Komplexität zwischen Bach und Beatles: Trompeter Till Brönner.

Christian Behring

Wien – Von einem Künstler, der mit Mode und Musik gemeinhin die coole Leichtigkeit eines Loungebewohners zelebriert, eher überraschend: "Man muss es auch ertragen, mit dem Gefühl von der Bühne zu gehen, dass das alles nicht gut war", sagt Trompeter Till Brönner und erinnert sich: "Diese Empfindung ertrug ich früher schwer. Ich verkrampfte mich, und mein Ärger hat noch lange in der Garderobe angehalten. Es ist durchaus passiert, dass ich etwas demoliert habe ..."

Nicht dass Brönner – in guter Pop-Tradition – etwa TV-Geräte durch die Gegend warf. "Ich wurde nicht straffällig. Aber ich war mitunter kurz davor, die Trompete ins Eck zu pfeffern, wobei es den meisten Trompetern ähnlich geht. Manchmal nervt das Instrument brutal." Auf früheren Einspielungen wie Chattin' with Chet oder Blue-Eyed Soul ist das nicht zu hören. Brönner erweckt edlen Smooth Jazz. Mit That Summer landete er sogar in den Pop-Charts.

Immer authentisch

Brönner, der also tendenziell den Eindruck erweckt hatte, seine instrumentalen jazzigen Fähigkeiten bei aller Gediegenheit seiner Arbeit gerne in der Komfortzone zu belassen, steht zu dieser Leichtigkeit. "Das war immer authentisch meine Musik", es sei seine andere Seite einfach nicht so beachtet worden. "Ich glaube sogar, dass es in der Öffentlichkeit Common Sense war, dass diese Seite gar nicht existiert." Aber sie sei immer da gewesen, nur eben nicht auf CD. Das hat sich geändert: Zusammen mit Bassist Dieter Ilg hat Brönner Nightfall aufgenommen. Und es zeigt sich, dass zwei Kollegen, die einander gut kennen, anhand von Stücke von Bach, Cohen und den Beatles befähigt sind, eine Reise in Bereiche raffinierter Abstraktion zu unternehmen. Freunde musikalischer Tagträume wird das auf interessante Art zum Grübeln bringen.

Eigene Form der Ruhe

Brönner und Ilg sammelten zuvor einiges an Duo-Liveerfahrung. "Über die Jahre haben wir verstanden, wie wir funktionieren. Man lernt einander erst auf der Bühne wirklich kennen. Und das Duo erfordert ja eine eigene Form der Konzentration: Im Duo reißt das Gespräch immer ab, wenn sich einer verabschiedet. Das ist bei einer großen Besetzung anders. Streckenweise ist das also sehr anstrengend. Aber mit der Zeit ergab sich eine große Ruhe", so Brönner.

"Man wird eigentlich für das bezahlt, was man nicht spielt", hat er (Jahrgang 1971) einmal gesagt. Und nun stimmt der Spruch hier auch im Sinne eines zelebrierten Reduktionismus. Bei Bachs Air etwa ist von der ursprünglichen Melodik kaum etwas übrig. "Wir hatten eine klarere Version im Konzert, die sich im Laufe der Jahre abstrahiert hat. Auch im Studio haben wir diskutiert, ob man es nicht zugänglicher aufnehmen sollte. Wir haben uns für diese Variante entschieden, da die Kommunikation dabei lebendiger war. Die Wiedererkennbarkeit des Stückes hatte keinen Vorrang."

Improvisation ist bei diesem Projekt zentral, sie bedeutet, "uns den Freiraum zu nehmen, aber auf keinen Fall den Faden zu verlieren." Improvisation ist keinesfalls der verzweifelte Versuch, sich an eine Melodie zu erinnern. Eher jene Disziplin, bei der das Loslassen und Zuhören spontan Formen schafft und Offenheit hilft, den Augenblick zu veredeln.

Das ist für Brönner im Jazz essenziell: "Es geht darum, sich einer Situation zu stellen – mit einem Minimum an Erwartung. Das ist fast der Idealzustand des Jazz, das unterscheidet ihn von anderen Genres. Das Ganze basiert letztlich auf jahrelangem Ausprobieren, auf einem großen Vokabular und auch auf Lebenserfahrung. All das kommt auf die Bühne, die Synapsen sind auf Empfang gestellt. Immer geht es auch darum, zu wissen, welches Risiko ich mir leisten kann."

Nun bei Sony

Nun ist Nightfall als anspruchsvolles Jazzgemälde herausgekommen. Es war zu vermuten, das Brönner, der nun bei Sony ist, so etwas kann. Dass er es zeigen würde, ist aber überraschend. Dass er es auf einem Major Label darf, zeigt seinen Status als bekanntester Jazzer Deutschlands, für dessen Popularität es nicht geschadet hat, neben Sarah Connor Jurymitglied in der Castingshow X Factor (auf RTL) gewesen zu sein. (Ljubisa Tosic, 5.2.2018)