Chloe Kim aus Südkalifornien friert nur sehr ungern.

Foto: APA/AFP PHOTO / Kirill KUDRYAVTSEV

Bokwang – Papa Jong Jin Kim war bereits nach dem ersten Lauf in Ekstase, doch da hatte er den dritten Run von Tochter Chloe noch nicht gesehen. Obwohl ihr Gold schon sicher war, flog die zierliche Amerikanerin mit südkoreanischen Wurzeln derart waghalsig durch die riesige Halfpipe im Phoenix Snow Park von Bokwang, als müsse sie die Welt der Snowboarder noch einmal auf den Kopf stellen. Das Schaulaufen geriet zum Höhepunkt des Wettbewerbs: 98,25 Punkte, das war nahe an der Perfektion.

Auf Koreanisch heißt Kim "Gold". Auch abgesehen davon war die Olympiasiegerin keine Überraschung. Kim, ein Floh auf dem Brett, 158 Zentimeter groß und 51 Kilogramm schwer, ist ein Wunderkind. Bereits im Alter von sechs Jahren raste sie so schnell die Berge hinab, dass "ich immer am Lift warten musste, bis mein Dad mit seinen eleganten Schwüngen endlich da war". Und schon vor den Spielen in Pyeongchang war die erst 17-Jährige Gegenwart und Zukunft der Szene, also: ein Star.

Schönwetterboarderin

Dabei mag Kim eigentlich keinen Schnee. "Genau genommen", sagt sie, "hasse ich ihn." Wie bitte? "Ich komme aus Südkalifornien", erklärt Kim. "Wenn es an einem Tag, an dem ich trainieren soll, schneit, schaue ich aus dem Fenster und denke mir: Hm, vielleicht heute lieber nicht. Ich hasse es, zu frieren. Wenn meine Hände kalt werden, gehe ich rein, wärme sie auf und gehe nicht mehr raus. Ich bin ein Weichei."

Chloe Kim ist also eine Schönwettersnowboarderin, aber eine verdammt gute. Ein Naturtalent. Bereits vor vier Jahren wäre sie gut genug gewesen, sich für das Olympiateam der USA für Sotschi zu qualifizieren – sie durfte nicht. Zu jung. Bei den X-Games, dem Hochamt der Snowboarder diesseits von Olympia, belegte Kim 2016 zwei erste Plätze, seitdem galt sie als Golden Girl für Pyeongchang. Unterstützt wird sie von keinem Geringeren als dem Szenepatriarchen Jake Burton, dem Miterfinder des Snowboards.

Pendant

"Sie erinnert mich definitiv an mich", sagt Shaun White, der Superstar aus den USA, als dessen weibliches Pendant sie gilt. Gelernt hat Kim ihre Kunst auf dem Brett teilweise in der Schweiz. Als sie acht Jahre alt war, schickten sie ihre Eltern für zwei Jahre zu ihrer Tante Sun Hwa nach Genf, und weil sie sich beim Fußball viel zu ungeschickt anstellte, fuhr sie eben Snowboard.

Selbstverständlich ist ihre Story kitschig. Als Vater Jong Jin in die USA kam, besaß er 800 Dollar. Damit kaufte er sich ein Auto. Es wurde ihm gestohlen. Er fing von vorn an, machte in Immobilien, hatte Erfolg. Tochter Chloe folgte ihm, sie besitzt mittlerweile einen Apartmentkomplex in Südkorea und eine Bleibe in Las Vegas. Im Phoenix Snow Park waren fast alle da, Eltern, Tante, die Oma aus Südkorea. "Ich denke", sagte Chloe Kim nach ihrem klaren Sieg vor Liu Jiyang aus China und US-Teamkollegin Alice Gould, "ich habe das für meine Familie getan." Vor allem für den Vater, der sie früher zu nachtschlafender Zeit von Los Angeles bis zu sechs Stunden zum Training nach Mammoth Mountain fuhr. Zum Schnee, den sie hasst. (sid, fri, 13.2.2018)