Aktuell schicken die Finanz und die Gebietskrankenkassen Kontrolleure los. Das könnte sich ändern.

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Wien – Will die Regierung die Selbstverwaltung der Krankenkassen aushebeln oder bloß das Leben von Unternehmen etwas vereinfachen: Darüber tobt seit Mittwoch ein offener Streit in Österreich. Die Gebietskrankenkassen wehren sich konkret gegen den Plan der türkis-blauen Koalitionäre, die Lohnverrechnung künftig in einer Hand zu konzentrieren, nämlich unter der Schirmherrschaft des Finanzministers.

Ingrid Reischl, Obfrau der Wiener Gebietskrankenkasse, warnte am Mittwoch vor einer "Verstaatlichung" des Gesundheitssystems. Rückendeckung bekam sie dafür aus den Ländern. Der Vorstand der steirischen Gebietskrankenkasse teilte dem STANDARD mit, man teile die Kritik Reischls an den Regierungsplänen. "100 Prozent Zustimmung", bekam sie selbst von der ÖVP-dominierten Tiroler Gebietskrankenkasse.

"Vereinfachung der Lohnverrechnung"

Anlass für den Streit ist eine Passage im Koalitionsabkommen unter dem Titel "Vereinfachung der Lohnverrechnung". Wenn Unternehmen Arbeitnehmer beschäftigten, haben sie im Regelfall gleich drei Anlaufstellen. Die Einhebung der Lohnsteuer erfolgt durch die Finanzämter, jene der Sozialversicherungsbeiträge durch die Gebietskrankenkassen. Hinzu kommen die Kommunalsteuern, die an die Gemeinden zu entrichten sind.

Die Prüfung, ob alle Abgaben abgeführt wurden, erfolgt durch Gebietskrankenkassen und Finanz. Dabei agieren sie entweder gemeinsam, oder jede Stelle prüft sämtliche Abgaben gleich mit. Kassen wie auch Finanz führen zum Beispiel auf Baustellen und im Gastgewerbe Vor-Ort-Kontrollen durch, um Abgabenbetrug aufzudecken.

Laut Regierung wird sich das ändern. In einem ersten Schritt sollen die Prüfer von Finanz und Krankenkassen in einer Behörde zusammengefasst werden. Die Kompetenzen dürften zur Finanz wandern. So legt es das Regierungsabkommen nahe, und so interpretiert man das bei den Kassen. Der zweite Schritt ist noch umfassender. Auch die gesamte Beitragseinhebung soll nämlich von den Versicherungen zur Finanz kommen.

Das wäre eine große Umstellung: Aktuell heben die Gebietskrankenkassen 40 Milliarden Euro ein (ohne Beamte). Politisch würde das Projekt neue Weichenstellungen bringen. Das seit Jahren von der ÖVP geführte Finanzministerium würde an Bedeutung gewinnen, die von Arbeitnehmern und Arbeitgebern verwalteten Kassen würden Kompetenzen abgeben.

Beiträge vorenthalten

Die Chefin der Wiener Gebietskrankenkasse Reischl warnt, dass die Regierung den Kassen künftig Beiträge vorenthalten könnte, etwa wenn sie ansonsten ihre Budgetziele nicht erreichen würde. Die Folge wären mögliche Leistungskürzungen für Patienten. Das Gegenargument lautet, dass der Staat sich eine Versicherungszahlung nicht einfach einbehalten könne. Gesetzlich könnte ja weiter fixiert bleiben, was den Kassen gebührt.

Reischl will das nicht gelten lassen: Wer die Kontrolle über das Geld hat, schafft an, sagt sie, die Selbstverwaltung der Kassen sieht sie daher gefährdet. Sie selbst sieht keinen Grund für den Schritt. Das System sei effizient, bei einer Umstellung schaffe man Komplikationen.

Ein Beispiel: Wenn eine werdende Mutter Wochengeld beantragt, muss die Versicherung auf Basis der Einzahlungen ausrechnen, was der Mutter zusteht. Wenn die Finanz künftig die Gelder einhebt, aber die Krankenkasse weiterhin die Leistungen verwaltet, wären zwei Stellen für den Vorgang zuständig.

Finanzministerium sieht kein Problem

Für die Versicherten könnte der Prozess langwieriger werden. Im Finanzministerium sieht man das Problem nicht. Eine einheitliche Abgabeneinhebung wäre ein Beitrag zur Entbürokratisierung, wird argumentiert. Unternehmern hätten damit nur noch einen Ansprechpartner. Auch bei Streitfällen gibt es derzeit zudem zwei zuständige Stellen bei Kassen und Finanz.

Bei der Wiener Gebietskrankenkasse argumentiert man, dass die eigenen Prüfer effizienter sind. Ein Kontrolleur der Kasse bringe pro Jahr eine Abgabennachzahlung in Höhe von einer Million Euro. Bei einem Prüfer der Finanz in Wien wären es nur 600.000 Euro. Die Wiener Kasse beschäftigt 460 Personen in der Beitragseinhebung. Die Hälfte dieser Jobs könnte entfallen, so die Reform kommt, wird argumentiert. (András Szigetvari, 8.2.2018)