kann."

Ein Zwölf-Stunden-Tag führt zu einer erheblichen Ermüdung, heißt es in der Studie des Zentrums für Public Health: "Die Erholung am Tagesrand reicht in diesem Fall nicht aus." Das schränkt die Lebensqualität unter der Woche erheblich ein, die Regeneration wird auf das Wochenende verschoben. Die Studie rechnet vor: Nach zwei aufeinanderfolgenden Tagen mit je zwölf Stunden Arbeit müsste man drei Tage freinehmen, um sich vollständig zu erholen.

Sechs statt acht Stunden

Wer auch noch Familie hat, ist besonders gestresst. In diesem Fall empfiehlt Lalouschek nur sechs Stunden konzentrierte Arbeit täglich – andernfalls führen diese wiederholten Erschöpfungszustände zu einem erhöhten Risiko für psychische und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Lalouschek, der Unternehmen in medizinischen Belangen berät, prognostiziert jenen Betrieben, die nun den Zwölf-Stunden-Tag, vielleicht schleichend und gegen den Willen der Arbeitnehmer, zur Regel machen wollen, hohe Fluktuation und vermehrte Krankenstände.

In Ausnahmefällen könne der Zwölf-Stunden-Tag aber auch positive Effekte haben. Arbeitnehmer könnten sich ihre Arbeitszeit flexibler einteilen, länger Urlaub machen. Voraussetzung dafür: dass sie mitbestimmen können, wann und wie oft sie länger arbeiten.

Weniger Arbeit = mehr Zufriedenheit

Was ist nun die ideale tägliche Arbeitszeit? Dazu wird weltweit experimentiert. Der Trend geht in Richtung weniger Stunden, etwa aktuell in Bielefeld. Selbst der US-Onlinehändler Amazon testete kürzere Arbeitstage und -wochen: Vergangenen September arbeiteten einige Dutzend Angestellte nur von 10 bis 14 Uhr, Montag bis Donnerstag. Längerfristig mache das Menschen produktiver – wovon schließlich auch Arbeitgeber profitierten, sagt Psychologe Ericsson. Der Nachweis dafür wurde in einem Göteborger Toyota-Werk erbracht: Nach Reduzierung der wöchentlichen Arbeitsstunden von 40 auf 30 stieg der Profit um 25 Prozent.

Weniger Arbeit macht aber tatsächlich auch zufriedener – das stellte sich in einem anderen Göteborger Projekt heraus. In einem Pflegeheim wurden 2015 die täglichen Arbeitsstunden auf sechs reduziert. Das Projekt wurde zwar aufgrund der zu hohen Kosten gestoppt, aber, wie der stellvertretende Bürgermeister erzählte: "Die Bewohner bezeichnen sich als besser betreut, die Pflegenden als gesünder und glücklicher." (Lisa Breit, Bernadette Redl, 3.2.2018)