Einst in der Sammlung Adenauers beheimatet: Das Feilitzsch-Epitaph, bei dem laut Cranach-Experten nicht nur Lucas d. Ä. den Pinsel führte: 2012 wurde es für 4,29 Mio. Pfund bei Sotheby's versteigert.

Foto: Sotheby's

Konrad Adenauers Leben und Wirken als Politiker und erster Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland (1949 bis 1963) ist ergiebig dokumentiert. Das Wissen um etwaige private Passionen des Staatsmanns ging eher verschütt, darunter seine Erfindungen, beispielsweise die einer Sojawurst 1916, als das Fleisch knapp war, oder die einer von innen beleuchteten "Stopfkugel", die nur von seiner Ehefrau verwendet wurde, da AEG bereits ein gleichartiges Patent angemeldet hatte.

Eine besondere Leidenschaft, die er durch Besuche in Museen auch im Zuge von Staatsbesuchen im Ausland nährte, hegte Adenauer für Kunst. Davon zeugte eine stattliche Sammlung, die fern der Öffentlichkeit ab Ende der 1940er-Jahre in seinem Haus im nordrhein-westfälischen Rhöndorf zu gedeihen begann. Nicht nur über Ankäufe. Im Vorfeld von Adenauers Geburtstagen pflegte sein Sekretariat die Vorstände größerer Unternehmen zu informieren, womit dem Kanzler eine Freude zu machen sei. Zum 80er hatte die deutsche Wirtschaft sogar eine Spendenaktion organisiert, von deren Erlös sich der Regierungschef Kunst aussuchte.

Konrad Adenauer (li.) zu Gast bei Heinz Kisters (re.), der dem Kanzler 17 Jahre lang Kunstwerke verkaufte.
Foto: Repro "Adenauer als Kunstsammler"

Industrielle wie Thyssen-Bornemisza oder andere Schlüsselfiguren der Wirtschaft ließen sich nicht lumpen. Zwischen Staats- und Privatgeschäften zu unterscheiden kam dem Kanzler offenkundig nicht in den Sinn, wie der Journalist und Buchautor Stefan Koldehoff (Die Bilder sind unter uns – Das Geschäft mit der NS-Raubkunst, Eichborn-Verlag 2009) in mehreren Episoden beschreibt.

Der Fokus des gläubigen Katholiken lag auf früher mittelalterlicher Malerei mit christlichen Motiven, wie die 1970 erschienene Publikation Adenauer als Kunstsammler dokumentiert. Als Autor fungierte ein gewisser Heinz Kisters: jener Kunsthändler, der ihn von 1950 an beriet, ihm hochkarätige Gaben seiner Gönner nicht selten abschwatzte und ihm das Gros jener 39 Kunstwerke verkaufte, die sich später in seinem Nachlass befanden.

Adenauer starb im April 1967. Zur Bewertung der Erbschaftssteuer beauftragten seine Söhne den damaligen Direktor der Bayerischen Staatsgemäldesammlung mit einem Gutachten. Laut Koldehoff belief sich die Schätzung auf 469.600 D-Mark – zu wenig für ein Konvolut, in dem sich eigenhändige Werke von El Greco oder Cranach befinden sollten. Tatsächlich waren viele Zuschreibungen eher fragwürdig, anderes fiel in die Kategorie Mittelmaß.

Das vernichtende, teils durch Materialanalysen des Doerner-Instituts (München) gestützte Gutachten zwang Kisters zum Rückkauf von 19 Gemälden für 950.000 D-Mark. Gemeinsam mit anderen Werken aus dem Besitz Kisters' gelangten diese im Juni 1970 bei Christie's in London zur Versteigerung: 36 insgesamt, die sechs Millionen einspielen sollten, allerdings verkauften sich nur fünf für 156.000 D-Mark.

