Wenn du redest, bin ich still, weil ich dich verstehen will: Im Glaskobel im Centre Pompidou muss man auch zuhören können.

Polyfilm

Wien – Man nehme rund ein Dutzend Menschen, setze sie auf einfache Plastikstühle kreisförmig in einen Raum und gebe ein Gesprächsthema vor: Was wie eine sozialexperimentelle Versuchsanordnung klingt, ist in Atelier de conversation, dem ersten langen Dokumentarfilm des österreichischen Regisseurs Bernhard Braunstein, eine simple wöchentliche Gesprächsrunde. Denn dieses Atelier existiert tatsächlich, es findet sich, einem Glaskobel ähnlich, mitten in der öffentlichen Bibliothek des Centre Pompidou.

"Wir sind hier, um über leichte Dinge zu reden. Wir werden hier keine geopolitische Debatte anfangen." Der Moderator erinnert die Teilnehmer aus aller Welt, die sich hier zwecks Spracherwerb und Sozialkontakt einfinden, des Öfteren daran, nicht über Politik oder Religion, dafür ausschließlich Französisch zu sprechen. Hier stehen andere Dinge im Vordergrund, und zwar nicht die konfrontative Diskussion, sondern das Sprechen als solches. Kein Terrain also für den Ägypter, den die Verfolgung der koptischen Christen in seiner Heimat wütend macht, und auch kein Platz für die Frage, welche Rolle Mohammed Mursi im Syrien-Krieg spielt.

Position des stillen Beobachters

Von Braunstein ohne genaues Aufzeichnungsdatum versehen, aber offensichtlich 2014 entstanden, kann man Atelier de conversation als knapp 70-minütige Momentaufnahme von Menschen bezeichnen, die sich aus unterschiedlichen Gründen in einer ihnen nicht vertrauten Sprache gegenüber Fremden ausdrücken möchten. Gesprochen wird über Klischees, Essen, Freundschaft und selbstverständlich die wahre Liebe. Die bildungspolitische Intention dieser Einrichtung ist offensichtlich.

Braunstein, selbst ehemaliger Teilnehmer der Runde, verlässt sich dabei ganz auf die Position des stillen Beobachters: In ausschließlich halbnahen Einstellungen filmt die mitten im Kreis platzierte Kamera die Sprechenden, fängt nur selten Reaktionen der anderen Teilnehmer ein. Hinter dieser formalen Strenge – erst nach einer halben Stunde verlässt der Film für kurze Zeit das Atelier – bleiben die individuellen Lebensgeschichten, von jener der amerikanischen Studentin bis hin zu jener des afghanischen Flüchtlings, im Verborgenen.

Ausgerechnet die Aufhebung der Unterschiede, die das Gesprächslabor vorgibt und Atelier de conversation verlängert, gerät somit zum Paradoxon. (Michael Pekler, 7.2.2018)