Wien/Berlin – Die geplante Übermalung eines Gedichts von Eugen Gomringer an einer Berliner Hochschulfassade sorgt auch hierzulande für Kritik. Rund 200 heimische Lyriker, darunter Elfriede Jelinek, Franzobel und Raoul Schrott, haben einen Aufruf an die Alice-Salomon-Schule gerichtet, den Text nicht entfernen zu lassen. Dadurch würde der Schweizer "entehrt", heißt es in einer Aussendung am Mittwoch.

Begründet wird die Entfernung mit dem angeblich sexistischen Charakter des Gedichts. Im Appell an die renommierte Hochschule zeigten sich die Unterzeichner "entsetzt über das schlampige Verhältnis einer solchen repräsentativen, einen Lyrik-Preis vergebenden Institution zur Freiheit der Kunst, Zensur und zur Lyrik". Der Künstler werde "öffentlich gebrandmarkt", und zudem sei es eine "Zumutung", wenn – wie geplant – der Text durch jenen eines künftigen Poetik-Preisträgers ersetzt werde. "Wir verurteilen jeden zensorischen Eingriff in künstlerische Arbeit mit aller Entschiedenheit."

Gomringers auf Spanisch verfasstes Gedicht "avenidas" (in deutscher Übersetzung: "Alleen und Blumen und Frauen und ein Bewunderer") befindet sich seit 2011 auf der Fassade, als der Lyriker mit dem Alice-Salomon-Poetikpreis ausgezeichnet wurde. Kritiker stört daran, dass es Frauen gegenüber als diskriminierend aufgefasst werden könnte. In der Folge ist darum eine Diskussion entbrannt, der Akademische Senat der Hochschule beschloss schließlich, das Gedicht übermalen zu lassen und künftig alle fünf Jahre ein Werk eines neuen Poetik-Preisträgers an der Hauswand anzubringen. Auch die deutsche Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) hatte dies kürzlich als "erschreckenden Akt der Kulturbarbarei" kritisiert. (APA, 7.2.2018)