Helene Fischer bei ihrem Konzert in der Wiener Stadthalle. Mit Trommlern...

Foto: Heribert Corn

... und mit akrobatischen Show-Einlagen.

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Während Helene Fischer zwischen sehr gut muskeldefinierten Tänzern, die ebenfalls an Seilen turnen herab- und herumschwebt, wird auch gesungen.

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Zwischendurch war sie am Boden.

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Wien – Tränen sind im deutschen Schlager eine harte Währung. Mit ihnen bewertet man die wirklich großen Gefühle, die immer dann aufkommen, wenn es um das Wesentliche im Leben geht, um Ich und Du. Das reimt sich auf Lalelu.

Wenn es nicht gerade um eine intensive Ballade geht, die klingt wie eine Mischung aus intimer Moment aus König der Löwen und Liebesszene während der Schlacht der Römer gegen die Germanen in Gladiator mit Russell Crowe, fahren Helene Fischer und ihr Team dabei nur die schwersten Geschütze auf. Weinen ist wichtig. Es hilft auch oft. Es zeigt die verletzliche Seite im Menschen. Und speziell im Schlager hilft es auch, Zierkissen, Kaffeehäferl und bedruckte Pyjama-Leiberl zu verkaufen.

Auf Wunder hoffen

Zehn Tage war Helene Fischer krank. Sie musste sieben Konzerte absagen. Zuletzt waren ihre diesbezüglichen Facebook-Kommentare im Stile einer Kirche der letzten Tage gehalten: "Glaubt mir, ich habe jegliche Form erlebt, die Gedanken imstande sind zu bilden: Wenn mein Körper nicht will, zieht mein Wille ihn hoch. Ich habe angefangen "Zeit" infrage zu stellen, daraus einen Traum mit Termin gemacht. Jeden Tag gehofft, dass über Nacht ein kleines Wunder passiert – meditiert." Und schließlich: "Ich bin auch nicht todkrank, ich komme wieder!!!"

Ein wesentliches Erfolgselement so eines fest an der Börse notierten und im Traum-Termin-Geschäft verankerten Glaubens ist zumindest in unserem Kulturraum weniger die Wiedergeburt. Hier werden die Kirchenschiffe vor allem auch wegen der in Aussicht gestellten Auferstehung voll. Wir alle arbeiten so fest daran, unsere großen Träume während unserer kleinen Leben zu verwirklichen, dass ein einziges Leben selbst bei erlaubten zwölf statt zehn Arbeitsstunden gar nicht ausreicht. Zwei oder drei Mal auf Erden zu wandeln, wäre wirklich effizienter. Auch im Hinblick auf die Wirtschaft, weil man nicht dauernd neue Arbeitskräfte einschulen müsste. Und die Enkerl daheim hätten auch mehr davon.

Fischers Reise

Helene Fischer nennt dies, während sie während des Konzerts, einmal sehr nachdenklich zu gefühlvollen Keyboardklängen auf dem Laufsteg mitten in den Saal stöckeln wird und dabei über illuminierte Kunstblumen streichelt, "meine Reise". Das klingt besser als "Erwerbsleben", "Effektivitätssteigerung" – oder "Selbstoptimierung".

In der Welt der großen Diven, die sich mit dem drei- bis fünfminütigen Liedformat beschäftigen, gibt es für einen Auftritt nur zwei Möglichkeiten. Man erscheint von unten, hat die Hölle hinter sich, fährt aus dem Bühnenboden empor und verkündet der Welt, dass man sehr tapfer ist und überlebt hat – und das Leben deshalb weitergehen muss. Oder man kommt, schon etwas vergeistigt von wegen in eine andere Welt jenseits des Irdischen geschaut, von oben und hat eine frohe Botschaft bei sich, die heute nicht mehr in unbedingt in Stein gemeißelt sein muss. Eine Handy-App reicht auch. Die dritte Möglichkeit wäre jene von Mariah Carey. Die lässt sich von sechs Sklaven auf einer Sänfte auf die Bühne tragen, aber sie isst vorher auch immer sehr schwer zu Abend.

Pünktlich um 20 Uhr zieht in der Wiener Stadthalle also zu düsterem Dräuen aus einem Synthesizer dicker Bühnennebel auf. Kommt sie von unten? Wann, bitte, geht die nächste Sänfte? Nein, nein, nein! Helene Fischer schwebt, nur noch von einem Seil des Global Entertainment Players Cirque du Soleil als Businesspartner der aktuellen Welttournee durch Deutschland und die gleichsprachigen Nachbarländer gehalten, vom Himmel herab. Hallelujah! Den himmlischen Chor bitte jetzt selbst mitdenken.

Disneys Eisprinzessin

Das knapp in Bodyshape-Form gehaltene Kostüm der Wiedergekommenen erinnert dabei an Disneys Eisprinzessin während eines Badeurlaubs auf Mallorca. Glitzerkram und Eiszapfen in Farben, die man unbedarft als Pink und Violett und allem, was leider dazwischen sein muss, bezeichnen könnte. Während Helene Fischer zwischen sehr gut muskeldefinierten Tänzern, die ebenfalls an Seilen turnen herab- und herumschwebt, wird auch gesungen. Sie will "immer wieder dieses Fieber spüren." Irgendwann danach, zwischen der Klage, dass Helene immer zu Hause sitzt und mit dem Essen wartet, und ihr Scheisstyp nicht einmal anruft, weil er sich in der Firma gerade wieder länger selbstoptimiert, und dem etwas später getätigten Bekenntnis, dass das Herz dieses Typen (oder ist es schon ein anderer?) noch immer in ihr steckt (was wir jetzt nicht kommentieren wollen), gibt es dann die oben erwähnten Tränen. Krankheit, Kummer, Leid. Aber: fester Glaube und Wiederkunft! Die Liebe des Publikums. Ihre eigene Liebe. Die Liebe zur Musik!

Ok, der letzte Satz war zu viel. Helene Fischer mag die neue Rasse des deutschen Schlagers sein. Spätestens aber als es um die Kinder, "die ganz Kleinen" geht, die sie besingt, ist dann doch immer noch eines klar. Helene Fischer mag beben und auf Seilen schweben. Sie kann sich lasziv im goldenen Minikleid, das Donatella Versace an einem sauschlechten Tag zwischen einem Jazzfrühstück und einem Gachblondfärbetermin entworfen hat, in einem Schaufenster als Amsterdamer Lebedame inszenieren und sich danach aus dem zweiten Stock des Puffs auf eine Sprungmatte stürzen. Am Ende geht es während dieses sehr, sehr langen Auftritts mit Liedern, die man nicht immer auseinanderhalten kann, weil sie immer alles gleichzeitig wollen, immer nur um eines. Wir befinden uns im Radio-Erbschleicherland. Gesundheit ist hier das wichtigste. Und ein wenig Mitpaschen und aus Rührung weinen passt auch. Die Neonwürste im Saal kreisen. Helene Fischer fliegt gerade wieder. Tänzer tanzen. Die Band rockt.

"Atemlos durch die Nacht" ist nach DJ Ötzis und Nik P.s "Ein Stern der deinen Namen trägt" die zweiterfolgreichste deutschsprachige Nummer aller Zeiten. Es gibt während des Auftritts einen Moment, da steht Helene Fischer allein auf der Bühne. Sie trägt einen Rock, der im wesentlichen ein umgeschnallter Springbrunnen ist, aus dem Hunderte Liter Wasser sprudeln. Zumindest dieses Wasser ist echt. (Christian Schachinger, 17.2.2018)