Besteuerung digitaler Konzerne soll in Zukunft einen wichtigen Teil der EU-Einnahmen ausmachen.

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Paris – Frankreichs Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire fordert von seinen Amtskollegen Mut zu einer Finanztransaktionssteuer und erwartet, dass künftig die Besteuerung von Google und Co Milliarden einbringt. Denn man könne digitale Konzerne auch ins Land holen, wenn man Abgaben von ihnen einfordert. Steuerdumping in der EU wäre für ihn kollektiver Selbstmord, weil sich viele öffentliche Einrichtungen nicht mehr finanzieren ließen.

STANDARD: Seit der Wahl von Präsident Macron befindet sich Frankreich in Aufbruchstimmung. Erlebt das Land gar ein neues Wirtschaftswunder?

Le Maire: Solange die Franzosen nicht das Gefühl haben, dass sich die Dinge wirklich geändert haben, kann man nicht von einem Wunder sprechen. In Frankreich ist ein tiefgreifender Wandel der Wirtschaft im Gange. Unsere Arbeitsmarktreform von 2017 hat mehr Flexibilität erlaubt; unsere Steuerreform ist die wichtigste der letzten dreißig Jahre. Die Kapitalbesteuerung abzubauen, um die Wirtschaft besser zu finanzieren, bedeutet eine totale Umstellung.

STANDARD: Setzen Sie die Reformen 2018 fort?

Le Maire: Wir werden sie noch beschleunigen, und zwar im Bereich der Berufsbildung und -lehre. Mitte April werde ich zudem ein Gesetz für das Wachstum und die Umwandlung der Firmen vorlegen, denn anders als in Deutschland sind viele zu klein, um im Ausland zu reüssieren.

STANDARD: Fürs Erste äußerst sich die Reform des Arbeitsrechts vor allem in der Zunahme der Entlassungen ...

Le Maire: Es ist meine Aufgabe, das solide Wachstum Frankreichs auszunützen, um den Unternehmen die Schaffung neuer Jobs zu ermöglichen. Auch deshalb müssen wir das Sparkapital in Richtung der Klein- und Mittelunternehmen umleiten. All das setzt viel Zeit voraus. Wir brauchen Geduld. Die Franzosen müssen uns mindestens zwei Jahre geben. Außerdem wurden 2017 in der Privatwirtschaft 264.000 Stellen geschaffen. Und Google hat die Schaffung eines Forschungszentrums in der Bretagne angekündigt. Die chinesische Onlinehandelsplattform JJ will ihr wichtigstes Logistikzentrum in Frankreich ansiedeln; Toyota steckt 300 Millionen Euro in die Erweiterung seines Werkes in Valenciennes in Nordfrankreich.

STANDARD: Macron will auch die Finanz und die Banken von der Londoner City nach Paris locken?

Le Maire: Es ist eines unserer Ziele, dass Paris der größte Finanzplatz Europas wird. JP Morgan, Bank of America oder Goldman Sachs wollen ihre französischen Niederlassungen ausbauen. Und dann will Frankreich auch in der so wichtigen "grünen Finanz" eine Schlüsselrolle spielen.

STANDARD: Halten Sie an der seit langem geplanten Finanztransaktionssteuer fest?

Le Maire: Wir sind dafür – sofern sie auf europäischer Ebene entsteht. Und das ist möglich! Ich glaube nicht, dass sie für Frankreich ein Attraktivitätsnachteil wäre. Meinen europäischen Kollegen sage ich: Habt keine Angst, für eure Werte einzustehen.

STANDARD: Und die Besteuerung der GAFA (Google, Amazon, Facebook, Apple)?

Le Maire: Man kann digitale Konzerne ins Land holen, auch wenn man sie besteuert. Frankreich wünscht, dass die im Frühling vorgestellten Besteuerungspläne der EU-Kommission konkret und ehrgeizig ausfallen. Die europäischen Bürger würden es nicht verstehen, wenn der Steuerertrag dieser digitalen Riesen nur einige Dutzend Millionen Euro betragen würde. Er muss in Zukunft einen wichtigen Teil der öffentlichen Einnahmen Europas ausmachen und sich in Milliarden rechnen. Frankreich wünscht, dass das Kriterium der Besteuerung nicht die Werbung, sondern der Umsatz ist. Es sei denn, die OECD findet ein besseres Kriterium.

STANDARD: Doch werden selbst die vereinten EU-Bemühungen nicht durch die Steuerpolitik der USA über den Haufen geworfen?

Le Maire: US-Finanzminister Steven Mnuchin verschließt sich der Besteuerung der GAFA nicht von vornherein. Er hat nur mit dem Kriterium des Umsatzes Mühe. Interessant ist die europäische Reaktion auf die amerikanische Steuerreform: Erstmals haben die Finanzminister Frankreichs, Spaniens, Deutschlands, Italiens und Englands ihrem US-Kollegen zusammen geschrieben, um ihre Sorgen in diesem Bereich auszudrücken.

STANDARD: Frankreich will auch in der EU gegen Steuerdumping vorgehen.

Le Maire: Steuerdumping in der EU wäre kollektiver Selbstmord. Denn wie wollen Sie Kinderkrippen, Spitäler und den ganzen Public-Service-Bereich finanzieren, wenn Sie ständig das Steuerniveau senken? Mit Deutschland wollen wir bis Ende 2018 zu einer Annäherung bei der Unternehmenssteuer gelangen. Das muss nicht eine völlige Anpassung sein; Präsident Macron schlägt eher einen "Steuersatzkorridor" mit Ober- und Untergrenzen vor.

STANDARD: Halten Sie an einem eigenen Budget und einem Finanzminister für die Eurozone fest?

Le Maire: Macron hat in seiner Rede an der Sorbonne-Universität die großen Linien vorgezeichnet, und wir werden sie nicht ändern. Wir werden unsere Ambitionen für die Eurozone nicht abschwächen. Wir wollen rasch eine Bankenunion, einen europäischen Solidaritätsmechanismus und ein Eurozonenbudget mit eigenem Minister. Das Wort Budget macht Angst; dabei wird das damit verbundene Ziel, mehr zu investieren, auch von unseren deutschen Freunden geteilt.

STANDARD: Beunruhigt Sie die Börsentalfahrt?

Le Marie: Es handelt sich um eine Korrektur, da einzelne Aktive zweifellos überbewertet waren. Diese Reaktion ist keine Überraschung.

STANDARD: Was halten Sie von der Zinspolitik der USA?

Le Maire: Diesbezüglich muss eine einzige Regel gelten: Man spielt nicht mit dem Wechselkurs. Er ist kein Spielzeug in der Hand der Politiker, sondern Spiegel der nationalen Wirtschaftsrealitäten. Ich habe sehr genau hingehört, als Donald Trump sagte, ein starker Dollar sei im Interesse der USA.

STANDARD: Befürchtet Frankreich einen Anstieg der Zinsen?

Le Maire: Wir wissen, dass die Zinsen ansteigen werden. Wir haben diese Entwicklung in unserem Haushalt vorweggenommen. (Stefan Brändle aus Paris, 8.2.2018)