Der Rest wanderte zurück zu Kisters, der schon in den 1960er-Jahren in steuerlich günstigere Schweizer Gefilde übersiedelt war: nach Kreuzlingen, wo er 1977 verstarb und von wo aus sein Sohn Friedrich seither, teilweise über eine im November 2010 gegründete Stiftung, Verkäufe via Auktionshäuser dirigiert. So gelangten in den letzten Jahren immer wieder Werke auf den Markt, die entweder einst in der Sammlung Adenauers beheimatet waren oder der Kollektion seines Vaters zuzuordnen sind.

Das einst der Werkstatt Holbein zugeordnete Werk ("Anna Selbdritt") war im April 1938 vom Kunsthändler Julius Böhler (München) von einer Wienerin in Kommission übernommen worden. Wer der damalige Eigentümer war, ist unbekannt.
Foto: Sotheby's

"Wat Jutes jefischt"

Zur ersten Gruppe gehörte 2012 das altarartige Feilitzsch-Epitaph (Sotheby's: 4,29 Millionen Pfund), bei dem laut Cranach-Experten nicht nur Lucas d. Ä., sondern auch Werkstattmitarbeiter den Pinsel geführt hätten. Oder im Dezember 2017 die um 1510 datierte Darstellung der Gefangennahme Christi (465.000 Pfund) eines unbekannten deutschen Meisters. "Na, da haben Sie aber wat Jutes jefischt", habe Adenauer einst voll Bewunderung angemerkt und das als ein Werk Jan Joest van Kalkars angepriesene Bild erworben.

Dass die Kisters-Provenienz auch problematisch sein kann, zeigt der von Koldehoff geschilderter Fall einer Jan de Cock zugeschriebenen Flucht nach Ägypten, die ebenfalls Adenauer gehörte. 1992 wurde sie als Werk der südniederländischen Schule bei Sotheby's versteigert. 2006 landete das Bild bei Christie's, und Recherchen ergaben, dass es sich einst im Bestand des Düsseldorfer Kunsthändlers Max Stern befunden hatte. Das NS-Regime hatte ihn gezwungen, sein Geschäft zu liquidieren. Vom Erlös der Notverkäufe zahlte er die Reichsfluchtsteuer und emigrierte.

"Na, da haben Sie aber wat Jutes jefischt", merkte Adenauer einst voll Bewunderung an. Im Dezember wechselte die um 1510 datierte Darstellung der Gefangennahme Christi bei Sotheby’s für 465.000 Pfund den Besitzer.
Foto: Sotheby’s

1964 wird Stern vom Land Nordrhein-Westfalen für den "Verschleuderungsschaden" entschädigt. Die von der Gestapo konfiszierte Privatsammlung bleibt verschollen. Seine Erben suchen bis heute an die 350 Werke. Das Bild von de Cock bekommen sie zurück, 2012 wird es bei Christie's für 32.500 Dollar versteigert.

Vergleichbare Fälle wird es im Kisters-Warenbestand einige geben. Der Nachrichtentechniker und Radiofabrikant war als Kunsthändler während des Zweiten Weltkriegs aktiv. Die Geschäfte liefen gut. Zwischen 1941 und 1944 erwarb er etwa 105 Altmeistergemälde aus dem WallrafRichartz-Museum, anderes von Kunsthändlern, etwa von Julius Böhler (München), der auch im Umfeld des "Sonderauftrags Linz" aktiv war.

Wie schwierig sich die Provenienzrecherche bisweilen gestaltet, belegt dieses doppelseitig bemalte Altarfragment. 2014 gastierte es bei einer Ausstellung im Belvedere – als Werk des Meisters von St. Lambrecht. Bei Kisters lief es als Arbeit von Hans von Thübingen. Die Zuordnung vor dem Zweiten Weltkrieg ist ebenso unbekannt wie der damalige Eigentümer.
Foto: Sotheby’s

