Innsbruck – Die Vision einer echten Kreislaufwirtschaft, die den Verbrauch neuer Rohstoffe drastisch einschränkt, ist noch weit entfernt. Produkte aus Erdöl und anderen Ressourcen werden – bis auf wenige Ausnahmen – "down-gecyclet", kehren also als Produkte minderen Werts wieder, oder werden zur Energiegewinnung thermisch verwertet.

Eine sogenannte Cradle-to-Cradle-Wirtschaft, die Rohstoffe in einem stetigen Kreislauf halten kann, bleibt dagegen umweltneutral. Um ein derartiges Konzept einzuführen, muss aber viel bedacht werden. Mit der Komplexität der Wertschöpfungskette – dutzende Komponenten, globale Lieferketten und teure Adaptierungen von Produktionsverfahren – wächst die Herausforderung.

Im Rahmen eines Forschungsprojekts haben Wissenschafter der Uni Innsbruck das Cradle-to-Cradle-Prinzip durchexerziert – anhand von Damenunterwäsche. Gemeinsam mit Hersteller Wolford haben sich Projektleiter Thomas Bechtold vom Institut für Textilchemie und Textilphysik und seine Kollegen darangemacht, wo nötig, einen ökologischen Ersatz für jedes Material und jeden Prozess zu finden. Dabei stützte man sich auf die besondere Situation der Textilbranche in Vorarlberg, die auf eine lange Tradition zurückblickt und ein dichtes Netzwerk an Zulieferern hat. Kommenden Herbst soll nun das erste Produkt, eine Strumpfhose, auf den Markt kommen.

Cradle-to-Cradle-Prinzip

Obwohl das Ziel des von der Förderagentur FFG unterstützten Projekts C2C – Basic Underwear "nur" in einfacher Unterwäsche bestand, gestaltete sich das Unterfangen durchaus schwierig. "Die Zuschreibung 'basic' mag darüber hinwegtäuschen, dass auch derartige Stücke aus zig Materialien und Ausgangsstoffen bestehen, von Fäden und Gestricken über Zellulosefasern und Polymere bis zu Ölen und Färbemitteln", sagt Bechtold. Baumwolle sei nicht unbedingt besser geeignet, da Insektizide und Pestizide beim Anbau und Färbeprozess berücksichtigt werden müssen. Zuletzt konnte für jede Faser und jeden Zusatz ein möglicher Ersatz gefunden werden, der dem Cradle-to-Cradle-Prinzip genügt.

Bei Wolford werden nun die Ergebnisse des Forschungsprojekts zur Basis für tatsächliche Produkte. Auch Andreas Röhrich, Leiter der Entwicklungsabteilung bei dem Hersteller, spricht von "großen Herausforderungen" bei der Umsetzung, die bis jetzt nicht vollständig ausgeräumt sind.

Röhrich teilt die Materialien in einen biologischen und in einen technischen Kreislauf. Anstelle von Baumwolle wird nun eine Faser verwendet, die aus Zellstoff – also ursprünglich Holz – hergestellt wird und eine bessere Umweltbilanz hat. Auf dem eigenen Kompost zu Hause verrottet die Wäsche zwar nicht; in einem industriellen Rahmen kann sie unter Hitzeeinwirkung inklusive der verwendeten Farb- und anderer Zusatzstoffe aber kompostiert werden, sodass "nichts Toxisches übrig bleibt".

Recycling-Bereitschaft

Im technischen Kreislauf wird dagegen eine synthetische Faser aus einem speziellen Polymer verwendet, die nach Nutzungsende eines Textils in sogenannte Monomere, also einfachere Moleküle, zerlegt werden kann, um daraufhin wieder zu Polymeren zusammengeschlossen zu werden. Nach dem Polymerisierungsprozess können daraus wieder Garne der ursprünglichen Qualität gefertigt werden, betont Röhrich.

Alle Produktionsstufen werden anhand einer Liste freigegebener Materialien untersucht – bis hin zum Öl auf der Strickmaschine, das in geringen Mengen am Stoff haften bleibt und sich in der ursprünglichen Variante als "nicht so gut" herausgestellt hat. Ein Büstenhalter besteht laut Röhrich aus 30 bis 40 Komponenten, die gemeinsam mit den zwölf beteiligten Vorarlberger Unternehmen nach den neuen Kriterien entwickelt werden müssen. "Allein der Bügel besteht mit Metalllegierung, Lackierung und Kunststoffkappe aus bis zu sieben Materialien", sagt der Entwickler.

Cradle-to-Cradle kann nur funktionieren, wenn man am Ende des Lebenszyklus Zugriff auf die Produkte hat. Gemeinsam mit der FH Vorarlberg wurde eine Studie erstellt, die ergab, dass Konsumenten durchaus hohe Bereitschaft hätten, alte Textilien zu sammeln und etwa wieder zurück ins Geschäft zu bringen.

Bleibt noch, sich um die Verpackung zu kümmern. Röhrich: "Wenn wir einen 100-Gramm-String in eine 200-Gramm-Verpackung stecken, die dann Abfall ist, macht das auch keinen Sinn." Noch ist sie omnipräsent, die Wegwerfgesellschaft – bis auf die Unterwäsche. (pum, 16.2.2018)