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Die Suffragetten in Großbritannien kämpften Anfang des 20. Jahrhunderts für die Rechte der Frauen, insbesondere das Wahlrecht.

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Die Einführung des Frauenwahlrechts wird häufig als "frauenpolitische" Errungenschaft gefeiert. Es berührt aber die Gesellschaft insgesamt. Das hunderte Jubiläum in Deutschland und Österreich sollte deshalb nicht nur ein Anlass zum Feiern sein, sondern für grundsätzlichere Debatten – die nicht nur rückwärtsgewandt sind, sondern auch nach vorne blicken. Das, worum es geht, ist die Demokratie. Sie muss sich ändern, damit sie gerettet werden kann. Hier zehn Thesen zur Diskussionsanregung.

Kampf für mehr Frauenrechte allgemein

1. Die Frage ist nicht so sehr, was das Frauenwahlrecht für die Frauen bedeutet, sondern was das Frauenwahlrecht für die Demokratie bedeutet. Wieso hatte "die Demokratie" eigentlich so lange gar kein Problem damit, die Hälfte der Bevölkerung vom Wahlrecht auszuschließen?

2. Das Wahlrecht war nicht das wichtigste Anliegen von Frauenrechtlerinnen am Ende des 19. Jahrhunderts. Mindestens genauso wichtig war der Kampf für mehr Erwerbsarbeitsmöglichkeiten und für eine Reform der patriarchalen Ehe- und Scheidungsgesetze. Das Frauenwahlrecht darf nicht als isolierte Maßnahme betrachtet werden, es war nur ein Baustein einer umfassenden Gesellschaftskritik.

3. Zahlreiche Feministinnen sahen die Forderung nach einem Frauenwahlrecht skeptisch. Anarchistinnen wie Louise Michel standen der Parteipolitik aus Prinzip kritisch gegenüber, Sozialistinnen befürchteten, die Wahlrechtsdebatte könnte gegen Kritik an der kapitalistischen Ausbeutung von Frauen ausgespielt werden. All das ist auch heute noch bedenkenswert: Welche Frauen können sich und ihre Anliegen in parlamentarische Prozesse einbringen und welche eher nicht?

4. Das Frauenwahlrecht hat nicht zu einer gleichen Beteiligung von Frauen an parlamentarischer Politik geführt. Warum nicht? Bei einer Analyse ist zu berücksichtigen, dass hier deutliche Unterschiede zwischen "linken" und "rechten" Parteien bestehen. Beispiel deutscher Bundestag: Bei Grünen und Linke ist das Verhältnis ausgeglichen, bei der SPD halbwegs, bei der CDU und erst recht bei CSU, FDP und AfD sind Frauen eine kleine Minderheit.

5. Wenn Frauen sich nicht für Parteipolitik interessieren, heißt das keineswegs, dass sie politisch desinteressiert sind. Politik findet nicht nur in Parteien und Parlamenten statt, sondern überall, wo Menschen über die Regeln ihres Zusammenlebens miteinander verhandeln. Also auch in Büros, in Vereinen oder am Küchentisch.

Frauen sind nur "ein Thema von vielen"

6. Die Quote ist auf Dauer kein geeignetes Instrument, um die politische Partizipation von Frauen sicher zu stellen. Andersherum muss vielmehr die Frage gestellt werden, warum die Parteienpolitik und der Parlamentarismus für Männer viel attraktiver sind als für Frauen. Sind sie dann überhaupt noch demokratisch legitimiert? Ein Problem scheinen dabei vor allem die "mittleren Ebenen" zu sein.

7. Ein Hauptproblem ist die verbreitete Gleichsetzung von Politik und Macht. Gerade davon sind viele Frauen abgestoßen: Sie wollen zwar Politik machen, sehen aber, dass die Dynamiken der Macht es häufig gerade verhindern, dass gute Regeln und Lösungen für das Zusammenleben gefunden werden – was ja die Aufgabe von Politik ist.

8. "Frauenrechte" sind immer wieder Gegenstand politischer Verhandlungen. Es gibt keine zwangsläufige Entwicklung hin zur Geschlechtergleichheit. Politische Rechte von Frauen können je nach Machtverhältnissen auch wieder abgeschafft oder rückgängig gemacht werden, solange die Freiheit der Frauen nur "ein Thema von vielen" ist.

9. Das Frauenwahlrecht war notwendig, weil klargeworden war, dass Männer Frauen nicht repräsentieren können. Ist aber Repräsentation überhaupt ein geeignetes Mittel der Politik? Können Menschen überhaupt den Anspruch erheben, für andere zu sprechen und deren Interessen zu vertreten?

10. Hundert Jahre Frauenwahlrecht sind Anlass für grundsätzliche Debatten über die Demokratie: Welche Verfahren und Praktiken tragen wirklich dazu bei, dass alle Menschen sich mit ihren Wünschen an der Gestaltung der Welt beteiligen können – und welche behindern das? Demokratie ist nicht eine formale Regel, sondern eine politische Praxis, deren Bewähren immer wieder neu bilanziert werden muss. (Antje Schrupp, 16.2.2018)