Menschendichte, Anonymität: für manche Männer einladend.

Foto: AFP/KARIM SAHIB

Riad/Wien – Die seltsame Umgebung, in der die Diskussion über sexuelle Belästigung in Mekka, der Geburtsstadt des Islam, stattfindet, ist mit folgendem Satz gut illustriert: "Ich hatte Angst, das zu teilen, denn es könnte eure religiösen Gefühle verletzen", schrieb Sabica Khan in ihrem Facebook-Eintrag Anfang Februar. Die Frau aus Pakistan hatte zuvor geschildert, wie sie bei der großen islamischen Pilgerfahrt, der Hajj, belästigt worden war. Und zwar genau bei der für viele Muslime und Musliminnen spirituell besonders bedeutenden Umrundung der Kaaba in der Großen Moschee von Mekka.

Der Eintrag löste eine Reihe von Reaktionen aus, unter anderem auch Botschaften anderer Frauen mit ganz ähnlichen Erlebnissen. Solche Berichte hat es zwar auch schon früher hin und wieder gegeben, aber #MeToo ist eben nun auch dort angekommen, wo man sonst doch lieber den Mund hält. Zu quantifizieren ist das Phänomen nicht: Bei Millionen Pilgern jährlich – außer der großen Wallfahrt gibt es ja auch die kleine, die Umrah, die man jederzeit absolvieren kann – wird die Zahl wohl nicht besonders ins Gewicht fallen. Aber das Problem für jene Frauen, die sexuelle Belästigung erlebt haben, ist nicht nur die persönliche Betroffenheit, sondern auch das Gefühl der Beschmutzung des Glaubens. Und der wird geschützt, indem man lieber nichts sagt.

Die Umrundung der Kaaba

Offenbar ist der "Tawaf", die siebenmalige Umrundung der Kaaba, bei der die Pilger und Pilgerinnen wegen der Massen oft eng nebeneinander gehen müssen, eine besondere Einladung – und hier wiederum der Moment, wo die Menge, wenn sie sich dem in der Kaaba eingelassenen schwarzen Stein nähert, dichter und zur Schlange wird. Da wird nicht nur zugegriffen, schildern die Frauen, sondern auch das männliche Geschlechtsteil eingesetzt. Es sind so gut wie ausschließlich Frauen betroffen, die sich nicht eng an ihre Familie und Begleiter halten.

Manche Frauen wollen zuerst an ein Versehen glauben, erst bei wiederholten Attacken wird die Absicht klar. Vereinzelt kommen Klagen über das saudische Sicherheitspersonal, das jedoch meist nur verbal übergriffig wird.

Bei der Hajj mischen sich Frauen und Männer: anders als sonst in Saudi-Arabien, wo die Segregation nur sehr langsam aufgeweicht wird, auch wenn Kronprinz Mohammed bin Salman die Modernisierung eingeläutet hat. Im salafistischen Königreich ist sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum ein großes Problem – aber die Gelegenheiten dazu bei weitem nicht so zahlreich wie anderswo. Aber gerade das führt dazu, dass, wie Mekka-Pilgerinnen online schreiben, manche Männer Frauen als eine Art "neu entdeckte Spezies" sehen. Alle Frauen, von jung bis alt, werden angemacht.

Mehr soziale als religiöse Pflicht

Dass sich nicht jeder, der die "Heilige Moschee" in Mekka betritt, in heiligmäßigem Zustand befindet, liegt auch auf der Hand: Die Pflicht zur Pilgerfahrt ist in manchen Gesellschaftsschichten in islamisch geprägten Ländern mehr eine soziale als eine religiös empfundene. Und die Anonymität – alle Männer sind mit den gleichen weißen Tüchern bekleidet – wird wohl von manchen als besonders günstig empfunden. (Gudrun Harrer, 9.2.2018)