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Pfaue des Grauens: Die an Lupus leidende Autorin und Züchterin Flannery O'Connor 1962 zwei Jahre vor ihrem Tod auf ihrer Farm in Georgia.

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Flannery O'Connor: "Keiner Menschenseele kann man noch trauen". Aus dem amerikanischen Englisch von Anna und Dietrich Leube. € 22,70 / 352 Seiten. Arche-Literatur-Verlag, Zürich 2018

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Wien – Manchmal kann man durch pädagogisch wertlose Rockmusik auch etwas lernen. Bevor zum Beispiel Michael Gerald Anwalt für Arbeitsrecht in Los Angeles wurde, wütete er von Madison, Wisconsin, aus gemeinsam mit den lokalen Schuldealern Bill und Dan Hobson in der misanthropisch gegen ihr Publikum vorrückenden Band Killdozer. 1989 drang das nach Magenübersäuerung wie Drama eines hochbegabten Kindes klingende Gebrüll des Songs Lupus bis nach Österreich: "This is a song about Flannery O'Connor, she wrote many good books until death came upon her."

Die wenigen Bücher der im deutschsprachigen Raum bis heute kaum beachteten US-Autorin waren vor einem Vierteljahrhundert noch regulär im Zürcher Diogenes-Verlag erhältlich. Sie erwiesen sich als Offenbarung. Lange waren sie vergriffen. Jetzt liegen mit dem Sammelband Keiner Menschenseele kann man noch trauen zumindest zehn Kurzgeschichten wieder auf Deutsch vor, zwar sinnloserweise neu und weniger südstaatenschwül denn sachlich-deutsch übersetzt, aber immerhin.

Bevor Flannery O'Connor 1964 im Alter von nur 39 Jahren an der Autoimmunkrankheit Lupus erythematodes nach jahrelangen schrecklichen Schmerzen weitgehend isoliert und ans Haus gefesselt auf einer Farm in Baldwin County im US-Bundesstaat Giorgia starb, hatte sie nur zwei Romane und 31 Kurzgeschichten verfasst. Ein schmales Werk, das in seiner Wucht allerdings bis heute seinesgleichen sucht.

Obwohl vor allem die in den Bänden A Good Man Is Hard To Find (dt.: Ein guter Mensch ist schwer zu finden) und Everything That Rises Must Converge (dt: Die Lahmen werden die Ersten sein) zusammengefassten Short Storys in den USA zur universitären Pflichtlektüre gehören, konnte man Flannery O'Connor auf Deutsch zuletzt nur noch antiquarisch erwerben.

Der Teufel geht leibhaftig um

Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass es kaum einen Autor, eine Autorin gibt, die, in der Tradition eines William Faulkner oder Erskine Caldwell stehend, den US-Süden mit derartiger Wucht geradezu klischeehaft in der Popkultur verankern konnte: Gott ist groß, der Mensch ist grausam. Der Teufel geht leibhaftig um. Es gibt für meine Schuld, meine Schuld, meine große Schuld keine Erlösung. Wir alle werden zur Hölle fahren. Bevor es so weit ist, nehmen wir allerdings noch ein paar andere Leute mit.

Flannery O'Connor war im protestantischen US-Süden als Züchterin infernalisch quäkender Pfaue sowie als praktizierende Katholikin und Sammlerin theologischer Literatur, die nach Lourdes pilgerte und sich in Rom von Papst Pius XII. segnen ließ, nicht nur wegen ihrer tödlichen Krankheit und der ständigen, wahnsinnig machenden Schmerzen ein Fremdkörper. Im Gegensatz zu ihrer Umgebung glaubte sie auch an so etwas Ähnliches wie Vergebung. Als teilnehmende Beobachterin zeichnete sie trotzdem lieber die Heimsuchungen des Teufels, den Neid und die Gier, den offenen Rassismus und Fremdenhass, das pure und unschuldig daherkommende Böse der guten, einfachen Leute, des White Trash, auf.

Gnadenlos, aber immer auch mit einer gewissen Restempathie erzählt Flannery O'Connor von bibelfesten Landstreichern, die in ihrem Exemplar der Heiligen Schrift eine Whiskeyflasche und pornografische Spielkarten versteckt halten, eine ein wenig beschränkte Farmerstochter verführen und mit deren Beinprothese abhauen. Andere heiraten so ein armes, junges Ding vom Land, um es auf einem Rastplatz auszusetzen und sich mit dessen Auto zu vertschüssen. Wiederum andere sind schlicht und einfach seelenkalte Mörder: "Just to watch him die." Diese Abteilung.

In der Kurzgeschichte Der künstliche Nigger heißt es: "Er war entsetzt und richtete sich selbst mit dem Scharfblick Gottes, während die Gnade seinen Stolz wie eine Flamme einhüllte und verzehrte. Er hatte sich vorher nie für einen großen Sünder gehalten, doch jetzt sah er, dass seine angeborene Verderbtheit vor ihm verborgen worden war, damit sie ihn nicht zur Verzweiflung brächte."

Gott und Gottseibeiuns

John Huston hat ihren Roman Wise Blood über einen bigotten, seelisch verrotteten US-Prediger und seine Höllenfahrt Ende der 1970er-Jahre erfolgreich in die Kinos gebracht. Dort hat ihn möglicherweise damals ein gewisser Nick Cave gesehen, der danach als alter Freund von Geschichten mit viel Gott, aber auch dem Gottseibeiuns drin an der Aktion Das gute Buch teilnahm. Die frühen Alben Caves mag man sich ohne die Vorgaben O'Connors eher gar nicht vorstellen.

Ein bekennender Verehrer ist übrigens auch ein anderer großer Erzähler des amerikanischen Albtraums. Bruce Springsteen bezieht sich in seinen Songs A Good Man Is Hard To Find und The River direkt auf die ohne Glück auskommenden Geschichten Flannery O'Connors. Ob man der Autorin mit den zehn korrekt, aber lieblos neu übersetzten Kurzgeschichten einen Gefallen getan hat? Sie sind erhältlich. Das ist gut! (Christian Schachinger, 15.2.2018)