Zeitgleich zum Protest der Nationalisten versammeln sich Anarchisten und Linksextreme vor der Nationalbibliothek in Athen

Foto: AFP/ANGELOS TZORTZINIS

Als Mikis Theodorakis, der alternde Volksheld und Komponist, seine Rede beendet, kommen die Schläger aus einer Passage hinter dem Hotel Grande Bretagne, dem alten Luxushotel im Zentrum Athens. 150 bis 200 Männer mögen es sein, die sich auf der Straße versammeln, schwarz gekleidet und manche mit dem Holzstock einer zusammengerollten griechischen Fahne als Prügel in der Hand. Polizeibusse, quer über die Fahrbahn gestellt, versperren dem Trupp der jungen Rechtsextremen den Weg zu ihren Feinden, den linken Anarchisten. Die hatten sich ein wenig entfernt vom Syntagma-Platz vor der Nationalbibliothek der Athener Universität versammelt. Für den Frieden auf dem Balkan und gegen die Faschisten, wie es in der Ankündigung hieß. Die Mazedonienfrage putscht Griechenland wieder auf.

STANDARD-Reporter Markus Bernath schickt Eindrücke von der Demo in Athen.
DER STANDARD

Zum zweiten Mal in zwei Wochen versammelten sich am Sonntag Patrioten und Nationalisten zu einer Massenkundgebung. Nach Thessaloniki war dieses Mal die Hauptstadt selbst Schauplatz des Protests. Und Mikis Theodorakis, der mittlerweile 92-jährige Kämpfer gegen die deutschen Besatzer und die griechischen Obristen, ließ sich als Hauptredner auf die Bühne am Syntagma-Platz rollen. Mazedonien darf nicht Mazedonien heißen, ist die Parole. Skopje darf nicht den Namen "stehlen", den die nordgriechische Provinz trägt. "Wenn wir zulassen, dass sie den Namen nehmen", so ruft Theodorakis aus, "dann nehmen wir mit unseren eigenen Händen unsere Augen aus".

Die Faschisten der Parlamentspartei Goldene Morgenröte würden es wohl ähnlich formulieren. Anders als bei der Demonstration in Thessaloniki am 21. Jänner ist die Partei am Sonntag aber nicht als Block sichtbar in der Menge. Dafür haben ihre Schläger noch etwas vor. In der nordgriechischen Hafenstadt brannten Rechtsgerichtete ein besetztes Haus der Linken nieder. In Athen ziehen die Anarchisten und Linken nach ihrer Versammlung zum City Plaza Hotel, einem lange Zeit leerstehenden Hotel, das von der Szene zur großen Flüchtlingsunterkunft umfunktioniert wurde. Am Sonntag wollen sie es vor den rechten Schlägern schützen.

140.000 Teilnehmer

Die Massen auf dem Syntagma-Platz und in den Seitenstraßen sind da schon auseinandergelaufen. Eine Million Teilnehmer hatten die Organisatoren dieser Anti-Mazedonien-Kundgebung angekündigt. Die griechische Polizei schätzt zunächst eine sehr viel kleinere Zahl. 140.000 Menschen sollen es gewesen sein. Sie kamen mit ihren griechischen Fahnen, um die Schultern geworfen, um die Hüften gewickelt. Ein Kran hob eine enorme Fahne in dem Himmel über den Syntagma-Platz vor dem Parlament. Auch die gelben Fahnen der griechisch-orthodoxen Kirche haben nicht gefehlt. Dieses Mal ist die Kirche offiziell dabei. Der Metropolit der Insel Syros, Dorotheos, hält auch eine Rede. Er zählt zu den moderaten Vertretern der Kirche. Auch das soll – ebenso wie das scheinbare Fernbleiben der Faschistenfunktionäre und von Ex-Armeechef Fragoulis Frangos, einem der Redner in Thessaloniki – dieser Protestkundgebung einer weniger extremistisches Gepräge geben. "Wir haben nichts mit Parteien zu tun", sagt Dorotheos, der Metropolit, "aber wir sollten den Namen nicht weggeben".

Auf dem diplomatischen Parkett standen die Chancen für eine Beilegung des Namensstreits aus den 1990er-Jahren dabei zuletzt ganz gut. Sowohl in Athen wie in Skopje amtieren linke Regierungschefs, die nationalen Ballast abwerfen wollen. Mazedonien würde nach einer Namenslösung endlich Mitglied der Nato werden und den Beitrittsprozess mit der EU beginnen können. Griechenland wiederum würde unter Führung von Alexis Tsipras große internationale Anerkennung finden und seine Position auf dem Balkan stärken. Manche sagen, zum Schaden der sehr aktiven Türkei; andere Beobachter haben weit mehr Russland im Blick. Die euro-atlantische Integration Mazedoniens würde demnach Moskaus Einfluss auf dem Balkan etwas eindämmen.

Bis Juni will der griechische Außenminister Nikos Kotzias einen Grundlagenvertrag mit der Früheren jugoslawischen Republik Mazedonien erarbeiten. Auf Gebietsansprüche soll der kleine Nachbarstaat darin ausdrücklich verzichten. Als wahrscheinlichste Variante für den neuen Staatsnamen gilt "Nova Makedonija" – "Neu-Mazedonien" und in slawischer Umschreibung. Doch dies halten mehr als zwei Drittel der Griechen für inakzeptabel, wie eine am Sonntag veröffentlichte Umfrage wieder bestätigte. 71,5 Prozent sagen nein zu einem Staatsnamen, der das Wort "Mazedonien" enthält.

Ein Paar sitzt auf einer Betonbank in einer Seitenstraße vom Syntagma-Platz, wo die Reden und die Marschmusik über Lautsprecher kilometerweit getragen wird. Christina Mylona war bei der Versammlung der Anarchisten, Athanassias Moutsios bei den Nationalisten. "Diese Leute dort haben ihren Namen sowieso erst von Tito bekommen", sagt Athanassias, ein Handelsvertreter, über die Mazedonier in Skopje. "Aber ich bin auch nicht mit allem einverstanden, was hier auf der Kundgebung gesagt wird". Als Titos Jugoslawien zerfiel, war die "Republik Mazedonien" plötzlich da. Und so bleibt es wohl auch. Wir beide sind ein gutes Beispiel, dass man Streit durch Liebe überwinden kann", sagt Christina, die Sozialarbeiterin, und lacht. ( Markus Bernath, 04.02.2018)