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Ein bisschen "Time's Up" aufs Revers und passt schon.

Foto: REUTERS/Mario Anzuoni

Bei der Verleihung der Golden Globes Anfang Jänner bekannte Hollywood Farbe: In schwarzen Roben demonstrierten Stars ihre Unterstützung für die Initiative "Time’s Up", die sich dem Kampf gegen sexuelle Gewalt am Arbeitsplatz verschrieben hat. Auch wenn einige männlichen Kollegen sich mit einem "Time’s Up"-Pin am Revers zeigten – auf dem Roten Teppich und in ihren Dankesreden sparten sie das Thema des Abends aus. Zahlreiche NutzerInnen machten ihrem Ärger daraufhin in den sozialen Medien Luft: Warum nur schweigen die Männer, wenn es um Sexismus geht?

Es ist eine Frage, die sich nicht nur im Show Business stellt. Noch immer ist sexuelle Gewalt mit dem Stempel "Frauenthema" versehen – und das, obwohl die Täter in den meisten Fällen Männer sind. "Das Sprechen über Täter ist so schwierig, weil es dabei wirklich um uns gehen würde. Übergriffe sind schließlich kein Problem am Rande der Gesellschaft, es sind ganz ‚normale‘ Männer, die so handeln", sagt Paul Scheibelhofer, Universitätsassistent am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Innsbruck.

Sexuelle Gewalt zur Sache der Frauen zu erklären, sei ein Weg, sich vor dieser Auseinandersetzung zu schützen, ist der Geschlechterforscher überzeugt. "Anders sieht es aus, wenn sich das Problem auf ‚die anderen‘ projizieren lässt", sagt Scheibelhofer, "nach den Übergriffen in Köln waren viele sehr schnell bereit, Männer als Täter zu sehen und auch harte Strafen zu fordern."

Dass an Täter sehr unterschiedliche Maßstäbe angelegt werden, zeigten zuletzt auch die Enthüllungen aus der Geschichte des österreichischen Schisports. Der Fall Toni Sailer, dem unter anderem Vergewaltigung vorgeworfen wird, erregte den Volkszorn, Boulevard-Journalisten und Politiker wetterten gegen den vermeintlichen Versuch, den Nationalhelden "anzupatzen".

Geschützte Räume

"Mich beeindruckt an der #MeToo-Debatte sehr, dass so viele Betroffene einen Rahmen und die Selbstsicherheit bekommen, ihr Schweigen zu brechen", sagt Psychotherapeut Lukas Wagner, der auch als Sexualpädagoge beim Grazer Verein Liebenslust tätig ist. Der Verein bietet Fortbildungen und Workshops für Kinder und Jugendliche, aber für auch Erwachsene an. Sexuelle Bildung, die geschützte Räume schafft und dazu anleitet, Grenzen wahrzunehmen und selbst zu setzen, betrachten die PädagogInnen auch als Beitrag zu Gewaltprävention.

Bei Liebenslust wird meist mit gemischten Gruppen gearbeitet, wichtig sei in erster Linie, dass es eine vertrauensvolle Atmosphäre gebe. "Unsere Workshops sind ein so wichtiger Austausch, weil wir gesellschaftlich keine etablierten Orte haben, um über Sexualität sprechen", sagt Michaela Urabl, Sexualpädagogin Obfrau des Vereins, im STANDARD-Interview.

Auch #MeToo nimmt Urabl daher als wichtige und notwendige Debatte wahr: "Endlich werden diese Themen öffentlich verhandelt – auch wenn eine so breite Diskussion Schattenseiten, Angriffe auf Betroffene und Abwehr mit sich bringt." Die Abwehrreaktion von manchen Männern sieht ihr Kollege Lukas Wagner als "eine Art kollektiven Beißreflex", bei dem das Kollektiv der Männer verteidigt werde – das es in dieser homogenen Form gar nicht gebe. "Damit tun sich Männer keinen Gefallen", sagt Wagner.

