Berühmt für sein Schinkenbrot mit Kren ist das Schwarze Kameel, aber: "Ein tolles Omelett zum Frühstück haben sie hier auch."

Foto: Heribert Corn

Natürlich kenne ich das Schwarze Kameel, sage ich, als man mich bittet, etwas darüber zu schreiben. Aber dann stehe ich vor dem Finsteren Stern, zwar auch erster Bezirk und auch Golden Quarter, aber finster ist nicht schwarz und ein Stern kein Kameel. Also wo ist das noch mal genau? In der Parisergasse führt mich ausgerechnet ein Kärntner auf den rechten Weg: "Dort links ist das Kameel, nicht rechts!" Kommt in diesen Tagen auch selten vor, dass einen ein Kärntner nach links schickt.

Das Schöne am Blindsein ist ja, dass man eben doch manchmal sehend wird. Aber als ich in der Bognergasse endlich vor diesem ausgesprochen beliebten und gut frequentierten Genusstempel stehe und ihn über den Nichtraucherbereich betrete, merke ich, dass ich nicht nur blind war, sondern auch vollkommen unwissend!

Bei den Nichtrauchern sitzen um 17 Uhr viele aus dem ÖVP-Schülernachwuchsbereich mit Lust auf Mehlspeise und zusammen mit ihren Urgroßmüttern, die alle noch nichts oder nichts mehr zu arbeiten haben – akkurat frisiert sind sie alle! Und Gerald Matt ist auch da, aber der setzt sich gerade seinen weltberühmten Hut auf, als ich eintrete, und geht hinaus auf die Bognergasse wie eine rüstige Oma. "Habe die Ehre!"

Das Wort "Döbling" ist es, das am häufigsten zu fallen scheint im Schwarzen Kameel in der Wiener Innenstadt. 400 Jahre alt wird die berühmte Restauration 2018.
Foto: Heribert Corn

After work, after Immobiliendeal

Von H.-C. Strache wissen wir, was uns die Ausländer kosten, aber auch, dass die Raucher die gemütlicheren Leute sind. Er hat in wenigem recht, aber in dem schon. Einer von geschätzten 100 Kellnern hier, alle im weißen Jackett und mit roter Krawatte und unter der Regie des sehr beeindruckenden Maître Gensbichler, der aussieht wie der jüngere Bruder von Adalbert Stifter, schickt mich zu ihnen. "Danke!" "Bitte!"

Dort sitzen und stehen um diese Zeit viele Nachmittagstschecheranten: after work, after office. After Immobiliendeal. Einen solchen, erzählt mir ein wissender Tschecherant, tätigte 1618 ein gewisser Johann Baptist Cameel und richtete hier in der Bognergasse 5 eine Gewürzkrämerei ein. In Anspielung auf seinen Nachnamen gab er dem Laden den bis heute geführten Namen Kameel. Heuer feiert das Lokal also seinen 400. Geburtstag, und deswegen sind wir hier. Und deswegen hat das Kameel zwei e.

Ich betrachte die berühmten Brötchen hinter der Budel, die von einer Fachkraft mit einer Umsicht verwaltet werden, die einen denken lässt, für diesen Job bräuchte es eine mehrjährige Ausbildung auf höheren Schulen. Würden die Brötchen nicht immer sofort verputzt werden, kaum dass sie von Personal, das aus fernen Ländern stammt, hereingebracht wurden, wären sie vermutlich schön eingeselcht vom Rauch der Winstons, die hier von den meisten Damen geraucht werden. Dabei wären hier doch eigentlich – sorry – Camels die passende Marke, oder?

Ein Kameel mit zwei e

"Noch versteht man sein eigenes Wort!", höre ich deutlich eine Einsame im schwarzen Pelz mit schwarzen Handschuhen und schwarzen Haaren sagen, die jetzt neben einer der roten Vasen zu stehen kommt. Ihre Brillenbügel sind vorschriftsmäßig über zwei Zentimeter breit, wie die aller anderen Damenbrillenbügel hier auch, solche Brillengestelle sieht man sonst nicht einmal auf Tinder-Profilen, und dort sieht man eigentlich alles. Die feine, die schon etwas ältere Innenstadtdame aber tindert nicht, sie geht ins Kameel und hält hier Ausschau nach "Gesellschaft". Heute ist ja Philharmonikerball, also wer weiß?

