Wenn Natascha etwas zu lachen braucht, geht sie zu Marco. Auch wenn Marco "einen Scheißtag" hat, ist Natalie für ihn da. Sie erleben einander fröhlich, wütend, gestresst und aufgeregt, jubelnd und enttäuscht. Sie sind Verbündete. In guten wie in schlechten Zeiten. Keine Freundschaft plus, sondern eine Ehe minus. Man schläft nicht im selben Bett, hat keinen Sex, sondern teilt sich einen Arbeitsplatz. Millionen Menschen weltweit führen eine solche "Büroehe", in Österreich jeder Siebente, zeigt eine aktuelle Umfrage von Marketagent.com im Auftrag von Xing. Mittlerweile gibt es auch wissenschaftliche Studien dazu.

Marco und Natalie arbeiten als Krankenpfleger bei einer Drogenberatungsstelle in Vorarlberg, sie kennen einander seit fünf Jahren. "Es hat damit angefangen, dass wir abends zusammen ausgegangen sind", sagt Marco. Immer mehr wurden die Kollegen zu Freunden. Mittlerweile fahren sie gemeinsam zur Arbeit, reden "wirklich über alles. Wir sind ganz offen zueinander." Auch einigen prominenten Paaren wird eine Büroehe nachgesagt, etwa bereits dem ehemaligen US-Präsidenten George Bush und seiner Außenministerin Condoleezza Rice oder auch Barack Obama und Joe Biden. Aus Fernsehen und Literatur kennt man sie auch: Donna und Harvey in der Anwaltsserie Suits, oder Sherlock Holmes und Dr. Watson, denen sogar eine Liebesbeziehung wegen ihres engen Verhältnisses nachgesagt wird.

Der ehemalige US-Präsident Barack Obama und sein Vizepräsident Joe Biden sind auch privat befreundet.
Foto: imago/UPI Photo

Beziehung auf Augenhöhe

Im Englischen gibt es für diese Beziehungsform schon länger einen Begriff: "work spouses". Häufig nennt man sie auch "work wife" und "work husband". Verwendet hat den Terminus erstmals Faith Baldwin in den 1930er-Jahren, als er das Buch "The Office Wife" verfasste. Doch damals verstand man unter "work wife" die Sekretärin des Chefs, die ihm Erledigungen abnahm, Geschenke für seine Kinder besorgte und wusste, wie er den Kaffee am liebsten trinkt. Also eine hierarchische Beziehung, aufgebaut nach einer traditionellen Rollenverteilung. Heute sind die Work-Wife und der Work-Husband gleichgestellt, eine Beziehung auf Augenhöhe ohne Machtgefälle.

Das habe auch mit dem Wandel der Arbeitswelt zu tun, sagen Experten. Lange sah man Arbeitskollegen als Konkurrenten, durch die weicher werdenden Firmenstrukturen und die verlangte Teamarbeit würden solche Beziehungen und Freundschaften unter Mitarbeitern gefördert. Und nicht nur zwischen Frauen und Männern, auch zwischen Frauen und Frauen, Männern und Männern.

Jeder Siebte in Österreich hat eine Work-Wife oder einen Work-Husband, also ein enges Vertrauensverhältnis zu einer Arbeitskollegin oder einem Arbeitskollegen.
Foto: imago

Ein weiterer Treiber für den Trend sei, dass die Grenzen zwischen Beruf und Privatleben immer stärker verschwimmen. Denn nach den acht Stunden im Büro fünf Tage die Woche gehen Work-Spouses häufig noch auf einen Feierabenddrink, zum Yoga oder haben noch zu Hause auf dem Sofa über Whatsapp Kontakt. In einer Umfrage der britischen Job-Website totaljobs.com, an der 4.000 Arbeitnehmer teilnahmen, sagte jeder Zehnte, dass er nach Feierabend noch in Kontakt bleibe. Auch Marco und Natascha unternehmen regelmäßig etwas, sie machen Filmabende, veranstalten Partys, haben einen gemeinsamen Freundeskreis.

