Jacques Cassandri im Gerichtssaal mit seinem Anwalt Gerald Pandelon.

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Durch diesen Tunnel gelangte die Bande am 16. Juli 1976 in den Tresorraum der Bank Société Générale in Nizza.

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Die Besitzer der Bankfächer warteten nach dem Raub vergeblich darauf, dass sich die Bank öffnet.

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Polizisten ziehen eine Sauerstoffflasche aus der Kanalisation, die für den Bankraub verwendet wurde.

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"Sehen Sie, ich bin eine Berühmtheit", scherzte Jacques Cassandri zu einem Polizisten, als er am Montag von einem Kamerapulk verfolgt den Gerichtshof betrat. Mit seinem Kahlschädel und der schwarzen Buchhalterbrille wirkte der 74-Jährige so gar nicht wie der Bankräuber, der er einmal gewesen ist. Im Milieu kannte man ihn als "le Tondu" – den Geschorenen. In Wahrheit war er das Hirn. Cassandri hatte im Juli 1976 in Nizza mit Komplizen den "Bankraub des Jahrhunderts" geplant, koordiniert und ausgeführt.

Die Bande aus Marseille drang an einem Freitagabend durch die Kanalisation und mit Bohrmaschinen in den unterirdischen Tresorraum der Bank Société Générale ein. Zwei Tage lang plünderte sie 317 Bankfächer und transportierte Geld und andere Wertgegenstände für 46 Millionen Francs ab. Am Montag entdeckten die Bankangestellten nur ein Loch in der Wand und den hingekritzelten Spruch: "Kein Schuss, keine Gewalt, kein Hass." Die Beute wurde nie gefunden.

Pseudonym Amigo

All das erzählte Cassandri im Jahr 2010 in einem Buch unter dem Pseudonym Amigo. Doch die Polizei kam schnell drauf, wer dahintersteckte. Auf Cassandris Computer fand sie das Manuskript des Buches. Die Schilderung war detaillierter als in den Polizeiakten, weshalb der Verfasser den Raub wohl selbst erlebt hatte.

Bei der Ausführung war Cassandri kein Fehler unterlaufen – doch jetzt war er über seinen Berufsstolz gestolpert. Denn in seinem Buch strich er vor allem seine eigene Rolle heraus. Bisher hatte die Nachwelt den Raub in erster Linie Albert Spaggiari zugeordnet. Der italienischstämmige Gauner war 1976 verhaftet worden, ein Jahr später aber aus dem Gerichtsgebäude entwichen und bis zu seinem Tod 1989 in Italien unauffindbar geblieben. Gleich drei Filme feierten Spaggiaris Rolle in dem "Bankraub des Jahrhunderts", wie dieser von französischen Medien bis heute genannt wird. Cassandri ertrug diese Darstellung offenbar nicht und stellte sie 2010 in seinem Buch richtig.

Möglicherweise war er im Irrglauben, der Tatbestand sei verjährt. Doch wird ihm nun anhaltende Geldwäsche vorgeworfen, da Cassandri nach Meinung der Justiz immer noch von dem einstigen Beutezug profitiert. Der gebürtige Korse kaufte damit unter anderem ein Haus in Savoyen, einen Nachtklub in Marseille, Land auf Korsika und jede Menge Pelzmäntel.

Teil der "French Connection"

Sein Verteidiger stellte sich am Montag auf den Standpunkt, eine Buchveröffentlichung sei kein Beweismittel. Auch sei keineswegs erwiesen, dass sein Klient die Immobilien mit Geld aus dem Bankraub bezahlt habe. In der Tat hatte Cassandri noch andere Einkünfte, obwohl er nie einer regulären Arbeit nachgegangen war. Er gehörte zur Marseiller Untergrundorganisation "French Connection", die durch den gleichnamigen, oscarprämierten Spielfilm mit Gene Hackman berühmt geworden ist. Wegen Drogenhandels und Zuhälterei hatte er wie seine Ehefrau dafür vier Jahre aufgebrummt bekommen.

Der "French Connection" wurde der gleichnamige Film gewidmet.
20th Century Fox

Ob Cassandri erneut verurteilt wird, entscheidet das Gericht erst in einigen Wochen. Bis dahin kann Cassandri schon einmal darüber sinnieren, ob sein Buch die schlaueste Tat seines Lebens war. (Stefan Brändle aus Paris, 12.2.2018)