Martin Schulz will die große Koalition mit der Union – ob die Genossinnen und Genossen ihm folgen werden, ist noch offen.

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"Wahnsinn!", twitterte ein euphorischer Lars Klingbeil am Dienstagabend. "Seit Neujahr sind 24.339 Neumitglieder in unsere Partei eingetreten. Damit hat die SPD am Stichtag für das Mitgliedervotum 463.723 Mitglieder. Ich freue mich, dass ihr alle dabei seid!"

In Deutschland wollten weder CDU noch SPD eine gemeinsame Regierung. "Spiegel"-Politikredakteur Markus Feldenkirchen erläutert, wie glaubwürdig und wie stabil diese Koalition sein kann.
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Der rasante Mitgliederzuwachs muss den SPD-Generalsekretär natürlich freuen – doch andererseits könnte sich gerade dieser als Stolperstein für die Fortsetzung einer großen Koalition mit der Union erweisen; denn der Zustrom zu den Sozialdemokraten ist weniger als Solidaritätsbekundung mit der Parteiführung unter Martin Schulz zu verstehen, sondern eher als das Resultat einer Anwerbungskampagne des Parteinachwuchses (Jusos), um ebendiese "Groko" doch noch zu verhindern. Der eingängige Slogan: "Tritt ein, sag Nein!"

Verbindliches Votum

Tatsächlich sind nun per Stichtag Dienstag 18 Uhr 463.723 Genossinnen und Genossen am Wort. Sie haben jetzt die Möglichkeit, ihre Meinung zum Deal mit Angela Merkel (CDU) kundzutun. Bekanntgeben will die SPD das Ergebnis am 4. März – und Schulz muss sich verbindlich nach dem Votum richten. Er darf getrost davon ausgehen, dass zumindest der Großteil der Neurekrutierten gegen sein Programm stimmen wird.

Schon 2013 hatte die SPD-Führung ihre Basis um die Erlaubnis für eine Koalition mit Angela Merkels Union gefragt: Damals hatte man von 78 Prozent der Mitglieder eine komfortable Mehrheit bekommen.

Dafür, dass es auch diesmal wieder eine Mehrheit gibt, will die SPD-Führung auch mit einem Wechsel an der Spitze sorgen, wo die beliebte Andrea Nahles Martin Schulz ablösen soll. Bei den Jusos sorgt das nicht für Freude. Deren Chef Kevin Kühnert jedenfalls hat den Plan heftig kritisiert. Jetzt die Parteiführung auszutauschen lasse das Inhaltliche in den Hintergrund treten, sagte er: "Personaldebatten lenken nur ab." Dennoch hält es der Chef der SPD-Nachwuchsorganisation weiter für möglich, dass eine Mehrheit beim Mitgliederentscheid gegen die große Koalition stimmt. Niemand könne sich sicher sein. "Den Zuspruch, den wir bekommen, ist ungebrochen", sagte der entschiedene Gegner einer neuen großen Koalition.

Die Groko, die keine mehr ist

Das Ergebnis für 2013 sollte für die SPD-Spitze jedenfalls nicht zur Beruhigung dienen. Denn das waren noch gänzlich andere Zeiten – diesmal ist der parteiinterne Gegenwind wesentlich stärker, da man befürchtet, in weiteren vier Jahren mit der Union als Juniorpartner endgültig aufgerieben zu werden. Schon bei der Wahl im September verloren die Sozialdemokraten im Vergleich zu 2013 ein Fünftel aller Stimmen und landeten bei 20,5 Prozent. Heute liegt die SPD sogar noch weit darunter: Einer aktuellen Insa-Umfrage für die "Bild"-Zeitung zufolge kommt sie nur noch auf 17 Prozent, eine Forsa-Erhebung weist mit 18 Prozent ein nur marginal besseres Ergebnis aus.

Doch auch CDU/CSU können nicht glänzen. Mit Werten zwischen 30,5 Prozent (Insa) und 33 Prozent (Forsa und Emnid) scheint möglich, dass die Groko schon vor ihrem Beginn keine Mehrheit mehr hätte – eine Hypothek für die kommenden Jahre in der Regierungsverantwortung.

Unzufriedenheit auch in der Wirtschaft

Unmut und Ablehnung gibt es nicht nur bei der Basis, sondern auch in der deutschen Wirtschaft: "In der Gesamtschau ist die deutsche Industrie mit dem Koalitionsvertrag unzufrieden", gab Dieter Kempf, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), säuerlich zu Protokoll. Er ortet eine "klare Schieflage in Richtung Umverteilung anstatt Zukunftssicherung" und mokierte sich über "fehlenden Mut" in steuerpolitischen Ansagen.

Ähnlich sieht es der Vorsitzende des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Eric Schweitzer: Er vermisst steuerliche Entlastungsmaßnahmen im Programm, das könnte Deutschland beim Standortwettbewerb zum Nachteil gereichen. Sprich: Man werde sich wohl früher oder später im Ausland umsehen müssen. (Gianluca Wallisch, red, 8.2.2018)