"In der Arbeit schüchtern bleiben" heißt die Retrospektive, die das Mumok dem österreichischen Plastiker Bruno Gironcoli (1936-2010) ausrichtet.

Foto: Stephan Wyckoff

Wien – Mit sieben Schals fesselte er sich nackt an einen Schaukelstuhl, um selbst in völliger Regungslosigkeit zu verharren, bis seine wippende Sitzgelegenheit ihrerseits wieder zur Ruhe fand: Murphy. Samuel Becketts wortkargem Antihelden seines 1959 auf Deutsch erschienenen Romans verdankt ein Schlüsselwerk Bruno Gironcolis den Beinamen: Modell in Vitrine, Entwurf für eine Figur (Murphy) von 1968. Und es ist dieser meditierende Sonderling, diese Figur, die sich im extremen Innehalten der Welt entzieht, die nicht nur Gironcolis im doppelt verglasten Kasten Thronenden erklärt, sondern sich wie eine Spur durch das nun im Mumok präsentierte, verrätselte Werk des 2010 verstorbenen österreichischen Bildhauers zu ziehen scheint.

Bruno Gironcoli: Ohne Titel, 1970
Foto: Repro Roland Krauss

"In der Arbeit schüchtern bleiben"

Dass der im Draußen tobende Sturm der Ereignisse dieses in Abgeschiedenheit lebende Vitrinenwesen mit sich fortreißen könnte, darauf scheint in der Skulptur auch die Form eines umgestülpten Schirmes hinzuweisen. Trotz aller narrativen Verstrickung und Belehnung des Schneewittchenmotivs ist nicht nur Becketts, sondern auch Gironcolis Murphy eine Antwort auf seine Zeit. Gironcoli fragt, so die Kuratorin der Retrospektive, Manuela Ammer, so wie andere Künstlerinnen und Künstler danach, wie selbstbestimmtes Handeln in einer postfaschistischen, konsumfixierten und sich zunehmend rationalisierenden Gesellschaft aussieht.

APA-OTS Video "Bruno Gironcoli. In der Arbeit schüchtern bleiben"

Als Aktionist hätte Gironcoli vermutlich selbst den schaukelnden Murphy gegeben, hätte den eigenen Leib so wie Günter Brus zur Selbstentäußerung genutzt. Aber die Aktion war seines nicht. Während die Wiener Aktionisten den Körper zum Austragungsort des Protestes gegen gesellschaftliche Zwänge und tradierte Ordnungen erklärten, blieb er beim Objekt, um, wie er selbst verriet, "in der Arbeit schüchtern bleiben" zu können. Ein Zitat, das der Ausstellung nicht nur den Titel, sondern eine weitere Idee verleiht und die Brus-Personale im Belvedere zum Sparringpartner macht.

Mit den fetischhaften Formen, den Anklängen an futuristisches Design, dem von der Pop-Art beeinflussten Spiel mit Konsumobjekten zählte Gironcoli wie Walter Pichler oder Hans Hollein zu Vertretern einer "poppig-dandyesken Alternative zum Wiener Aktionismus"; deren Ausstellung Super-Design eröffnete in der Galerie nächst St. Stephan nur drei Tage, nachdem Brus und Co mit der Aktion Kunst und Revolution einen Skandal angezettelt hatten.

Bruno Gironcoli: "Entwurf zur Veränderung von Säule mit Totenkopf" (1971)
Foto: lenbachhaus

Mehr als nur bloße Skizzen

Anders als die großen Präsentationen 1990 im 20er-Haus und 1997 im Museum für angewandte Kunst, die allein das bildhauerische OEuvre präsentierten, zeigt das Mumok nun 25 seiner Skulpturen im Dialog mit rund 150 Zeichnungen. Gironcolis Blätter und Kartons waren schon allein wegen ihrer malerischen Auffassung mehr als nur Skizzen. Ihre Dimensionen wuchsen mit jenen des dreidimensionalen Werks, das sie auch erklärend begleiten.

Zunächst hatte der ausgebildete Goldschmied Malerei studiert, aber nach einem Paris-Aufenhalt seine Ausbildung in der Metallverarbeitungsklasse beendet. Er habe sich als Maler, so die Selbsteinschätzung, am besten "auf das Grundieren der Leinwände" verstanden. Die Chronologie der Schau führt von seiner Faszination für Giacometti über das Transformieren von Volumen in Flächen und wieder zurück bis zum Entdecken von Plastikverpackungen, dem Werkstoff Polyester und den nur Metall vortäuschenden Oberflächen. Sie reicht vom solitären Objekt über ein bühnenhaftes Skulpturverständnis bis zu dem Punkt, als sich seine dem Alltag entlehnten Formen zu verflüssigen, unter einer einheitlichen Haut zu wachsen beginnen: Murphy morpht fortan.

Bruno Gironcolis monumentale Skulpturen der 1980er-Jahre werden von ebenso großformatigen Zeichnungen begleitet. Diese Zeichnung (ohne Titel) misst 150 mal 200 Zentimeter.
Foto: Markus Tretter

Das verlorene Menschenbild

Gironcolis Weltmodelle sind bevölkert von Hunden, Affen und auch immer wieder der gekrümmten Figur des Künstlers selbst. Unter Strom gesetzte Toilettenschüsseln, Widerhaken, Kübel, Stöckelschuhe werden zu verdinglichten Protagonisten in Szenen und Ritualen mit Kornähren, Edelweiß und Madonnen. Unaussprechliches zu den Themen Faschismus, Folter und Existenz findet Form. "Ich habe wohl auch das verlorene Menschenbild gestalten wollen."

Die Chronologie deutet nicht, lässt aber bedrohliche Kolosse, Gironcolis "Kopfträume" mit Dornen und Spitzen und oft martialisch-sexueller Formsprache zusammenkommen. Auch Humor blitzt durch. Etwa im frühen Objekt Stimmungsmacher, wie die "Figur, auf einem Punkt stehend" sich nennt. Mit der phallischen, goldgetünchten Polyesterfigur (1965/69), konnte man ursprünglich spielen. Schubst man das sockellose Ding, so stellt es seine aufrechte Position als Stehaufmännchen wieder her. (Anne Katrin Feßler, 3.2.2018)

Bruno Gironcoli: Ohne Titel, 1997
Foto: Stephan Wyckoff