Im Athletendorf in Gangneung wurde die nordkoreanische Flagge gehisst.

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Im Phoenix Park in Bokwang beobachten Volunteers den kanadischen Snowboarder Max Parrot beim Training.

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Für den 40-jährigen Bae Seong-han war es Ehrensache, dass er seinen diesjährigen Winterurlaub mit Frau und Kindern in Pyeongchang verbringen wird. Bae steht am Fuße des Alpensia-Skihangs, wo die Biathleten um Medaillen kämpfen werden. An diesem eisigen Wintertag rasen nur seine siebenjährigen Zwillingssöhne durch den Schnee – auf neongelben Plastikschlitten.

"Als ich elf war, fanden in Seoul gerade die Sommerspiele statt", erinnert sich der Büroangestellte. Aufgrund schleppender Ticketverkäufe habe die Regierung damals Eintrittskarten an die Grundschulen verteilt. "So konnte ich dabei sein, das war rückblickend ein einschneidendes Erlebnis." Erstmals seit dem Koreakrieg habe die Welt nach Südkorea geschaut – eine aufstrebende Wirtschaftsnation, deren Bevölkerung kurz zuvor der Militärregierung freie Wahlen abgerungen hatte.

Schlagzeilen

Heuer sorgt vor allem der nördliche Nachbar für Schlagzeilen: Noch vor wenigen Monaten galt Nordkorea als Damoklesschwert, das drohend über dem Erfolg der Spiele in Pyeongchang schwebte. Unter ausländischen Wintersportverbänden regte sich Unbehagen bei dem Gedanken, seine Athleten ins 80 Kilometer von der innerkoreansichen Grenze entfernte Pyeongchang zu schicken.

Seit seiner Neujahrsansprache hat Kim Jong-un aber das Blatt gewendet – und einen PR-Coup gelandet: Er entsendet 22 nordkoreanische Athleten zum südlichen Nachbarn, flankiert von 230 Cheerleadern, einem 140-köpfigen Orchester und 30 Taekwondo-Kämpfern. Angeführt wird die Delegation von Kim Jong-uns Schwester Kim Yo-jong. Sie wird als erstes Familienmitglied der diktatorischen Herrscherdynastie seit der Landesteilung südkoreanischen Boden betreten. Von Seouls Vereinigungsministerium wird dies als gutes Zeichen gedeutet, die innerkoreanischen Beziehungen zu verbessern.

Militärparade in Pjöngjang

Gleichzeitig fand am Donnerstag in Pjöngjang eine Militärparade anlässlich des 105. Geburtstags von Staatsgründer Kim Il-sung statt. Anders als im Vorjahr wurde die Parade jedoch nicht live im Staatsfernsehen übertragen und dauerte lediglich eine halbe Stunde an. Anscheinend will Kim Jong-un die geplante Annäherung auf Eis nicht gefährden: Beide Koreas schicken ein gemeinsames Frauen-Eishockeyteam ins Turnier, zudem werden alle Athleten unter einer "Einheitsflagge" einlaufen. Herrn Bae ärgert das: "Ich weiß nicht, was sich die Nordkoreaner sich von den Spielen erwarten. Letztendlich geht es doch um den Sport, und da haben sie eher mittelklassige Athleten." Tatsächlich hat sich nur ein nordkoreanisches Eiskunstlaufpaar regulär qualifiziert, die restlichen Teilnehmer waren auf Wildcards des IOC angewiesen.

Von Südkoreas linksliberaler Regierung wurden die sportdiplomatischen Avancen des Nordens mit offenen Armen aufgenommen. Präsident Moon Jae-in spricht gar von symbolischen "Friedensspielen", die einen historischen Wendepunkt auf der koreanischen Halbinsel darstellen könnten. Südkoreas Bevölkerung zeigt sich allerdings gespalten. Laut einer Umfrage von Ende Jänner begrüßen nur 40 Prozent der Befragten, dass die Athleten des geteilten Landes unter derselben Flagge einlaufen werden.

In diplomatischen Kreisen in Seoul wird währenddessen immer stärker darüber spekuliert, ob die USA nach Olympia einen präventiven Erstschlag gegen Nordkorea wagen werden. Laut vertraulichen Aussagen von US-Regierungsbeamten der US-Streitkräfte in Seoul liege die Wahrscheinlichkeit eines Angriffs erstmals bei über 50 Prozent. "bloody nose" nennt sich die hochgefährliche Strategie der Trump-Regierung: Sie zielt darauf ab, mit einem einzigen Raketenangriff auf nordkoreanische Militäranlagen das Regime in eine Art Schockstarre zu versetzen – und darauf zu hoffen, dass das Regime in Pjöngjang nicht mit einem Kamikazekrieg zurückschlägt.

Evakuierungspläne

Tatsächlich verdichten sich die Anzeichen für den Ernstfall: Ende Jänner hat das britische Militär eine Delegation nach Seoul entsandt, um Evakuierungspläne für seine 8000 Staatsbürger auszuloten. Am Mittwoch warnte der Nordkorea-Experte – und bereits nominierte US-Botschafter in Seoul – Victor Cha in der Washington Post vor den Gefahren der "Bloody nose"-Strategie. Fast zeitgleich hat das Pentagon seine Nominierung als Botschafter zurückgezogen. Auch wenn die US-Regierung einen Zusammenhang ausgeschlossen hat, sind sich linke und konservative Tageszeitungen Koreas ausnahmsweise einig: Der Abzug des Botschafters sei ein "besorgniserregendes Signal, dass die Trump-Regierung ernsthaft einen Militärschlag gegen Nordkorea in Betracht zieht", titelt die rechtsgerichtete Chosun Ilbo.

In Pyeongchang scheint sich dennoch niemand wegen eines militärischen Konflikts während der Spiele zu sorgen. Die Studentin Han Eun-hee sagt, Nordkoreas Teilnahme sei prinzipiell eine gute Sache. In rot-weiße Skianzüge gekleidet, huscht die 19-Jährige mit zwei Freundinnen über den Hauptplatz der Alpensia-Anlage in Richtung Mensa. Als freiwillige Helferin wird sie während der Winterspiele die sozialen Netzwerke mit Fotoschnappschüssen und lustigen Anekdoten befeuern. "In unserer Generation beschäftigen wir uns im Grunde wenig mit Nordkorea. Eine Wiedervereinigung wollen die wenigsten", sagt Han. Viele ihrer von Jugendarbeitslosigkeit geplagten Altersgenossen würden sich zuallererst sorgen, dass eine Wiedervereinigung große Opfer mit sich bringen würde: "Ich glaube aber, dass es längerfristig eine gute Sache ist." (Fabian Kraetschmer aus Pyeongchang, 8.2.2018)