Union und SPD haben am Sonntag noch keinen Koalitionsvertrag vereinbaren können. Zwar erreichten die Unterhändler weitere Teileinigungen in den Bereichen Wohnen, Digitales, Kommunen und Kultur. Aber kurz nach 19 Uhr entschied die Spitzenrunde der drei Parteien, dass am Montag weitere Beratungen stattfinden sollen. Danach berieten die Parteien jedoch intern weiter.

Strittig waren bis zuletzt die Bereiche Gesundheit und Arbeitsrecht.

  • Themen, zu denen Einigkeit besteht

Wohnen: Am Sonntagnachmittag hatten die Unterhändler eine Einigung im zuvor strittigen Thema Wohnen und Miete bekanntgegeben. CDU, CSU und SPD wollen mit einem umfassenden Gesetzes- und Förderpaket die Probleme auf dem Wohnungsmarkt angehen. Bei den Koalitionsverhandlungen einigten sie sich zum einen auf ein rund vier Milliarden Euro umfassendes Paket, das den sozialen und privaten Wohnungsbau anschieben soll. Zum anderen soll die Grundsteuer um eine Komponente erweitert werden, die die höhere Besteuerung ungenutzten Baulandes ermöglicht. Mieter sollen zugleich vor einer überzogenen Steigerung ihrer Mieten besser geschützt werden. Als Ziel soll im Koalitionsvertrag der Bau von 1,5 Millionen Wohnungen bis 2021 festgeschrieben werden.

Finanzen: Vor allem die Verhandlung über die Finanzen galt als schwierig. Denn in den vergangenen Tagen hatten sich die Fachpolitiker auf zahlreiche ausgabenrelevante Projekte geeinigt, die über den in den Sondierungen festgelegten Finanzrahmen von zusätzlichen rund 46 Milliarden Euro bis 2021 hinausgehen. Merkel hatte davon gesprochen, dass es wegen der guten Wirtschaftsentwicklung Spielraum darüber hinaus gebe. Es müsse mehr in Digitalisierung, Sicherheits- und Außenpolitik sowie die Entwicklungshilfe investiert werden, hatte auch CSU-Chef Horst Seehofer gesagt. Allerdings solle es wohl bei dem Finanzrahmen von 46 Milliarden bleiben, hieß es. Andere Ausgabewünsche würde dann als nicht prioritär, aber wahrscheinlich gekennzeichnet. Die Parteien haben es anscheinend geschafft, sich innerhalb des Spielraums zu einigen.

Renten: Für die aktuelle Legislaturperiode vereinbarten Union und SPD "ein rentenpolitisches Gesamtkonzept". Geplant ist eine "doppelte Haltelinie": Bis zum Jahr 2025 soll das Rentenniveau nicht unter 48 Prozent sinken und die Beiträge zur Rentenversicherung nicht über 20 Prozent steigen. Für die Zeit danach soll eine Rentenkommission Vorschläge erarbeiten. Zum Paket gehört auch eine verpflichtende Altersvorsorge für Selbstständige. Eine Grundrente für Geringverdiener soll dafür sorgen, dass Senioren mit einer langen Erwerbsbiografie im Alter mehr als das Sozialhilfeniveau erhalten. Außerdem vereinbarten die Unterhändler die Ausweitung der Mütterrente für Frauen, die drei oder mehr Kinder vor 1992 bekommen haben.

Familien: Am Freitagabend stellten die Unterhändlerinnen von CDU, CSU und SPD einen Kinder- und Familienpakt vor. Dieser soll eine Erhöhung des Kindergeldes um 25 Euro sowie des Kinderzuschlages für einkommensschwache Familien bringen. Geplant ist zudem ein Gutscheinsystem für hausnahe Dienstleistungen sowie die Einführung einer Frauenquote für Führungspositionen bei öffentlichen Unternehmen in Bundesbesitz.

Innen/Recht: Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU) gab eine Einigung mit der SPD in den Bereichen Innen und Recht bekannt. So sollen die Rechte von Verbrauchern durch Einführung einer sogenannten Musterfeststellungsklage gestärkt werden. Nach dem Reuters vorliegenden Eckpunkte-Papier aus den Koalitionsverhandlungen kann ein Prozess beispielhaft für alle gleich gelagerten Fälle geführt werden, so dass nicht jeder Geschädigte ein eigenes Verfahren anschieben muss.

