Wohin mit den Gedanken, wenn der Therapeut gerade nicht in der Nähe ist? Mit einer Handy-App sollen die therapiefreie Zeit genutzt und Patienten positiv beeinflusst werden.

Illustration: Ivonne Stark

Psychotherapie aus dem Internet ist mittlerweile weitverbreitete Praxis. Immer mehr Menschen nutzen solche niederschwelligen digitalen Angebote zur Behandlung von Depressionen, Angst, Burnout und mehr. Wobei die psychotherapeutische Fernbehandlung via Skype, E-Mail und Co nicht grundsätzlich unseriöser sein muss als eine Behandlung in der analogen Welt. Die Digitalisierung bringt eben auch in diesem Bereich der Gesundheitsversorgung einen tiefgreifenden Wandel mit sich.

Gewisse Grundkonstanten aber bleiben auch in der IT-gestützten Psychotherapie bestehen: So dauert eine Sitzung in der Regel 50 Minuten und findet meist einmal pro Woche statt – egal ob virtuell per Skype oder traditionell in physischer Anwesenheit des Therapeuten. Die meiste Zeit verbringt ein Klient also auch während einer Therapie ohne seinen Therapeuten. Therapieforscher gehen davon aus, dass aber auch oder gerade in diesen Zwischenphasen relevante Prozesse ablaufen.

Diese sogenannten Intersession-Prozesse umfassen alle Gedanken, Gefühle, Erinnerungen und Fantasien des Patienten in Zusammenhang mit der Therapie und dem Therapeuten. "Wir wissen aus Untersuchungen, dass diese Zwischensitzungsprozesse unmittelbar mit der therapeutischen Beziehung und dem Behandlungserfolg verbunden sind", sagt Sylke Andreas, Professorin für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Uni Klagenfurt und im deutschen Witten-Herdecke.

Digitale Stütze

Um Einblick in diese wichtigen, bislang aber wenig beachteten Prozesse zu bekommen und sie für die Therapie zu nutzen, will die Psychologin gemeinsam mit dem Doktoranden Thorsten Gablonski die Möglichkeiten der Digitalisierung auch für die therapiefreie Zeit nutzen und eine spezielle Handy-App für Psychotherapiepatienten entwickeln. Finanziert wird das Vorhaben vom Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank.

Die App soll mit Informationen gespeist werden, die vom Patienten vor der Therapie abgefragt werden. Einige Zeit nach einer Sitzung wird er digital aufgefordert, bestimmte Fragen zu beantworten: etwa ob er sich in schwierigen Situationen an unterstützende Sätze aus der Therapie erinnert hat, ob er von ihm oder ihr geträumt hat. Eine Skala von "oft" bis "nie" liefert schließlich jene Daten, aus denen Art und Ausmaß der Intersession-Prozesse ermittelt werden können.

"Solche mentalen Repräsentationen wirken auf die nächste Sitzung ein und beeinflussen die Therapie", sagt Sylke Andreas. An die 90 Prozent der Behandelten geben an, dass sie derartige Prozesse bei sich beobachtet haben. Ein gutes Zeichen, denn aus Vorstudien ist bekannt, dass positive Erfahrungen in der Zeit zwischen den Sitzungen die Wahrscheinlichkeit des Therapieerfolgs erhöhen. "Anscheinend zeigen jene Menschen ein besseres Therapieergebnis, die sich ein positives Bild vom Therapeuten machen können", so Andreas. "Hat der Patient Vertrauen zum Therapeuten gefasst, setzt er sich intensiver mit der Therapie auseinander."

Kippt das intensive Nachdenken allerdings in ein exzessives Grübeln, ist Vorsicht geboten. Mithilfe der Handy-App sollen die Prozesse zwischen den Sitzungen nicht nur dokumentiert, sondern auch reguliert werden. Zu diesem Zweck entwickeln die Forscher einen entsprechenden Algorithmus, der erkennt, wie ausgeprägt die Intersession-Aktivitäten des jeweiligen Patienten sind. Überschreiten die Gedanken an die Therapie das als positiv erachtete Maß oder sind sie stark negativ gefärbt, schickt die App automatisch eine entsprechende Push-Nachricht, etwa mit dem Hinweis, sich gedanklich eine Zeitlang vom Therapiegeschehen zu lösen.

Zum Nachdenken anregen

Stellt die App dagegen fest, dass bei einem Patienten kaum Intersession-Prozesse stattfinden, schickt sie ihm gezielt Fragen, die das Nachdenken über die Sitzung und den Therapeuten anregen sollen. "Hier muss man natürlich sehr sensibel vorgehen, um die Patienten nicht zu nerven", räumt die Psychologin ein. Spielt das therapeutische Geschehen im Innenleben der Patienten überhaupt keine Rolle zwischen den einzelnen Sitzungen, könnte dies auch ein Hinweis darauf sein, dass er auf die jeweilige Therapie nicht anspricht – auch darauf könnte die App aufmerksam machen.

Ob auch der Therapeut Einblick in die App-Einträge seines Patienten bekommen soll? "Das diskutieren wir gerade. Falls ja, muss auf alle Fälle das Einverständnis des Patienten eingeholt werden", sagt Andreas. Für den Therapieverlauf wäre dieses Zusatzwissen des Therapeuten vermutlich von Vorteil.

Ein Jahr wird es noch dauern, bis die neue Applikation in die Testphase kommt. Dann erst sollen Patientengruppen mit und ohne App verglichen und so die Effektivität der neuen digitalen Anwendung ermittelt werden. In etwa zwei Jahren soll sie dann gratis zur Verfügung stehen und schließlich schrittweise für die häufigsten psychischen Erkrankungen adaptiert werden. (Doris Griesser, 9.2.2018)