Greg Norton, Grant Hart und Bob Mould Anfang der 1980er. Als Hüsker Dü legten sie einen der Grundsteine für das, was als Alternative Music ein zweiter Mainstream wurde.

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Wien – Geschwindigkeit lautete ein Auftrag. Tauchte eine schnellere Band auf, mussten sie eben noch schneller werden, ganz einfach. Die nächste Vorgabe war Lautstärke. Die brauchte Punk. Deshalb standen alle Regler am Anschlag, muss ja.

Dieses Ethos führte im Frühwerk der US-amerikanischen Band Hüsker Dü zu halsbrecherischen Songs. Rein mit Gebrüll, raus mit Gebrüll. Um diesem selbstgestellten Diktat gerecht zu werden, brachten sich Grant Hart, Greg Norton und Bob Mould mit chemischen Hilfsmitteln in Form, mit Speed.

Genauer: mit Trucker-Speed. So hießen billige Amphetamine, die, rezeptfrei, aus mexikanischen Apotheken ausgeliefert wurden. In Kombination mit Alkohol aus Fässern mit Ursprung in Kentucky oder Tennessee schlug sich das in einer Rastlosigkeit nieder, die die Musik und die Karriere von Hüsker Dü gleichermaßen prägte. Gegründet 1979 und aufgelöst 1988, war Hüsker Dü eine der wichtigsten Bands ihrer Zeit – und weit darüber hinaus.

Das vor Weihnachten veröffentlichte und nun endlich auch in Europa vorliegende Boxset Savage Young Dü erinnert mit knapp 70, davon rund 50 bislang unveröffentlichten Songs an diesen Urknall der Alternative Music. Deren gab es mehrere. Doch macht man den Durchbruch des amerikanischen Undergrounds der 1980er-Jahre am Welterfolg von Nirvana fest, säte wohl Hüsker Dü den wesentlichen Keim dafür.

Hüsker Dü: "Do You Remember"
Scraps

"Ich stehe in deiner Schuld"

Der Nirvana-Drummer und heutige Chef der Foo Fighters, Dave Grohl, stellte sich Bob Mould Jahre später mit den Worten "I owe you" vor. "Ich stehe in deiner Schuld." "Ich weiß", antwortet Mould. Bis heute bittet Grohl den mittlerweile 57-jährigen früheren Gitarristen von Hüsker Dü immer wieder, für die Foo Fighters den Support zu machen. Eine Kompensation in historischem Kontext, wenn man so will.

Die Geschichte von Hüsker Dü begann, wie viele ähnliche Karrieren begonnen hatten. Drei Typen aus mehr oder weniger dysfunktionalen Familien fanden im Punk der 1970er-Jahre ihr Heil und ein Ventil. Bassist Greg Norton und Schlagzeuger Grant Hart lernten sich in einem Plattengeschäft in St. Paul, Minnesota, kennen. Sie stellten die Lautsprecher auf den Gehsteig und nötigten die Passanten mit Musik von Pere Ubu oder den Ramones. Das lockte den frisch aus Malone in New York zum Zwecke eines Studiums zugezogenen Bob Mould in das Geschäft.

Bandgründung

Ihr Interesse an Punkmusik verband sie. Sie besuchten Konzerte und verbrachten die Nachmittage mit dem Hören neuer Alben. Nachdem alle mehr oder weniger ambitioniert Instrumente spielten, lag der nächste Schritt nahe: eine Band gründen.

Nach ersten Auftritten als Quartett wurde Mould, Hart und Norton schnell klar, dass sie eine Einheit bildeten, in der kein Vierter Platz hatte. Mit Hüsker Dü, das ist Dänisch für "Erinnerst du dich", wählten sie einen originären Namen. Der Rest war eine Mischung aus Ehrgeiz und Zufällen, die die Band innerhalb eines Jahres zu einer regionalen Größe wachsen ließ. Auf ihrer ersten Tour 1980 trafen sie Black Flag. Die Formation aus Los Angeles galt damals bereits als Speerspitze des Hardcore. Das war eine aus dem Punk gewachsene, härtere Spielart. Hüsker Dü traten bei der After-Show-Party des Black-Flag-Konzerts in Chicago auf.

Das katapultierte sie in ein sich gerade erst formierendes Netzwerk. Es bestand aus verwandten Bands, Clubs, Fans, College-Radiostationen und Übernachtungsangeboten im ganzen Land. Das Leben in diesem Netzwerk wurde bald zum heimatlosen Dauerzustand von Hart, Mould und Norton. Wenn sie nicht im Studio waren, tourten sie, und umgekehrt.