Migration: Das Thema Migration galt als einer der Knackpunkte bei den Koalitionsverhandlungen. Keine Änderung zum Sondierungspapier von vor wenigen Wochen gibt es bei der Formulierung, dass die Zuwanderungszahlen "die Spanne von jährlich 180.000 bis 220.000 nicht übersteigen werden". Beim Familiennachzug für Flüchtlinge mit einem eingeschränkten Schutzstatus wird in dem Papier darauf verwiesen, dass gemäß Verabredung ab dem 1. August ein auf 1000 Personen pro Monat begrenzter Zuzug möglich sein soll. Zudem soll die bestehende Härtefallregelung im Aufenthaltsgesetz auch künftig Anwendung finden, auf deren Grundlage im vergangenen Jahr allerdings weniger als 100 Visa für Angehörige ausgestellt wurden. Bis Ende Juli bleibt der Nachzug zu Personen mit subsidiärem Schutz ausgesetzt – dies hat der Bundestag am Donnerstag bereits beschlossen. Dass dann ab August ein begrenzter Zuzug möglich sein soll, verbucht die SPD als ihren Erfolg. Die Ausgestaltung des neuen Gesetzes obliege den Koalitionsparteien beziehungsweise den Fraktionen, heißt es im Papier. Union und SPD sind sich darin einig, dass Deutschland qualifizierte FACHKRÄFTE in großer Zahl braucht. Die verschiedenen Maßnahmen zur INTEGRATION sollen in einer "bundesweiten Strategie" gebündelt werden.

Digitales: Im Digitalbereich wurde nicht nur mit einem zusätzlichen Digitalpakt die IT-Anbindung und -Ausrüstung möglichst aller Schulen vereinbart. Zudem wurde festgelegt, dass der Breitbandausbau im Gigabit-Bereich durch die Versteigerung der 5G-Lizenzen finanziert werden soll. Dabei soll die Lizenzvergabe mit Auflagen so kombiniert werden, dass es einen möglichst flächendeckenden Ausbau durch die Unternehmen geben werde. Die Kosten der öffentlichen Hand für den angestrebten Internet-Ausbau mit Gigabit-Netzen beziffern die Unterhändler auf zehn bis zwölf Milliarden Euro in dieser Wahlperiode.

Klimaschutz: Beim Klimaschutz verabredeten Union und SPD nach Angaben von Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) für Sektoren wie Energie, Verkehr, Landwirtschaft und Gebäude bis 2030 gesetzlich verbindliche Ziele für die Verminderung des Ausstoßes von Treibhausgasen. Sie räumte ein, dass man die nationalen Klimaschutzziele bis 2020 nicht ganz erreichen werde. Aber man wolle die Lücke so klein wie möglich halten. Die Sektorvorgaben sollen 2019 gesetzlich festgelegt werden. Damit sei Deutschland in der Lage, "Klimaschutzpionier zu bleiben und wieder zu werden", sagte die SPD-Politikerin. Anders als bisher soll der Ausbau der Erneuerbaren Energien künftig nicht mehr gedeckelt werden, sondern man strebe bis 2030 einen 65-prozentigen Anteil im Strommix an.

Landwirtschaft: Die Landwirtschaftsexperten vereinbarten ein Bündel von Maßnahmen, das vom schrittweisen Ausstieg aus der Nutzung des Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat über ein Verbot des Kükenschredderns sowie des Anbaus gentechnisch veränderter Pflanzen bis hin zu Maßnahmen gegen Spekulationen mit landwirtschaftlichen Nutzflächen reicht. Beim Kükenschreddern werden jährlich Millionen männliche Küken von Legehühnern kurz nach dem Schlüpfen getötet, weil sie keine Eier legen und als Masttiere nicht geeignet sind.

Arbeitsrecht: Beim Arbeitsrecht einigte man sich darauf, sachgrundlose Befristungen einzuschränken und deren endlose Verlängerung zu untersagen. "Ich glaube, dass Frau Merkel nicht erklären kann, wieso es dort keine Bewegung geben sollte", sagte SPD-Vize Manuela Schwesig.

ARD-Beitrag von Sonntagabend.
ARD-Hauptstadtstudio
  • Strittige Themen

Gesundheit: Im Bereich Gesundheit hatte die SPD die Einführung einer Bürgerversicherung gefordert, was die Union bereits in den Sondierungen kategorisch abgelehnt hatte. In den Verhandlungen geht es nun darum, wie die Position gesetzlich Versicherter dennoch verbessert werden kann – etwa durch andere Abrechnungsregeln bei Ärzten, die bisher mehr an Privatpatienten verdienen und diese oft bevorzugen. Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach wirbt daher für eine Angleichung der Ärztehonorare. Für die erwarteten Kosten von fünf Milliarden Euro kämen auch Steuergelder infrage, sagte er im Deutschlandfunk.

Postenverteilung: Welche Partei bekommt welches Ressorts. Diese Fragen sollen bereits im Koalitionsvertrag geregelt sein. Besonders umkämpft ist das Finanzministerium.

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(red, 4.2.2018)