Wiener Kommissionsware

Über diese Connection gelangt 1951 eine Anna Selbdritt aus der Werkstatt Holbeins in den Besitz Kisters'. Als Werk des Meisters stand diese Tafel am Donnerstag in New York bei Sotheby's im Angebot. Die im Katalog angeführte Provenienzgeschichte war dürftig. Eine detaillierte Recherche war bis zur STANDARD-Anfrage am Dienstag, offenkundig unterblieben. Dabei verwahrt das Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München Archivalien, die teilweise detaillierten Aufschluss über Kisters' Handelsware geben. Dieses Werk etwa wurde 1936 beim Auktionshaus Fischer in Luzern angeboten und landete Ende April 1938 als Kommissionsware bei Böhler: übergeben von einem "Frl. Anna Stiftinger" aus Wien, einer im 6. Bezirk in einem Zinshaus wohnhaften Verkäuferin. Dass sie die Besitzerin war, ist unwahrscheinlich. Ob und in wessen Auftrag sie agierte, ist unbekannt. Die Provenienzangaben wurden von Sotheby's online ergänzt, das Bild für 615.000 Dollar versteigert.

Recherchen zu Kisters "Patienten" gestalten sich manchmal schwierig, da sich die Künstler-zuschreibungen im Laufe der Jahre änderten oder nur unter Notnamen liefen. Wie bei einem doppelseitig bemalten Altarfragment, das zuletzt 2014 als Leihgabe von Kisters in einer Ausstellung im Belvedere zu sehen war: als ein Werk des Meisters von St. Lambrecht. Bei Vater Kisters lief es unter Hans von Thübingen, eine Zuordnung aus den Nachkriegsjahren. Die Bezeichnung davor ist unbekannt, ebenso die Besitzer vor 1938. Im Dezember 2017 wechselte die um 1435/40 in Wien entstandene Geburt Christi (verso Gebet am Ölberg) via Sotheby's London für 297.000 Pfund den Besitzer.

Diese im Dezember 2017 von Sotheby’s in London als Werk von Scheggia (Giovanni di ser Giovanni Guidi) angebotene Darstellung einer Madonna mit Jesuskind ist bei der deutschen "Lost Art"-Datenbank als Verlust aus der Sammlung Neumann gemeldet.
Foto: Standard, Screenshot

Sammlung Neumann

Ein anderes in der gleichen Auktion offeriertes Werk musste kurz vor der Auktion zurückgezogen werden: eine Madonna mit Kind aus dem 15. Jahrhundert von einem gewissen Scheggia. Eine Abfrage der Kunstpreisdatenbank "Artprice" fördert für diesen Künstler auch die Namen Neri di Bicci oder Meister von Fuceccho zutage, die jedoch von Sotheby's ignoriert wurden. Andernfalls hätte man den Eintrag bei "Lostart" nicht übersehen oder wäre im Index von Sophie Lillies Publikation Was einmal war (Czernin-Verlag 2003) fündig geworden: samt Abbildung auf Seite 795 und der Geschichte der Sammlung von Richard und Alice Neumann.

In aller Kürze: Der Familie des Textilfabrikanten gelang die Flucht vor dem NS-Regime. Zuerst nach Frankreich, dann zu Fuß über die Pyrenäen nach Spanien und schließlich nach Kuba. Die für die Ausfuhr gesperrten Kunstwerke landeten 1938 etwa im Kunsthistorischen Museum (Restitution 2010), die freigegebenen nahm man nach Frankreich mit. Dort wurden sie nach 1940 teils Kunsthändlern oder auch anderen Personen zur Aufbewahrung übergeben. Nach dem Krieg fand sich nur ein Bruchteil. Sechs im Louvre verwahrte Objekte wurden 2013 an die Nachfahren restituiert, gut 30 andere gelten bis heute als verschollen. Darunter auch die Madonna Neri di Biccis, zu deren Verbleib sich Sotheby's auf Anfrage nicht äußern wollte. Dem Vernehmen nach sollen Verhandlungen angelaufen sein. (Olga Kronsteiner, 3.2.2018)