Wien – Eine geplante Ikea-Ansiedlung in der Vorarlberger Marktgemeinde Lustenau wird seit Monaten heftig diskutiert. Die Behörden haben zwar vergangenes Jahr grünes Licht für die Ansiedlung gegeben, doch eine Bürgerinitiative will den Möbelriesen mit einer Volksabstimmung abwehren. Das Hauptargument der Gegner ist eine erwartete Verschärfung der Verkehrssituation, auch den Nutzen für Lustenau bezweifeln sie.

Bürgermeister Kurt Fischer (ÖVP) sieht das anders. "Man muss die Gesamtbilanz sehen", sagt er dem STANDARD. Abgesehen von den Arbeitsplätzen und der Kommunalsteuer, die wohl bei etwa 100.000 Euro zu liegen käme, hätte die Ansiedlung positive Effekte auch für Vorarlberger Betriebe: "Ikea ist größter Kunde beim Beschlägehersteller Blum, dem größten Arbeitgeber im Ländle." Das wichtigste Argument: Die Lustenauer würden nicht mehr nach St. Gallen zu Ikea fahren.

Vor gut zehn Jahren galt laut dem Standortberater Standort + Markt noch, dass rund fünf bis acht Prozent der Kaufkraft der heimischen Grenzregionen ins Ausland fließen, in Regionen wie Sopron in Regionen wie Sopron wohl zehn bis 15 Prozent. Mittlerweile hat sich der Trend in vielen Regionen umgekehrt.
Foto: APA / HERBERT PFARRHOFER

Schützenhilfe bekommt Fischer von Roland Murauer vom oberösterreichischen Beratungsunternehmen Cima. Murauer ist Fachmann für Kaufkraftströme. Seit Jahren beobachtet er, warum und in welchem Ausmaß an den Grenzen shoppingtechnisch gependelt wird. Er führt Haushaltsinterviews und Plausibilitätschecks in Handelsbetrieben und an Einkaufsstandorten durch. Politiker interessieren sich für seine Erhebungen ebenso wie Unternehmen. Von neuen Shoppingflächen ohne guten Grund hält er nichts. Österreich habe davon mehr als genug. Der Verdrängungswettbewerb sei brutal. "Handelstechnisch hätte ein Ikea in Lustenau dennoch Charme", sagt er.

Rund 62 Prozent der Vorarlberger Kaufkraftabflüsse in die Schweiz sei auf Ikea im Schweizer St. Gallen zurückzuführen. Zig Millionen Euro fließen auch in grenznahe Möbelhäuser in Deutschland, die sich über einige Tausend Quadratmeter erstrecken und die Österreich so nicht habe. Das Verkehrsproblem in Lustenau will er nicht beurteilen, aber ein Ikea in Lustenau könnte einiges auffangen.

Grafik: Cima

Doch Ikea hin oder her: Grundsätzlich stehe Vorarlberg "mit der höchsten Eigenkaufkraft in Österreich" grundsolide da. "Die Zeiten, als die Vorarlberger sich mit Schoki und Nudeln in der Schweiz eingedeckt haben, sind lange vorbei." Gab es mit der Schweiz in den 1980er-Jahren eine negative Kaufkraftbilanz, sei sie jetzt "hochpositiv". Auch dank starker Schweizer Währung.

Doch auch in anderen Grenzgebieten schlagen sich die Österreicher aus diesem Blickwinkel gut. Murauer: "Entlang der deutsch-österreichischen Grenze ist in der Entwicklung seit den 1980er-Jahren bis jetzt Österreich eindeutiger Sieger, maßgeblich verursacht durch Salzburg und einzelne oberösterreichische Einkaufszentren."

Grafik: Cima

Selbst im oberösterreichischen Innviertel, wirtschaftlich lange schwach auf der Brust, hat man kräftig aufgeholt. Zog es die Einkaufslustigen lange sehr viel eher von hüben nach drüben, haben die Innviertler nun kräftig aufgeholt. Trugen sie Mitte der 1980er-Jahre ein Viertel der verfügbaren Kaufkraft nach Bayern, sind es mittlerweile nach Murauers Berechnungen nur noch zwei bis drei Prozent.

Dass diese Bilanz leicht negativ ist, habe auch damit zu tun, dass die in Raumplanungsfragen recht stringenten Bayern sich vor Jahren da und dort gezwungen sahen, unkonventionelle Maßnahmen zu ergreifen, um die Kaufkraftströme umzulenken. Eine davon firmiert unter dem sperrigen Begriff "Zielabweichungsverfahren", auch Lex Österreich genannt. Sie erlaubte es dem 5.000-Köpfe-Luftkurort Piding nahe Salzburg, vor Jahren ein 8.000 Quadratmeter großes Outletcenter auf die grüne Wiese zu pflanzen.

Grafik: Cima

Dafür regte die Genehmigung für das Walser Outletcenter über 28.000 Quadratmeter vor fast zehn Jahren manche Bayern auf. Geht es nach Murauer, haben sich die Gepflogenheiten mittlerweile eingespielt. Die Terrains seien abgesteckt. Die Bayern kommen nach Österreich und kaufen hier hochwertige Lebensmittel ein, die Ösis gehen drüben auf Schnäppchenjagd Die Innviertler zieht etwa ein Riesengetränkemarkt im niederbayerischen Simbach an, wo sie ihr Bier um ein Drittel billiger erstehen. Die Drogeriewaren nehmen sie gleich mit. Nicht überall ist die Bilanz gleich positiv. An der Grenze zu Tschechien hat sich der Trend zumindest in Freistadt zugunsten Österreichs gedreht.

Auch in der Ostregion und vor allem in Wien haben sich die Sorgen, dass vor allem die großzügigeren Öffnungszeiten bei den Nachbarn die Kaufkraft absaugen könnten, im Großen und Ganzen nicht bewahrheitet. Es pendelt sich auf ein Geben und Nehmen ein. Oft haben die Österreicher die Nase vorne. Während die Gesamtabflüsse in die benachbarten Grenzregionen 2014 in Wien bei 74,9 Millionen Euro lagen (die letzten verfügbaren Zahlen), spülten Wien Einkaufswillige aus Ungarn, der Slowakei und Tschechien 350 Millionen in die Kassen.

Grafik: Cima

Selbst im Burgenland, wo die Österreicher besonders gern nach Ungarn zum Zahnarzt oder zum Friseur fahren ist die Bilanz leicht positiv , die Krise der vergangenen Jahre hinterließ allerdings Spuren. So gingen nicht nur die Abflüsse seit 2009 um fast die Hälfte zurück, auch die Zuflüsse sanken seit damals um 7,7 Prozent.

Dass auch die Nachbarn am Nehmen interessiert sind, liegt auf der Hand. Murauer beobachtet das interessiert: "Die Ungarn und Slowaken holen im Qualitätsbereich auf." Auch die Slowenen rüsten auf. Nicht mit gesichtslosen Einkaufszentren, sondern mit charmanten Angeboten – durchaus auch im innerstädtischen Bereich. Das kommt nicht nur, aber auch bei den Österreichern gut an. Der eine oder andere Kärtner Geschäftsmann spüre dies bereits sehr deutlich. (Regina Bruckner, 12.2.2018)