Füllt eine Lücke in den Klimt-Publikationen: die Biografie von Mona Horncastle und Alfred Weidinger, "Gustav Klimt. Die Biografie", Brandstätter 2018.

Brandstädter

Wien – Ein Burgtheaternarr war er. 1888 saß Gustav Klimt fast jeden Abend im Parkett. Wie vernarrt er und Malerkollege Franz Matsch – damals Mittzwanziger an ihrem Karrierebeginn – tatsächlich ins Theater gewesen wären, hätten sie für die Karten auch zahlen müssen? Zu Recherchezwecken besuchten die beiden immer wieder das alte, 1888 durch den Neubau am Ring ersetzte Theater am Michaelerplatz. Sie sollten es in zwei Bildern der Nachwelt erhalten.

Ein netter Splitter eines biografischen Klimt-Ornaments, das sich in einem neuen Buch über den heute vor 100 Jahren 55-jährig an den Folgen eines Schlaganfalls verstorbenen Künstlers findet: Gustav Klimt. Die Biografie heißt das von Mona Horncastle und dem Klimt-Experten Alfred Weidinger verfasste Werk über den herausragenden Jahrhundertwendemaler.

In den Sommerfrischen zog sich Familienmensch Gustav Klimt mit zunehmendem Alter sehr zurück. Hier 1912 mit der fünfjährigen Nichte Emilie Flöges auf dem Bootssteg der Villa Paulick am Attersee.

Auf 325 Seiten rollen sie Klimts Leben (1862-1918) nicht einer starren Chronologie folgend aus, sondern streuen die Fragmente seiner Persönlichkeit in Kapiteln aus, die sich etwa der Familie, den künstlerischen Anfängen, der Secession, dem Skandal der Universitätsbilder, den Sommerfrischen oder der modernen Wissenschaft widmen. So wird die stets durchblitzende Werkgeschichte in sinnvolle gesellschaftspolitische Kontexte gebettet. Deutlich wird dieserart etwa, dass sein Erfolg an das Schicksal des jüdischen Großbürgertums geknüpft ist. Klimt entspricht ihrem Repräsentationsbedürfnis und setzt sich über antisemitische Tendenzen und die vom Feudalismus geprägten Autoritäten hinweg. Er ist ein Freigeist.

Flammen des Genies

In "Das liebe Geld" finden sich etwa Anekdoten über Klimts mildtätige Großzügigkeit. Denn trotz finanzieller Erfolge lebte dieser nicht in Saus und Braus, prasste allenfalls bei den Materialien für seine Arbeiten. "Es bleibt eine üble Gemeinheit, Kapitalien anzuhäufen", wird er zitiert. Er sorgte für den Lebensunterhalt seiner Mutter und der unverheirateten Schwestern, der verwitweten Schwägerin und seiner Nichte Helene, war beim Lohn für die Modelle großzügig und half – obwohl das ausgenutzt wurde -, wenn jemand in Not geriet: "Lieber geb ich einmal einem Lumpen etwas, als dass ich am End einem wirklichen Armen nix geben tät."

Schwärmerisch fallen die Beschreibungen ihm Nahestehender aus: Wir "meinten, die Flammen seines Genies würden ihn bei lebendem Leib aufzehren", so Hermine, die Schwester. Vom wenig, aber Gewichtiges sprechenden "Anführer" berichtet die Journalistin und Salonière Berta Zuckerkandl; keinen "Zungenläufigen", aber "geboren, ein Mittelpunkt zu sein", nennt ihn Kunstschriftsteller Hevesi. War Klimt also dominant und gar autoritär?

Richtig farbig wird sein Charakter dennoch nicht. Ob die Quellenlage zu dünn ist, weil Klimt – wenn es nicht um amouröse Botschaften ging – zu wenig zur Schreibfeder griff oder er sein Privatleben lediglich eisern bedeckt hielt, bleibt unbeantwortet. "Hinter die Mauer, die Klimt um sich errichtet hatte, haben auch seine Freunde kaum jemals blicken dürfen", notierte Hans Tietze 1919.

Eine biografische Lücke klafft besonders: Als 1892 Ernst Klimt, Bruder, Freund und Kollege, stirbt, stürzt das Gustav in eine fünfjährige "seelische und künstlerische Krise". Was in dieser Zeit geschah, bleibt offen.

Keine Legenden bemühen

Trotz der Masse an Publikationen, die zuletzt im Jubiläumsjahr 2012 erschienen, hat eine Biografie noch gefehlt, denn Christian M. Nebehays Buch von 1969 ist mehr Dokumentation von Quellen und Zeitzeugenberichten. Im Unterschied zu vielen Veröffentlichungen wolle man, so Alfred Weidinger zum STANDARD, "ein authentisches Bild zeichnen und nicht die Legenden bemühen. Nur weil eine Legende immer wieder erzählt wird, wird sie nicht wahr."

Konkret spielt der Klimt-Spezialist auf des Künstlers Ruf als Frauenheld an. "Man kann sich ja die Frage stellen, warum es kaum Belege für seine zahlreichen Liebschaften gibt. Es gab kein böses Wort von einer Frau über ihn. Das spricht nicht für einen wilden Kerl, der sich nimmt, was zu kriegen ist." Klimt habe stark auf seine Privatsphäre geachtet, daher sei es wichtig, ihn auch posthum "mit Würde zu behandeln".

Dazu passt dann, dass die Biografie über die Syphilis-Erkrankung Klimts kein Wort verliert und die Kapitel zu Emilie Flöge und anderen Liebschaften sehr knapp hält. Umso ausführlicher widmet man sich Klimts Zeichnungen von Frauen bei der Masturbation. Diese Leidenschaft des Erotomanen, der von Flöge verschmäht wurde, weil er sich nicht binden wollte und Frauen liebte "wie man ein schönes Bild liebt", macht man nun nicht nur zu einer "respektvollen Wertschätzung" und zu einem "Denkmal weiblicher Lust". Nein, die Autoren sehen darin auch noch eine "revolutionäre Leistung" und "emanzipatorische Kraft". Das ist wohl doch etwas vermessen. (Anne Katrin Feßler, 6.2.2018)