Der im Vorjahr im Alter von 56 Jahren gestorbene Grant Hart wurde neben Bob Mould früh zum gleichberechtigten Songwriter. Beide waren homosexuell, aber nie ein Paar. Die Konkurrenz zwischen dem sonnigeren Hart und dem eher verschlossenen Mould stachelte sie ebenso an wie ihre Speed-Diät.

Hüsker Dü: "It's Not Fair"
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Erstaunliche Erkenntnisse

Savage Young Dü dokumentiert auf vier Platten (oder drei CDs) die in der Frühzeit des Trios entstandene Musik und liefert erstaunliche Erkenntnisse.

Es offenbart, wie früh bereits jene Charakteristika angelegt waren, deretwegen Hüsker Dü später die Vorreiterreiterrolle der Grunge-Revolution zugeschrieben wurde. Bisher galt in der Geschichtsschreibung, dass sie sich von der diabolisch lauten und knüppelhart abliefernden Hardcore-Band langsam einer gewissen Poppigkeit öffneten. Dabei war die immer schon da gewesen.

Allerdings dokumentierte das ihr 1982 veröffentlichtes Debüt Land Speed Record kaum. Das bisher bekannt gewesene Frühwerk stand im Zeichen des Geschwindigkeitsrausches. Hüsker Dü verdichteten ihre Songs derart, dass am Ende oft nur das Klirren von Moulds Gitarre und Harts Cymbals übrigblieb. Die Band verzichtete auf eine Vertiefung ihres Talents für fast beatleesk anmutende Melodien. Zeitgeist und Publikumserwartung waren auf Hardcore fixiert. Das bescherte ihnen in kürzester Zeit eine landesweite und mittelfristig eine weltweite Fangemeinde.

Adoleszente Wut

Eine detaillierte Chronik der Gruppe findet sich in einem 106-seitigen Buch, das Savage Young Dü beiliegt. Es dokumentiert den Geist dieser Jahre und beschreibt das kulturelle Biotop, in dem Hüsker Dü gedeihen konnte. Darin entlud sich der adoleszente Zorn einer weißen Vorstadtjugend. Sie formulierten die Ohnmacht angesichts der gerade anbrechenden Ronald-Reagan-Ära und boten zumindest eine pessimistisch-hedonistische Alternative zur reaktionären Politik. Dieser Gemütszustand entlud sich in der von Savage Young Dü eingefangenen Ära meist in eruptive Zweiminüter, die zumindest die Misfits ihrer Generation ansprachen. Doch das war der Band bald selbst nicht mehr genug. Mit wachsendem Können und größer werdender Popularität sprengten sie das Korsett des Hardcore.

1984 erschien Zen Arcade und markierte die Wende. Das für sein Genre ungewöhnliche Doppelalbum mit einem losen Konzept gilt als Meilenstein in der Entwicklung der Alternative Music. Nur das im selben Jahr veröffentlichte Double Nickels On The Dime der Gruppe Minutemen genießt ähnliches Renommee.

In Jams am Rande des Wahnsinns formulierte es einen neuen Ansatz – immer noch im Zustand der Atemlosigkeit. Die Linernotes des Albums klären auf, dass alle 23 Songs in 87 Stunden entstanden waren und jeweils die erste eingespielte Aufnahme veröffentlicht worden ist. Bis auf drei. Die habe man zu schnell begonnen.

Hüsker Dü: "Heavy Handed"
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In Balance gebracht

Das nächste Album schlug den nächsten Haken. Hüsker Dü brachten auf dem 1985 erschienenen New Day Rising Hardcore mit ihrem Talent für Hooklines langsam in Balance. Nach fünf ihre Popularität multiplizierenden Alben landeten sie als eine der ersten Gruppen ihrer Szene bei einem Major Label. Die auf Warner erschienenen letzten zwei Alben – Candy Apple Grey und Warehouse: Songs and Stories – bewiesen erstmals das kommerzielle Potenzial dieser Musik aus dem Underground. Im Bundesstaat Washington hörte der junge Kurt Cobain genau zu. Er war Fan.

Einige Jahre später überführte er mit seinem Trio die Musik, die Hüsker Dü erschaffen hatte, zu Weltruhm. So betrachtet ist Savage Young Dü nicht nur ein aufregendes Tondokument an sich. Es ist eines von historischer Bedeutung und war als solches lange überfällig. (Karl Fluch, 8.2.2018)