Arbeitsehe macht glücklich und produktiv

Eine Arbeitsehe ist aber nicht nur praktisch und verbindet, sie macht offenbar auch glücklicher und produktiver im Job, wie die US-Kommunikationswissenschafter Chad McBride und Karla Mason Bergen in einer Studie nachweisen konnten. Das erscheint logisch: Wer seine Sorgen mitteilen kann, kann auch besser damit umgehen. Man bestärkt sich gegenseitig, weiß, wie der andere mit Stress umgeht, wie man reagieren muss, wenn er vom Chef zur Rede gestellt wird. "Unsere Beziehung macht das Arbeiten leichter", sagt Natascha. "Es ist eine Art Psychohygiene." Das sieht auch Marco so: "Wir lieben unseren Beruf, aber er ist sehr anstrengend. Schließlich kommen nur Menschen zu uns, denen es schlecht geht. Das kostet Energie, und da ist es gut, wenn man jemanden hat, bei dem man sich wohlfühlt."

Offenbar bleibt man sogar länger seinem Job und seinem Arbeitgeber treu, wenn man eine Work-Wife oder einen Work-Husband hat, finden McBride und Mason Bergen in ihrer Studie heraus. Das gibt auch Marco zu Protokoll: "Ich wüsste nicht, ob ich das durchhalten würde, wenn Nati und ich nicht so eng miteinander wären."

Sherlock Holmes und Dr. Watson lösen jeden Fall gemeinsam. Auf Dr. Watsons Hochzeitsfeier stoßen sie zusammen an.
Foto: ORF/Degeto/BBC/Hartswood Films

Probleme mit dem Partner

Aber eine solch enge Beziehung kann auch zu Problemen führen. Verbringt man viel Zeit zusammen, teilt offenherzig Gefühle, kann das den eigentlichen Partner eifersüchtig machen. Für die Beziehungstherapeutin Leandie Buys kommt eine Büroehe einem "emotionalen Betrug" gleich und könne dieselben Auswirkungen haben wie eine körperliche Affäre. "Das würde ich nicht generell unterschreiben", sagt die Paartherapeutin Sabine Bösel. Wie gefährlich eine solche Büroehe werden könne, hänge letztlich davon ab, wie gut es in der Beziehung laufe. Wichtig sei, dass man ehrlich zueinander und zu sich selbst sei. Was bedeutet es für die Partnerschaft, wenn einem das Vertrauensverhältnis am Arbeitsplatz immer wichtiger wird? Dem jeweiligen Partner wiederum rät die Therapeutin, Ängste anzusprechen, offen zu sagen: "Ihr seid zu eng, das stört mich."

Natalie, die vergeben ist, sagt, dass die gute Beziehung zu Marco kein Problem für ihren Freund sei. "Ich glaube sogar, dass er ganz froh ist, dass ich so viel mit ihm teilen kann. Wir beide teilen ja ganz andere Dinge miteinander." Überdies kenne er ihn gut. Um gekehrt rede sie mit Marco über ihre Beziehung, sagt Natalie: "Er weiß, wenn es Probleme gibt, er weiß, wenn es mir gut geht."

Auseinandergehen der Büroehe

Natalies Freund ist übrigens ein ehemaliger Arbeitskollege, quasi eine Arbeitsehe, aus der mehr wurde. Das ist aber nur höchst selten der Fall. In der Studie der beiden US-Kommunikationswissenschafter McBride und Mason Bergen gaben nur zwei der 276 befragten Personen an, dass sie mehr als Freundschaft für ihre oder ihren Work-Spouse empfänden.

Ein weiteres mögliches Problem: das Auseinandergehen einer Büroehe, das anscheinend sogar persönliche Krisen auslösen kann. In einer 2015 durchgeführten Umfrage beklagte beispielsweise ein Teilnehmer: "Meine Work-Wife hat einen neuen Job angenommen, und ich fühle mich so schlecht – ich muss mir eine neue suchen." (Lisa Breit, Selina Thaler, 14.2.2018)