Obwohl alte Einfamilienhäuser leerstehen, werden immer weiter neue gebaut. "Sie fressen sich richtig hinein in die Landschaft", sagt Architektin Julia Lindenthal.

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Drei Millionen Menschen – für sie alle wäre Schätzungen zufolge zusätzlich Platz in bereits gebauten österreichischen Einfamilienhäusern. Denn 57 Prozent dieser Häuser sind unterbelegt. Ein Grund dafür ist ihre Größe. War ein Einfamilienhaus im Jahr 2001 im Durchschnitt 120 Quadratmeter groß, waren es 2014 bereits 140. Aktuell, so hieß es kürzlich bei der Präsentation des Projekts "ReHabitat-Immocheck+" an der TU Wien, seien 180 Quadratmeter Fläche bei neu gebauten Einfamilienhäusern keine Seltenheit mehr, sondern Normalität.

Ausreichend Platz also, der oft ungenutzt bleibt. Dennoch werden immer mehr Ressourcen verbraucht, wird immer weiter gebaut, immer mehr Boden versiegelt und wenig Altbestand saniert. "Ein Kind pro Familie ist oft das Maximum, dennoch werden die Häuser nicht kleiner", sagt auch Josef Freiler, der die Problematik aus seinem Heimatort kennt. Er ist Bürgermeister von Kirchschlag in der Buckligen Welt, das am Projekt beteiligt war.

Potenzial aufzeigen

Hinzu kommt, dass auch in Zukunft der Trend hin zu immer mehr Singlehaushalten geht, vor allem immer mehr Frauen über 65 Jahren allein wohnen. Mit "ReHabitat-Immocheck+" wurde ein Werkzeug entwickelt, mit dem das Potenzial von unterbelegten oder leerstehenden Einfamilienhäusern dargestellt werden kann. Kurz: Aus Einfamilien- sollen Mehrpersonenhäuser gemacht werden, im gebauten Bestand Hausgemeinschaften entstehen.

Damit soll zudem der sozialen Vereinsamung vorgebeugt werden. "Viele vor allem ältere Menschen sind mit ihren großen Häusern überfordert. Gleichzeitig geben Gemeinden viel Geld für die Ausweisung von Neubaugebieten aus", sagt Julia Lindenthal, Architektin und Energieberaterin am Österreichischen Ökologie-Institut und Leiterin des Projekts.

Doch wie viel Potenzial hat das eigene Haus? Wie soll ein Umbau finanziert werden? Wie kann das Haus überhaupt umgebaut werden? All diese Fragen soll das im Projekt entwickelte Tool beantworten. Dazu müssen zunächst Fragen zur eigenen Person, den eigenen Bedürfnissen und zum Haus beantwortet werden. Und natürlich: Kann ich mir vorstellen, das eigene Haus mit anderen Menschen zu teilen?

Vielfältige Wohnformen

Das Programm bittet die Nutzer, sich zu überlegen, welche Räume im Haus man an Mitbewohner abtreten könnte und welche man bereit wäre, gemeinsam zu nutzen. "Da wird vielen Menschen erst klar, wie viel Platz sie eigentlich haben, den sie nicht brauchen", sagt Lindenthal. So stellt sich bald heraus, welche Art von Hausgemeinschaft realisierbar wäre.

Diese Hausgemeinschaften, so wird im Projekt auch klargestellt, können so vielfältig sein wie die Bewohner selbst. Neun verschiedene Varianten wurden als konkrete Beispiele überlegt. Darunter Senioren- und Alleinerzieherinnen-Wohngemeinschaften, ein Haus mit Pflegewohnung, klassische Wohngemeinschaften oder Wohnen Plus, also Wohnen ergänzt mit einem Büro, Lokal oder einer Praxis. Je nach Variante müssen etwa eine Rampe gebaut, ein zweiter Eingang oder ein Bad und eine Küche errichtet oder Wände hochgezogen werden.

Mitbewohner finden

Die nächsten Schritte im Projekt, so Lindenthal: ein Beraternetzwerk aufbauen, sodass Interessierte aktiv in den eigenen Wänden etwa beim Umbau unterstützt werden können, das Tool fertig programmieren und online kostenlos zur Verfügung stellen sowie eine Partner- und Immobilienbörse aufbauen, damit Mitbewohner sich finden und Immobilien angeboten werden können.

Und wie kommt das Projekt bei Einfamilienhausbesitzern an? "Das Interesse ist groß", weiß Lindenthal aus ihrer Erfahrung mit den Projektteilnehmern, die schon mit dem Tool gearbeitet haben. Dennoch brauche es bei vielen Menschen noch etwas Überwindung, "und viele Menschen sind sehr in der Gegenwart verhaftet, sie können sich nur schwer vorstellen, was in Zukunft sein könnte".

Im Zeitmanagement sieht die Architektin jedenfalls eine Herausforderung: "Das Zeitfenster, sich eine Neuorientierung und eine gemeinschaftliche Nutzung für das eigene Haus zu überlegen, ist klein. Es muss passieren, nachdem die Kinder ausgezogen sind und bevor ein Umbau eventuell schon zu anstrengend wird."

Steigende Lebensqualität

Einige Teilnehmer hätten zudem Bedenken geäußert, einen "Fremden" im eigenen Haus zu haben, oder hatten die Angst, "das Haus gehört dann nicht mehr mir", weiß Bürgermeister Freiler. Neben raumplanerischen sieht der Bürgermeister aber auch viele Vorteile für den ganz persönlichen Lebensbereich: "Die Lebensqualität für die Bewohner steigt, es wird etwa seltener eingebrochen, wenn mehr Menschen in einem Haus leben, man kann um Hilfe bitten, etwa wenn man sich verletzt hat, muss einen großen Garten nicht mehr allein pflegen, weniger putzen und kann Fahrgemeinschaften bilden." Und natürlich sei die finanzielle Erleichterung für den Erhalt eines großen Hauses nicht unwesentlich.

Das bestätigt auch eine Veranstaltungsteilnehmerin, die mit ihren zwei Kindern in einem 250 Quadratmeter großen Haus in Perchtoldsdorf lebt und in den letzten elf Jahren ihr Haus immer wieder für weitere Mitbewohner geöffnet hat. Menschen aus aller Welt, vor allem Studenten, haben schon mit der Familie zusammengewohnt und sogar die Küche geteilt. "Das hat viele Vorteile", erzählt die Frau, "vor allem sind dadurch in der Vergangenheit viele neue Freundschaften entstanden." (Bernadette Redl, 17.2.2018)