Werner Schwab (1958-1994) wäre am Sonntag 60 Jahre alt geworden.

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Graz/Wien – "Es ist, als hätten sich die Müllhalden erhoben und gekreißt", schrieb Helmut Schödel 1991 über Werner Schwabs Volksvernichtung oder Meine Leber ist sinnlos in der deutschen Wochenzeitung Die Zeit. Während Elfriede Jelinek immer wieder den Toten hinterherspürt, so könnte man sagen, tischt ihr Landsmann Schwab bevorzugt den menschlichen Müll noch einmal auf.

Das tat er bis zu seinem frühen Tod in der Silvesternacht 1993/94 in einer ganz eigenen, heute als Schwabisch bezeichneten Sprache, die sich bei Bedarf über die Grammatik hinwegsetzte und dabei Wortschöpfungen hervorbrachte (in Pornogeographie heißt es etwa einmal "enger an einen Körperwitz heranschneidern" oder in Faust :: Mein Brustkorb : Mein Helm in Bezug auf begierige Blicke "die vollgeschaute Dame").

Heuer wäre Werner Schwab sechzig Jahre alt geworden. "Man kann sich vorstellen, was für ein OEuvre wir hätten, wenn er so viel Zeit zum Schreiben gehabt hätte wie zum Beispiel Elfriede Jelinek", sagt Burgtheater-Chefdramaturg Klaus Missbach. Dass Schwabs Werk, nachdem es durchgesetzt war, zu wenig rezipiert worden wäre, erscheint Missbach nicht so. "Es fallen mir nicht viele deutschsprachige Autoren ein, die in den 1990ern geschrieben haben und häufiger gespielt wurden."

Es kommt einiges in Bewegung

Und tatsächlich kommt zum 60. Geburtstag nun einiges in Bewegung. Das Schauspielhaus Graz hat eine taufrische und da-bei exzellente Faust-Produktion im Repertoire, die im Herbst als österreichische Erstaufführung über die Bühne ging. Das Haus begeht den Geburtstag am 4. Februar mit einer Hommage. Das Burgtheater hievt am 10. Februar Die Präsidentinnen von David Bösch (2015) auf den Spielplan und setzt ebenfalls eine Lesung an. Des Weiteren soll es im November eine neue Werner-Schwab-Inszenierung mit Nikolaus Habjan im Burgtheater geben.

Schwab kommt also wieder in die Gänge. Noch das 20. Todesjahr 2014 aber war – abgesehen von den Volkstheater-Präsidentinnen – nahe dran, ohne vermehrtes Gedenkaufkommen zu verstreichen. Wenn dann nicht doch noch eine irrlichternde Hörbuchfassung der Monografie Seele brennt von Autor und Feuilletonist Helmut Schödel eilig aus der Taufe gehoben worden wäre. Das zugrunde liegende, 1995 bei Deuticke erschienene Buch ist und bleibt allerdings vergriffen.

Für Entschädigung sorgt heuer noch ein Dossieronline, das das Franz-Nabl-Institut der Universität Graz herausbringen wird. Seit 2010 verwaltet das Institut den 100 Kisten umfassenden Nachlass. Er soll Originalbeiträge, Wiederabdrucke und Materialien enthalten, "darunter auch die vielen Absagebriefe – nette und weniger nette –, aber auch Zeitzeugeninterviews mit Künstlerfreunden und Weggefährten Schwabs", sagt Daniela Bartens, die mit der Nachlassaufarbeitung befasst ist.

"Kein Archivar seiner selbst"

"Schwab war kein Archivar seiner selbst", erklärt sie die Schwierigkeiten bei der Sichtung und Ordnung. Es stehe noch vieles zu entdecken an. Unter anderem noch etliches Unveröffentlichte zum Waldheim-Komplex, von Schwab als Präsidialer Surrealismus bezeichnet.

Besonders wertvoll ist das enthaltene Inszenierungsarchiv. 200 Inszenierungen wurden bis 2014 gezählt, davon 150 im deutschsprachigen Raum, so Bartens. Von den bis zu seinem Tod publizierten 14 Stücken sind Die Präsidentinnen mit Abstand das meistgespielte. Eine Fokussierung, die auch als ignorant kritisiert wird.

Im kommenden Herbst soll des Weiteren Band fünf der bei Droschl auf insgesamt elf Bände angelegten, von Schwab-Witwe Ingeborg Orthofer herausgegebenen Werkausgabe erscheinen: Frühe Stücke und Lieder. Es handelt sich hierbei um Erstveröffentlichungen aus dem Nachlass, deren Edition aufwendig sei, so Verlegerin Annette Knoch, darunter auch Typoskripte mit handschriftlichen Ergänzungen, in teilweise mehreren Fassungen. In gedruckter Form liegen Schwabs Werke übrigens in 18 Sprachen vor.

Die Auseinandersetzung mit Schwab geht zunehmend über die Dramentexte hinaus. Schwab hat sich auch als bildender Künstler verstanden, der u. a. bei Bruno Gironcoli studierte und der ein Exempel für das Verständnis seiner Arbeit mit einer eigenen Inszenierung seines Kadaverstücks Das Lebendige ist das Leblose und die Musik in einer Grazer Diskothek 1989 hinterlegte. Als "Arbeit im Sinne des Artaud'schen Gesamtkunstwerks" beschreibt sie Daniela Bartens. Ein Grazer Schwab-Parcours trägt nun diesem erweiterten Werkbegriff Rechnung. Komponist Günther Rabl hat u. a. aus Tonbandaufnahmen von Werner Schwabs Lesungen sowie seinen E-Gitarren-Improvisationen eine Installation gebaut. (Margarete Affenzeller, 3.2.2018)