Eduard Pernkopf bei seiner Antrittsvorlesung als neuer Dekan der medizinischen Fakultät Wien am 26. April 1938 in SA-Uniform. Der von ihm herausgegebene Pernkopf-Atlas der Anatomie enthält bis heute Zeichnungen von hingerichteten NS-Opfern.

Foto: Österreichische Nationalbibliothek

Wien/Hannover – Menschenversuche, Eugenik und Euthanasie: Die Zeit des Nationalsozialismus war auch in der Medizin ein dunkles Kapitel. Bis heute sind Krankheiten, Zellen oder medizinische Verfahren nach NS-Ärzten benannt. Die Medizinerin Lina Stünkel untersucht diese sogenannten Eponyme und möchte bei den Fachverbänden die Diskussion über eine Umbenennung anregen. Sie schreibt ihre Dissertation über das Thema am Institut für Geschichte, Ethik und Philosophie der Medizin an der Medizinischen Hochschule Hannover.

"Ärzte wie Carl Clauberg, der hunderte weibliche Häftlinge in Auschwitz zwangssterilisiert hat, haben es nicht verdient, dass ihre Namen damit geehrt werden", sagt Stünkel im STANDARD-Gespräch. Nach dem deutschen Gynäkologen wurde der Clauberg-Test benannt, der die biologische Aktivität von Progesteron nachweist. Clauberg war Mitglied der NSDAP, Sanitätsobersturmführer der SA und SS-Gruppenführer. Er führte im KZ Auschwitz Sterilisationsversuche mit einem chemischen Mittel durch, das die Eileiter entzündete und die Eierstöcke zusammenwachsen ließ. Einige Jüdinnen verstarben infolge der Experimente, andere sortierte er als untauglich aus. Sie wurden in den Gaskammern ermordet oder starben im Arbeitslager.

"Auch der Pernkopf-Atlas der menschlichen Anatomie, wo hingerichtete Opfer der NS-Justiz als Zeichenvorlage benutzt wurden, sollte hinterfragt werden", sagt Stünkel. Zumindest in einem Vorwort müsse die Entstehungsgeschichte des Anatomie-Atlanten behandelt werden. Eduard Pernkopf war während der NS-Zeit Rektor der Uni Wien. Das dortige Anatomische Institut hatte im Laufe des Krieges mindestens 1.377 Leichen von hingerichteten Menschen für Forschung und Lehre erhalten.

An Gehirnen ermordeter Kinder geforscht

Ein weiterer Arzt, bei dem Stünkel für eine Umbenennung plädiert, ist Julius Hallervorden. Er hat an Gehirnen von behinderten Kindern, die im Zuge der T4-Aktion ermordet wurden, geforscht. In der Tötungsanstalt Brandenburg war er nicht nur anwesend, sondern nahm teilweise selbst die Kopf- und Hirnsektionen vor. Dass das Hallervorden-Spatz-Syndrom nach ihm benannt ist, wurde in Fachzeitschriften immer wieder kritisiert. Auch Alternativbezeichnungen wurden bereits vorgeschlagen. Wie etwa neuronale Dystrophie oder die Martha-Alma-Krankheit, benannt nach jenen Schwestern, an denen die Erkrankung das erste Mal beschrieben wurde.

Ein erster Vorstoß, 15 Krankheiten, die nach Nazi-Ärzten benannt sind, umzubenennen, kam 2015 aus Italien. Der Arzt am Israelitischen Krankenhaus in Rom, Cesare Efrati, hat ein Symposium mit mehr als hundert Medizinern, Soziologen, Wissenschaftsphilosophen zum Thema veranstaltet. Doch die Umbenennung ist bisher an den bürokratischen Hürden gescheitert. Jede einzelne Umbenennung müsse an die zuständige Fachgesellschaft herangetragen werden, erklärt Lina Stünkel. Die europäischen Fachverbände müssten dann auf internationaler Ebene darüber beraten.

Grausame Experimente: Meerwasser trinken

Auch österreichische Nazi-Ärzte sind bis heute medizinische Namensgeber. Der Internist Hans Eppinger führte im KZ Dachau grausame Experimente an Sinti und Roma durch, um die Trinkbarkeit von Meerwasser zu untersuchen. Das nach ihm benannte Eppinger-Sternchen ist heute nicht mehr gebräuchlich. "Heutzutage werden keine Eponyme mehr verwendet für Bezeichnungen, sondern eher beschreibende Krankheitsbegriffe oder Abkürzungen", sagt Sünkel. Das Eppinger-Sternchen werde meist nur noch als Alternativbezeichnung verwendet, die gängige Bezeichnung für das Hautzeichen bei Lebererkrankungen ist Spider Nävus. "Es ist zwar nicht offiziell umbenannt worden, aber nicht mehr im Sprachgebrauch präsent."

Anders sieht das beim Reiter-Syndrom aus. Die Gelenkserkrankung wurde nach dem deutschen Bakteriologen und Hygieniker Hans Reiter benannt. Er war Mitglied der NSDAP und der SA und genehmigte als Präsident des Reichsgesundheitsamtes Menschenversuche. Im KZ Buchenwald wurden mit seiner Zustimmung Opfer mit Fleckfiebererregern infiziert. Eine Hälfte der Versuchspersonen wurde geimpft, die andere diente als Kontrollgruppe. 250 Menschen starben.

Bisher eine Umbenennung

Einzig das Eponym Clara-Zelle wurde bereits umbenannt. 2012 gab es einen Beschluss der internationalen pulmologischen Fachgesellschaft, das Eponym nicht mehr zu verwenden. Max Clara soll als Psychiater an Euthanasiemorden beteiligt gewesen sein. Er war ebenso Mitglied der NSDAP und hat für seine Versuche Zellen aus frisch seziertem Gewebe Hingerichteter angefordert.

Schwer einzuordnen sei die Rolle von Hans Asperger und Friedrich Wegener, sagt Stünkel. Über die Arbeit des bekannten Wiener Kinderarztes und Autismusexperten Hans Asperger in der Zeit des Nationalsozialismus ist wenig bekannt. Manche historischen Aufarbeitungen bringen ihn mit dem Spiegelgrund in Verbindung. Wegener hat als Pathologe in Łódź Häftlinge, die den Transport nicht überlebt haben, seziert. Aber es gibt kaum Belege, dass er in Menschenversuche verstrickt war. "Bei der dünnen Beweislage ist es schwierig, eine Umbenennung zu fordern", sagt die Dissertantin. (Stefanie Ruep, 06.02.2018)