Prinzip Fürsorge

Dass Männer durch #MeToo keineswegs an den kollektiven Pranger gestellt werden, davon ist auch Erich Lehner überzeugt. Der Psychoanalytiker und Männlichkeitsforscher steht dem Dachverband für Männerarbeit in Österreich vor, der 2016 gegründet wurde. In seiner Arbeit ist es ihm ein besonderes Anliegen, ein fürsorgendes Männlichkeitsbild zu stärken, das sich von traditionellen Bildern abgrenzt – diese würden auf Konkurrenz und Hierarchie – und damit auch auf der Unterordnung von Frauen beruhen.

Für den April plant der Dachverband daher eine Männertagung mit dem Titel "Caring Masculinities". "Wir müssen auch im Sinne der Gewaltprävention daran arbeiten, dass ein fürsorgendes Männerbild zum gesellschaftlich dominanten wird. Das bedeutet, sorgende Tätigkeiten zu übernehmen, empathisch zu sein, auf partnerschaftlicher Ebene mit anderen umzugehen", sagt Lehner. Männerberatungsstellen, die vielfach "von der Hand in den Mund" leben würden, bräuchten mehr finanzielle Mittel, um nachhaltig arbeiten zu können – so die langjährige Forderung ihrer Vertreter. "Wir haben im Dachverband Organisationen wie Poika, die tolle Arbeit mit Buben machen. Und es braucht eben mehr als eine Schulstunde, in der einmal über Geschlechterrollen gesprochen wird", so Lehner.

Mühsame Überzeugungsarbeit

Auch auf gesellschaftspolitischer Ebene sind Initiativen, die sich für Gleichberechtigung einsetzen und dabei Männer im Blick haben, rar. Eine der wenigen Vereine ist "HeForShe Vienna", der auf die Kampagne der UN Women hin gegründet wurde. 2014 trat Emma Watson mit der Botschaft "Gleichberechtigung geht uns alle an" als prominente Botschafterin für die Initiative an – was auch Harry-Potter-Fan Gerhard Wagner überzeugte.

Der Mitbegründer des Wiener Vereins begann schon früh sich mit Rollenbildern auseinanderzusetzen und legte während seines Wirtschaftsstudiums einen Schwerpunkt auf Geschlechterforschung. Auf die Frage hin, wie auch Männer von Gleichberechtigung profitieren können, zählt Wagner eine ganze Liste von Vorteilen auf – von Väterkarenz bis hin zu mehr individueller Freiheit abseits patriarchaler Zwänge. "Ich sehe Feminismus als eine gesellschaftliche Freiheitsbewegung, bei der es darum geht, eine gerechtere Gesellschaft für alle zu schaffen", sagt Wagner.

Andere Männer davon zu überzeugen, sei allerdings nicht immer einfach. Bei "HeForShe Vienna" stellen Frauen derzeit noch die Mehrheit der Mitglieder. Im Verein werde viel diskutiert, man organisiert Veranstaltungen, im vergangenen Dezember ging ein Adventskalender online, der prominente UnterstützerInnen vorstellte. Skepsis erleben die InitiatorInnen aber auch von Feministinnen: Männer würden sich ins Rampenlicht drängen wollen, so die Befürchtung. "Es ist eigentlich logisch: Gesellschaftliche Veränderung passiert schneller und leichter, wenn sich auch Männer aus ihrer privilegierten Position heraus beteiligen – und Frauen nicht allein für die Gleichstellung kämpfen müssen", sagt Wagner.

Handeln statt reden

Einen Mangel an antisexistischen Männerinitiativen und profeministischen Stimmen konstatiert auch Sozialwissenschaftler Paul Scheibelhofer. #MeToo habe aber auch gezeigt, dass es nicht reiche, auf der Ebene des Diskurses zu bleiben. "Es gibt offensichtlich einen Unterschied zwischen der Welt, von der wir uns erzählen, und der Welt, in der wir leben", sagt Scheibelhofer. Fortschrittlichere Einstellungen in Sachen Gleichberechtigung der Geschlechter, die Umfragen heute durchaus bescheinigen, spiegelten sich nicht unbedingt in der Realität wider. Und undemokratischen Strukturen und Machtkonzentration in Bildungsstätten oder am Arbeitsplatz sei auch mit geschlechtersensibler Pädagogik nicht beizukommen. "#MeToo hat diese Kluft sehr gut deutlich gemacht. Jetzt kommt es darauf an, was wir daraus machen", sagt Scheibelhofer. (Brigitte Theißl, 25.2.2018)