Typische Szene in Neu-Delhi: Die Luftqualität ist vor allem in den Morgenstunden besonders schlecht.
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Wer in diesen Tagen spätnachts in Neu-Delhi ankommt, gewinnt einen ersten Eindruck davon, was Smog bedeutet. Aufgrund der Wetterlage der vergangenen Tage – es regnete – war die ohnehin stark mit Feinstaub belastete Luft auch noch feucht, was die Situation so sehr verschärfte, dass man vom Flughafen ins Stadtzentrum nur mit Warnblinkanlage und im Schritttempo fahren konnte. Im indischen Straßenverkehr bewegt man sich sowieso "space oriented", wie Verkehrswissenschafter sagen: Dort, wo sich eine Lücke auftut, wird gefahren, wenn ein anderes Fahrzeug im Weg steht, wird gehupt. Im dichten Nebel ist das neben der Warnblinkanlage immerhin eine zweite Möglichkeit, sich zu orientieren.

Die Luftverschmutzung ist in Neu-Delhi, mit deutlich über 20 Millionen Einwohnern die Hauptstadt Indiens, ein zentrales Problem. Schuld daran ist nicht nur der Straßenverkehr – laut Statistiken fahren jede Nacht etwa 20.000 Diesel-Lkws durch die Metropole, alternative Antriebe gibt es praktisch keine. Im Umland verbrennen zudem zahlreiche Bauern die Überreste ihrer Ernte. Das ist für sie der kostengünstigste Weg, um Platz zu schaffen.

Im von der Weltgesundheitsorganisation WHO erstellten Ranking der 20 am meisten belasteten Städte finden sich aber noch weitere acht indische Städte: Gwalior und Allahabad zum Beispiel. Die im Süden liegende Metropole Bengaluru (Bangalore) ist weniger, aber auch betroffen. Der Belandur-See in der Großstadt ist aufgrund von Abwasser und Abfällen eine ökologische Zeitbombe. Es braucht nur wenig, um den See in Brand zu setzen. Im Jahr 2015 lag eine dichte Schaumdecke auf ihm. Der Schaum wurde vom Wind allerdings weggetragen und umhüllte Passanten.

Arbeit als Tagelöhner

30 Prozent der 1,3 Milliarden Inder leben in Städten, wo siebzig Prozent des Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet werden. Das zeigt schon, wie Lebensumstände auseinanderklaffen. Aber auch in einer Stadt wie Bengaluru, wo Fußwege, sofern es sie überhaupt gibt, oft durch Baustellen oder Löcher im Asphalt unterbrochen sind, wo zahllose Menschen auf den Straßen leben, erlebt man die hier typischen Klassenunterschiede. Inder sprechen nicht gern von Kasten, es gibt sie aber nach wie vor: Ein Hindu bleibt von der Geburt bis zum Tode an sie gebunden. Es leben unverhältnismäßig viele arme Menschen in diesem Land. Eine große Zahl der Arbeiter ist als Tagelöhner beschäftigt.

Fernab dieser Realität gibt es Zahlen: Die indische Wirtschaft wächst rasant. Laut britischen Ökonomen ist man bereits an fünfter Stelle weltweit – der nördliche Nachbar, China, soll in Reichweite sein. Der indische Staat investiert große Summen in einigen Initiativen, die angesichts der zahllosen Probleme im Land unrealistisch wirken: Da gibt es zum Beispiel eine Smart City Mission, die bis 2022 hundert Städte im Land nachhaltiger und lebenswerter machen soll, als sie es jetzt sind. Die mit umgerechnet 28 Mrd. Euro ausgestattete Initiative konzentriert sich auf die Bereiche Mobilität, Abfallwirtschaft und
E-Government, um Indiens Bürokratie in die Gegenwart zu führen.

Radwege sind smart

Dabei scheint man noch nicht einmal über relevantes Basiswissen zu verfügen: Soma Banerjee, Direktorin Energy & Infrastructure der Confederation of Indian Industry, sagte vor österreichischen Journalisten, man wisse derzeit nicht einmal, wo welche Wasserleitungen in den Großstädten verlaufen. Der Handelsdelegierte der Wirtschaftskammer in Indien, Oskar Andesner, ergänzte, in vielen indischen Städten sei schon die Schaffung eines Radweges Teil einer Smart City.

