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Beide Eltern sollten beim Doppelresidenzmodelle eine gleichwertige Einkommenssituation haben, sagen Therapeutinnen.

Foto: dapd/Oliver Lang

Fünf Wochentage lebt das Kind bei der Mama, dann fünf Tage beim Papa. Ob Kinder nach einer Trennung der Eltern besser im Wechselmodell betreut sind oder nicht, ist umstritten. Das Gegenstück dazu ist das weitverbreitete Residenzmodell, in dem der Nachwuchs bei einem Elternteil wohnt und den anderen regelmäßig besucht. Eine norwegische Studie spricht sich tendenziell für das Konzept der Doppelresidenzen aus, wie der STANDARD berichtete. Aber: Welche Voraussetzungen braucht es, damit das Konzept der geteilten Betreuung gelingen kann – und wann ist davon abzuraten? Der STANDARD hat dazu drei Psychotherapeutinnen befragt.

Gute Kommunikationsbasis nach der Trennung

Karin Macke arbeitet als Therapeutin beim Wiener Verein "Frauen beraten Frauen". Für sie steht fest: Mütter und Väter müssen im Doppelresidenzmodell nach der Trennung eine gute Gesprächsbasis haben. Sie müssen bereit sein, intensiv miteinander zu kommunizieren. Das Modell kann daher nicht gegen den Willen eines Elternteils angeordnet werden, so die Therapeutin. Die norwegische Studie, wonach Jugendliche weniger psychische Probleme haben, deren Eltern sich nach der Trennung die Betreuung nach dem Schlüssel halbe-halbe teilen, lege nahe, "dass es sich hier um Eltern handelt, die nicht strittig geschieden wurden, sondern sich einvernehmlich getrennt haben und ein partnerschaftliches Elternmodell leben wollen," sagt Macke. Es verwundert sie also nicht, dass deren Kinder sich wohler fühlen als Kinder von Eltern, "die ständige Machtkämpfe austragen und ihre Kinder damit belasten oder sogar als 'Munition' verwenden."

Ihrer Erfahrung nach ist weniger die Wohnsituation für das psychische Wohl der Kinder verantwortlich. Vielmehr geht sie davon aus, "dass Kinder von glücklich getrennten Eltern selbst auch glücklicher sind und solche Eltern eher dazu tendieren, ihren Kindern zwei gute Wohnsituationen zu ermöglichen."

Gleichwertige Einkommenssituation als Voraussetzung

Ähnlich sieht das Bettina Klöpzig. Aus ihrer psychotherapeutischen Praxis mit Erwachsenen, Kindern und Jugendlichen weiß sie, dass der Nachwuchs nach Trennungen weniger psychische Probleme haben, wenn es die Eltern schaffen, die verschiedenen Ebenen und Rollen klar auseinanderzuhalten: "Diese Eltern pflegen in der Regel einen einvernehmlichen und wertschätzenden Umgang miteinander, reden vor den Kindern nicht schlecht über den Expartner oder die Expartnerin und tauschen sich über die Kinder aus."

Unter welchen Vorzeichen sie eine gleichteilige Betreuung begrüße? Hier würden verschiedene Faktoren zusammenspielen. Die wichtigsten: "Wenn beide Eltern schon in der Zeit der aufrechten Ehe oder Partnerschaft sich gleichermaßen um die Kinder und den Haushalt gekümmert haben – oder auch die Einkommenssituation eine gleichwertige bei den Eltern ist", sagt Klöpzig. Angesprochen auf die Studie aus Norwegen, findet sie, dass die norwegische Lebenssituation in Bezug auf Gleichberechtigung nicht mit den österreichischen Verhältnissen vergleichbar sei.

Doppelresidenz als Armutsfalle

Regina Zörer arbeitet als Psychotherapeutin und Mediatorin in der Elternberatung. Eine annähernd gleichwertige Betreuung durch beide Elternteile sei ihrer Meinung nach aus mehreren Gründen förderlich: "Sowohl für den Identifikationsprozess mit beiden Geschlechtern als auch für den Abnabelungsprozess von den Eltern." Einseitige Betreuungsverhältnisse würden entstehen, wenn Elternteile es sich einfach machen möchten, sagt sie. Denn: "Es ist bequemer, die Angelegenheiten eines Kindes alleine zu bestimmen, als sie fortlaufend mit dem anderen Elternteil zu diskutieren."

Wo Zörer Bequemlichkeit ortet, steht für Macke Klarheit, nämlich was den Lebensmittelpunkt des Kindes, die Hauptleistung der Betreuungsarbeit und den Anknüpfungspunkt für Alimente betrifft. Während all das im Residenzmodell geklärt sei, könne das Doppelresidenzmodell Unsicherheit und endlose Diskussionen bringen. Macke: "Reibungspunkte ergeben sich vor allem aus de facto unterschiedlicher Betreuungsleistung sowie unterschiedlichen Erziehungsregeln und unterschiedlichen Geldleistungen für die Bedürfnisse des Kindes." Was es aus Sicht der Therapeutin daher unbedingt braucht: Verlässlichkeit, Einhalten von Vereinbarungen, Aufteilung aller Kosten gemäß dem jeweiligen Einkommen – und entsprechende Ausgleichszahlung, wenn weniger als die Hälfte der Betreuungsarbeit geleistet wird. Denn: Beim Doppelresidenzmodell reduzieren sich die Alimente oder gehen gegen null. Insbesondere für Frauen, die arbeitslos sind, Teilzeit arbeiten oder weniger verdienen, kann das Modell zu einer Armutsgefährdung führen.

Keine Doppelresidenz bei Kränkungen und Gewalt

Dem Modell der Doppelresidenz steht Karin Macke auch aus juristischen Gründen skeptisch gegenüber: "Fakt ist, dass die Doppelresidenz im derzeitigen Gesetz nicht vorgesehen ist. Dafür gibt es triftige Gründe, die auch von Gewaltschutzeinrichtungen und Frauenberatungsstellen geäußert wurden." Zwar gibt es eine richterliche Entscheidung für Doppelresidenzen, für Eltern könnten zwei Wohnsitze des Kindes dennoch Probleme bringen, etwa Konflikte mit dem Meldegesetz, weil rechtlich derzeit nur ein Hauptwohnsitz vorgesehen ist.

Und wann ist das Modell der Doppelresidenz strikt abzulehnen? Wenn Kränkungen und Besitzansprüche über die Kinder ausgetragen werden, sagt Bettina Klöpzig. Und Karin Macke warnt eindringlich davor, bei Gewalt gegen Kinder oder gegen einen Elternteil eine Doppelresidenz auszusprechen. Es ist zwar auch im Gesetz so vorgesehen, dass in Familien, in denen häusliche Gewalt vorzufinden ist, keine Doppelresidenz ausgesprochen werden darf, in der Praxis werde das aber leider immer wieder in der Rechtsprechung ignoriert, sagt Macke. (Christine Tragler, 11.2.2018)