Ich selbst ergattere einen Hocker an einem braunen Stehtischchen in der Nähe der Toiletten und sitze nun vor dem Blaufränkischen mit Namen Ried Fabian, der über der Quittenmarmelade im braunen Regal steht. Auch im Raucherbereich sitzt ÖVP-Parteijugend, obwohl der Chef selbst ja nicht raucht. Einer trägt weißes Hemd, das sehr weit offen steht, und passend einen kamelfarbenem Kamelhaarmantel darüber, den es dort, wo er ihn gekauft hat, aber öfter gegeben haben muss, denn schon kommt einer herein, der den gleichen trägt. Sie schnauben und sind not amused, weil sie sich vielleicht vorkommen wie zwei Damen auf dem Opernball, die das gleiche Kleid tragen und sich darin auf der Stiege begegnen.

Zum Winstonrauch in der Luft mischt sich also reichlich Testosteron, und in dieser schon ziemlich geschwängerten Atmosphäre darf es ein erstes Achterl für mich sein, und ein weiteres für den "Herrn Doktor" neben mir, der in Begleitung dreier Damen in den frühen Abend hineintschechert. Eine der Damen klagt: "Zur Dani geh ich nicht mehr! Man kommt sich dort oft so unerwünscht vor!" Ich denke: Ihre Sorgen, Gnädigste, und dem Herrn Doktor sein Geld möchte ich haben.

Kleidung, die man aus dem Fernsehen kennt

Manchmal ist es ein Segen, wenn man irgendwo noch nicht war, denn das erste Mal ist ja doch immer das schönste: So viele Reiche hier mit rosaroten Cashmerepullovern über gestreiften Hemden! So viele Bürgersleute in schwarzen Steppjacken! Man kennt diese Kleidung aus dem Fernsehen, wenn man sich für Innenpolitik interessiert.

"Ist der Sessel hier frei?" Eine Rotweintrinkerin ist außer sich vor Freude, weil ein Gentleman (ausnahmsweise weißer Pullunder über rosa Hemd) ihn ihr angeboten hat, mit den schönen Worten: "Für dich zerreiß ich mich!" Bevor er das tut, wird er aber sein Haus verkaufen, wie er mehrfach erwähnt, und er wird das so selbstverständlich tun, wie andere auf Willhaben die alten Schischuhe ihrer Kinder verkaufen. Allerdings wird er aufpassen müssen, dass er den zu erwartenden Kaufpreis nicht gleich versäuft, denn so wie der "Herr Doktor" trinkt er dann doch immer wieder "doch noch eines".

Ich tu das auch, und ich bestelle dann endlich drei Brötchen dazu. Besonders das Schinkenbrot mit Kren ist ja zurecht weltberühmt, gefertigt angeblich aus dem "besten Beinschinken Mitteleuropas", einerseits. Aber noch wichtiger beim Schinkenbrot ist ja das Brot darunter andererseits, das in Richtung Gestaubter Wecken gehen muss. Und auch der ist hier: perfekt.

"Na gut, Kinder, ich geh jetzt heim"

Um 17.50 Uhr versteht man dann sein eigenes Wort nicht mehr, und bei den Wörtern der anderen, die man noch versteht, ist es das Wort "Döbling", das am häufigsten zu fallen scheint. Und höre ich irgendwo "70 Millionen"? Und "Geschäftsidee"? Die solches sagen, tragen Frisuren, wie sie KHG in 30 Jahren tragen wird, sollte er den Friseur bis dahin nicht gewechselt haben und sein Haar so silbrig glänzen wie das der selbstbewussten Silberrücken in ihren Nadelstreifanzügen, die vielleicht Strafverteidiger sind, Fachrichtung: Versicherungsbetrug.

Der "Doktor" neben mir geht öfter aufs Klo, als ihm lieb ist, und auch die Damen um ihn herum bemerken das mit Sorge. Nichts gegen einen reichen "Herrn Doktor", aber einer, der ständig aufs Klo muss? Als er zurückkommt, tätschelt er viele Schultern und kündigt an: "Na gut, Kinder, ich geh jetzt heim." Und trinkt dann doch noch eins, so wie auch die lustige Runde daneben.

Wer dann geht, bin ich, hinaus und zurück ins wirkliche Leben: Cartier, Tod's, Julius Meinl am Graben hinauf zum Stephl, wo der Herrgott wohnt und wo vor der U-Bahn ein Bettler sitzt. Ich bin so beschwingt und besoffen vom schönen Leben der Reichen in ihren Wollpullovern und Steppjacke, dass ich ihm gleich einen Zehner in die Hand drücke. Und da glaube ich plötzlich zu wissen, was das Schönste am Reichsein ist – dass es nicht alle sind. (Manfred Rebhandl, 3.2.2018)