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Nach einer schlechten Woche an der Wall Street breitete sich Unruhe auf den Aktienmärkten in Asien und Europa aus.

Foto: REUTERS/Brendan McDermid

Wien / New York – Braut sich an den globalen Aktienmärkten ein toxischer Cocktail zusammen, der die Weltwirtschaft mit in die Tiefe ziehen wird? Diese Frage beschäftigt Ökonomen und Analysten am Dienstag nach dramatischen Kursverlusten an der Wall Street und an zahlreichen Aktienmärkten in Asien.

Obwohl unter Investoren Panikstimmung herrschte, sehen viele Experten den aktuellen Einbruch noch einigermaßen entspannt. Das liegt daran, dass die wirtschaftlichen Daten weltweit ganz gut sind "und sich auch nicht verschlechtert haben. Fundamental hat sich nichts geändert", sagt der Raiffeisen-Analyst Valentin Hofstätter. Die Arbeitslosigkeit in den USA ist niedrig, in Europa sinkt sie nach wie vor.

Die Weltwirtschaft wächst kräftig, heuer erwarten Ökonomen ein Plus von gut vier Prozent. In den USA haben Daten über steigende Löhne die Verunsicherung an den Aktienmärkten befeuert. Die Bruttogehälter sind im vergangenen Jahr so stark gestiegen wie seit 2009 nicht mehr. Höhere Löhne bedeuten eine höhere Inflation, so die ökonomische Theorie, was zu steigenden Zinsen führt. Das hat Anleger an den Anleihenmärkten verschreckt – und diese Unruhe hat sich auf die Aktienmärkte ausgebreitet, insbesondere in den USA.

Optimistische Analysten

"Wir erwarten allerdings, dass die Aktienmärkte mit Jahresende höher stehen werden als aktuell", sagt Hofstätter. Die Gewinnaussichten für die großen US-Konzerne sind gut, erstens weil die Konjunktur noch rund läuft, zweitens dank der Steuersenkungen für Unternehmen in den USA. Das Gewinnwachstum der 500 größten börsennotierten Unternehmen könnte heuer bei plus 20 Prozent liegen, so Hofstätter.

Die Kurskorrektur in den USA sei eine Folge der großen Kursanstiege im Jänner: Der Dow Jones legte gut zehn Prozent zu, das ist ein Anstieg, den der US-Leitindex in "normalen" Zeiten binnen Jahresfrist macht. Die Euphorie, eben ausgelöst durch die Steuersenkungen und gute Gewinnentwicklung, sei aber übertrieben gewesen, darum nun die Korrektur. "Für Anleger ist es nun ein guter Zeitpunkt, einzukaufen, und zwar insbesondere an Märkten, die noch fundamental deutlich günstiger bewertet sind als die USA, vor allem Europa."

Droht eine Angstspirale?

Tatsache ist allerdings auch, dass frühere Konjunktureinbrüche von einem Börsenkrach begleitet wurden. Auch 2008/2009 ging es an den Märkten bergab – was folgte, war eine Rezession. Dass versteckte Probleme in der Weltwirtschaft plötzlich zutage treten, lasse sich nie ausschließen, sagt Hofstätter. Probleme wie 2008 am Immobilienmarkt oder im Bankensektor seien allerdings zurzeit nirgends sichtbar.

Und ist es möglich, dass die negative Stimmung an den Märkten eine Spirale nach unten auslöst, die Aktienkurse also immer weiter einbrechen, weil die blanke Angst regiert? Hofstätter sagt dazu, dass allein Probleme am Aktienmarkt nicht ausreichten. Wenn, müssten weitere Probleme an den Finanzmärkten, insbesondere im Bankensektor, dazukommen.

Furcht vor der Inflation geht um

Ähnlich sieht es auch Friedrich Strasser, Chefstratege bei der österreichischen Bank Gutmann AG. An den wirtschaftlichen "Fundamentaldaten" habe sich wenig geändert. Allerdings: Ob es sich jetzt nur um eine Kurskorrektur handle oder um einen wirklichen Crash, werde sich aber "erst in den kommenden Tagen entscheiden".

Ganz anders klingt da der österreichische Ökonom Stephan Schulmeister, der sich lange und intensiv mit Finanzmärkten beschäftigt hat: Der anhaltende Höhenflug bei den Aktien – 2017 war ja ein hervorragendes Börsenjahr, allein der US-Leitindex Dow Jones legte um 25 Prozent zu– müsse irgendwann enden.

Die professionellen Trader warteten in einer solchen Situation nur darauf, dass die Korrektur beginne. Um also einen anhaltenden Kurssturz auszulösen, reiche eine geänderte Erwartungshaltung der Investoren nach einer langen Phase des Aufschwungs. Dass die wirtschaftlichen Daten aktuell gut seien, spiele da gar keine große Rolle, sagt Schulmeister. So wie es im Aufschwung eine "innere Dynamik" an der Börse gebe und die Entwicklung sich nicht nur an realen Ereignissen orientiere, sei dies eben auch beim Abschwung der Fall.

Wenn die Preise fallen

Alle großen wirtschaftlichen Crashs der vergangenen vier Jahrzehnte seien durch Bewertungsänderungen ausgelöst worden. Bestes Beispiel dafür sei laut Schulmeister das Jahr 2008, als Immobilien-, Aktien- und Rohstoffpreise einbrachen. Einen Unterschied zu den Ereignissen sieht der Ökonom heute schon: Aktuell sind nur Aktienmärkte von den Turbulenzen betroffen. Der Immobiliensektor entwickelt sich in Industrieländern gut.

Für Probleme könnte allerdings der Anleihenmarkt sorgen, so Schulmeister. Dort sieht er viel Potenzial für eine Bewertungskorrektur im großen Stil, insbesondere in Europa. Die Euroländer sind hoch verschuldet, die Zinsen, die Investoren von Staaten verlangen, sind auf einem sehr niedrigen Niveau. Dafür hat die Europäische Zentralbank (EZB) gesorgt. Wenn allerdings eine Unruhe aufkommt und Investoren beginnen, die Papiere zu verkaufen, würde das zu einem Kurssturz – und steigenden Zinsen – führen. Traditionell sind Banken die größten Gläubiger der Staaten.

Ähnlich wie Schulmeister sieht es Andrew Kenningham, Chefökonom beim Londoner Finanzdienstleisters Capital Economics. Im Jahr 1987 lief die US-Wirtschaft relativ rund, die Aktienmärkte gaben allerdings um gut 30 Prozent nach in jenem Jahr "ohne dass wir bisher wirklich wissen, was der genaue Auslöser dafür war", sagt Kenningham, die Eigendynamik der Börsen sollte man nicht unterschätzen. Allerdings sieht es abseits der Aktienmärkte aktuell wenig Anlass zur Sorge. Am Anleihenmarkt etwa seien die Zinsen moderat gestiegen, was zu Kursverlusten geführt hat. Doch eine große Erschütterung am Anleihenmarkt habe nicht stattgefunden. (András Szigetvari, 6.2.2018)