Miteinander sprechen statt übereinander.

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"Wohlauf, lasst uns herniederfahren und ihre Sprache daselbst verwirren, dass keiner des andern Sprache vernehme." (1. Mose 11:7)

Wissen Sie, wie die Iren über die Abspaltungsversuche Kataloniens denken? Oder warum die Schweden darüber nachdenken, militärische Einheiten zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit einzusetzen? Wie steht es um die innerpolnischen Diskussionen zum "Holocaust-Gesetz"? Und wie bewerten die Ungarn den Wahlausgang in Österreich?

Die wenigsten besitzen so enge Kontakte in die unterschiedlichsten Teile Europas, dass sie sich ein umfassendes Bild des Kontinents verschaffen können. Daher greift man bei der Informationsbeschaffung in der Regel auf die Medien der eigenen Sprache – und damit des eigenen Landes – zurück. Wer das Glück hat, eine fremde Sprache gut genug zu sprechen, oder sich an den Unzulänglichkeiten der gängigen Übersetzungsprogramme nicht stört, kann hier und da einen Blick in andere Länder werfen, der nicht durch die Brille der national-medialen Wahrnehmung gefiltert ist. Und so befinden sich die meisten von uns nicht nur in einer von Algorithmen und den eigenen Konsumgewohnheiten verstärkten Filterblase, darüber liegt überdies eine Sprachblase, die sich weitgehend mit der Nationalblase deckt.

Grenzenlose Debatten

Es ist so erschreckend wie bezeichnend, dass die Europäische Union es in den Jahrzehnten ihres Bestehens nicht geschafft hat, das vergleichsweise winzige Projekt einer gesamteuropäischen – auch außerhalb der EU wird Europa verhandelt und gedacht – Informationsplattform umzusetzen. Die wichtigsten (Print-)Medien der europäischen Länder, aber auch freie Autoren stellen Artikel zur Verfügung, die von einer (politisch!) diversen Redaktion gesichtet, übersetzt, eingeordnet, kategorisiert und gegebenenfalls kommentiert werden. Inwiefern und wie die Artikel entlohnt werden, ist eine Frage der Verhandlung, neben den rein finanziellen Vorteilen lockt auch die gesamteuropäische Reichweite.

So eine Plattform würde es ermöglichen, dass sich die Intellektuellen des Kontinents über die Grenzen der Länder hinweg austauschen könnten: über die Idee Europa, über wichtige Ereignisse und die Frage, was diese für uns alle bedeuten. Wichtige Bücher könnten in mehreren Sprachen besprochen und so einem weitaus größeren Publikum bekannt gemacht werden. Nicht zuletzt könnten hohe Funktionäre der EU, aber auch der Nationalstaaten Leitartikel zu wichtigen Themen liefern und sich einer gesamteuropäischen Diskussion stellen.

Miteinander fördern

Für die, die es nicht ohnehin schon wissen: Die eingangs zitierte Geschichte endet damit, dass sich die Völker in ihre eigenen Länder zerstreuen und nicht mehr an dem gemeinsamen Projekt bauen. Wenn Europa zu einer Idee der Menschen werden soll, dann sollte die EU es endlich möglich machen, dass die Menschen Europas miteinander sprechen statt übereinander. (Johannes Wohlgemuth, 15.2.2018)