Fethi Benslama, "Der Übermuslim. Was junge Menschen zur Radikalisierung treibt". € 18 / 141 Seiten. Übersetzt von Monika Mager, Michael Schmid. Matthes & Seitz, Berlin 2017

Foto: Matthes & Seitz Berlin

Fethi Benslama, "Psychoanalyse des Islam. Wie der Islam die Psychoanalyse auf die Probe stellt", € 30 / 350 Seiten. Übersetzt von Monika Mager, Michael Schmid. Matthes & Seitz, Berlin 2017

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Das Ziel der beiden Studien des französischen Psychoanalytikers Fethi Benslama ist die Anwendung des "Projekts" von Freud auf die islamische Religion, deren "konstitutive Verdrängungen" ans Licht gebracht werden sollen. Benslama unterscheidet Islam und Islamismus, wobei er Letzteren als "eine islamische Version der Krise der Moderne" sieht.

In den islamisch geprägten Ländern habe der Eintritt in die Moderne ohne die nötige Kulturarbeit im Sinne Freuds stattgefunden. Das habe zu einem gefährlichen Cocktail aus Religiosität, Kulturalismus, Pseudowissenschaft und gescheiterten Individualisierungsprozessen geführt.

Demütigung

In dem Buch Der Übermuslim setzt Benslama den Beginn der Entstehung des Übermuslim mit der Demütigung durch die weltliche Macht Napoleons an. Die Islamisten hätten mit der These reagiert, die moderne Wissenschaft sei "in verschlüsselter Form" im Koran enthalten.

Die militärische Niederlage war nach dieser Logik ein Ergebnis des schwachen Glaubens der Muslime. "Von daher die Selbstvorwürfe und die Buße, die Herabsetzung, die Neuidealisierung und die heilige Pflicht, mehr und immer noch mehr muslimisch zu sein." Der Übermuslim als muslimisches Über-Ich im Sinne Freuds war geboren.

Benslamas besonderes Interesse gilt dem Weiblichen im Zusammenhang mit den Ursprüngen des Islam und seiner Beziehung zum männlichen Narzissmus. Viele Texte würden die Macht der Frauen in islamischen Kulturen belegen. Männer reagierten mit dem Versuch des Hegens oder der Zerstörung dieser Macht.

Weitgehend unhinterfragt

Die Studie "Psychoanalyse des Islam" enthält zwei ineinander verwobene Texte. Der erste besteht aus den Reflexionen des Psychoanalytikers, der leider – trotz Untertitels – die metapsychologischen und damit nicht verifizierbaren Annahmen der Psychoanalyse keineswegs "auf die Probe stellt". Wie üblich bei hermetisch geschlossenen Denksystemen bleibt das "Freud'sche Projekt" weitgehend unhinterfragt.

Die psychoanalytische Begrifflichkeit und sehr anspruchsvolle Formulierungen machen die Lektüre zur Herausforderung. Der zweite, in die psychoanalytische Studie verwobene Text ist ein Streifzug durch die arabische und islamisch geprägte Literatur, Poesie und Theologie. Hier interpretiert Benslama etwa die Geschichten im Kontext von Tausendundeiner Nacht oder die Erzählungen über Moses im Koran. Dieser Text ist eindeutig der spannendere. (Georg Cavallar, Album, 17.2.2018)