Hochfliegende Pläne gibt es auch in Fragen der Mobilität: 2030 sollen alle neu zugelassenen Fahrzeuge elektrisch fahren, was bei der in Delhi gelegenen Dependance des steirischen Zulieferers AVL List bestätigt wurde. Dessen Geschäftsführer Shashi Singh schüttelt angesichts der kurzen Zeit, die für eine Umstellung und für die Schaffung der nötigen Infrastruktur bleibt, den Kopf. "Das ist ein Traum", sagt er, seine Ingenieure denken ganz ähnlich. "Ein gewisser Prozentsatz wird schon gelingen. Aber 100?" Augenrollen untermauert die angesprochenen Zweifel.

Fast drei Flugstunden weiter südlich, im jetzt für europäische Verhältnisse sommerlichen Bengaluru, glaubt auch niemand, dass die Umsetzung zu hundert Prozent gelingen kann. Obwohl sich viele Inder in wirklich rückhaltlosem Optimismus üben, kann man sich E-Tankstellen inmitten der täglichen Verkehrsstaus und des Dieselgestanks nur schwer vorstellen – zumal ein Viertel der indischen Bevölkerung heute noch ohne Strom leben muss.

Eine Art Silicon Valley

Bengaluru wird als das Silicon Valley Indiens bezeichnet, hier siedeln sich zahlreiche Jungunternehmer mit Schwerpunkt IT an. Hier findet man auch große internationale Technologiekonzerne wie Tata Consultance Services (TCS) mit weltweit 390.000 Mitarbeitern. Das Unternehmen ist in Indien börsennotiert und gehört zur Tata Group, die 1868 gegründet wurde – also dieses Jahr das 150-jährige Firmenjubiläum begeht. Die Unternehmen der Tata Group beschäftigen insgesamt mehr als 695.000 Mitarbeiter mit unterschiedlichen Schwerpunkten (Autos, Kaffee, Tee).

Hier in Bengaluru werden auch Artificial-Intelligence-Ideen mit Drohnen umgesetzt: Unbemannte Flugkörper werden von Tata durch riesige Lagerhallen geschickt, um Waren zu scannen, oder in finnische Wälder, um für die dortige Forstwirtschaft zu analysieren, wo man Bäume schneiden kann und sollte, ohne größere Bestände zu gefährden. Die Herausforderung ist hier nicht die Technik der Objekterkennung, sondern der Flug ohne Unfall, sagt ein Tata-Techniker.

Welche Rolle spielen österreichische Unternehmen in Indien? Neben AVL sind unter anderem der heimische Leiterplattenhersteller AT&S, das oberösterreichische Technologieunternehmen Frauscher und der Ziegelproduzent Wienerberger im Land aktiv – letzterer profitiert natürlich durch die in Großstädten augenfällige Bautätigkeit. Die Forschung innerhalb Indiens hat allerdings enormen Aufholbedarf: Zwar sind 400 Forschungsinstitute allein in Bengaluru ansässig – jeder zweite Forscher eines internationalen Konzerns arbeitet in der Metropole -, im gesamten Land arbeiten aber laut der Tageszeitung The Hindu nur 156 Wissenschafter pro einer Million Einwohner. In den USA sind es zum Vergleich über 4000.

Für österreichische Forscher könnte es in diesem Szenario thematische Anknüpfungspunkte geben. Das Austrian Institute of Technology (AIT), dessen Schwerpunkte in Bereichen liegen, die für Indien interessant sein sollten (Energie, Mobilität), erhofft sich daher eine Kooperation mit der indischen Wissenschaftsszene – und strebt mithilfe der Außenwirtschaft Austria eine Zusammenarbeit mit dem Indian Institute of Science (IISc) an. AIT-Direktor Wolfgang Knoll sieht eine Variante in einem Zwei-plus-zwei-Modell: Beide Forschungseinrichtungen sollten sich demnach je ein Unternehmen als Partner suchen, um in einer länderübergreifendenden Kooperation Projekte auf die Beine stellen zu können. Fix ist, dass man den Gedankenaustausch im Rahmen zweier Workshops mit den Kollegen aus Indien vertiefen will. Bei den Alpbacher Technologiegesprächen 2018 wird es einen Schwerpunkt geben. Die indischen Wissenschafter haben, wenn sie Austria meinten mitunter Australia gesagt. Eine Verwechslung, die man in Österreich schon öfter gehört hat. (Peter Illetschko aus Neu-Delhi, 8.2.2018)