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Kindern ist oft nicht bewusst, wie wichtig Freundschaften sind. Haben sie Gelegenheit darüber zu sprechen, können sie sich meist wunderbar ausdrücken.

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Familientherapeut, Autor und STANDARD-Kolumnist Jesper Juul.

Foto: family lab

Diese Serie entsteht in Kooperation mit Family Lab Österreich.

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Frage:

Mein Sohn ist zehn Jahre alt und geht in die 4. Klasse Volksschule. Seine beiden besten Freunde, die er schon seit dem Kindergarten kennt, haben vor kurzem die Schule verlassen. Ein anderer Freund, mit dem mein Sohn seit der Schulzeit befreundet ist, scheint ihn nun abzulehnen, und es kommt vermehrt zu Konflikten.

Ich stelle immer öfter fest, dass sich mein Sohn zurückzieht und auch in der Schule still und verwundbar geworden ist. Er sagt selbst, dass er viel allein ist und zurückgewiesen wird, wenn er in Kontakt treten möchte. Er weigert sich mittlerweile auch, an diversen Geburtstagsfesten teilzunehmen. Er fühlt sich seinen Worten nach ausgeschlossen und ausgegrenzt.

Brüche und Trennungen

Unsere Familiengeschichte war in den letzten Jahren turbulent. Vom Vater meines Sohnes bin ich geschieden. Wir haben dennoch regelmäßigen, guten Kontakt und besprechen auch gemeinsam, wie es weitergehen kann. Wir überlegen, ob ein Schulwechsel Sinn macht, weil wir der Ansicht sind, dass die derzeitige Schule das Problem nicht lösen wird können. Eine Schule, die wir bereits ins Auge gefasst hätten, hat im Moment leider keinen freien Platz. Aber es ist natürlich auch ein großer Schritt, und wir möchten vermeiden, dass wir die "Probleme" in die neue Schule mitnehmen.

Nach der Scheidung von meinem Mann war ich in einer dysfunktionalen Beziehung. Mein Sohn bekam von meinem damaligen Freund wenig Empathie und musste auch dessen Aggression miterleben. Deshalb haben wir weder zu ihm noch zu seinen beiden Kindern Kontakt, die zwei Jahre mit uns gelebt haben.

Mein Ex-Mann ist gerade mit seiner Lebensgefährten zusammengezogen, während mein jetziger Freund und ich nicht in einem Haushalt leben und er meinen Sohn nicht sehr oft sieht. Ich möchte meinem Sohn gerne helfen, sich wieder wohlzufühlen, weiß allerdings nicht, wie.

Antwort:

Aus meiner Sicht spielen zwei Aspekte im Leben Ihres Sohnes eine Rolle. Einerseits sein persönliches Wohlbefinden, das in den letzten Jahren offensichtlich immer weniger vorhanden ist. Ein Grund dafür könnte die Erfahrung der dysfunktionalen mit Aggression verbundenen Familie sein. Manchmal passiert es, dass Kinder in solchen Situation den Boden unter den Füßen verlieren und damit auch ihr Vertrauen in Erwachsene. Das führt zu großer Einsamkeit, so als ob diese Kinder alles allein machen müssten, weil ihnen die Erwachsenen nicht zur Verfügung stehen oder weil sich Erwachsene der eigenen Verantwortung für ihre Probleme nicht bewusst sind. Im Sinne der Kooperation mit den Eltern (Kinder wollen, dass ihre Eltern glücklich sind!), kommen sie zu oft eigenartigen Erkenntnissen, wobei sich diese meist als falsch erweisen.

Unglücklicherweise kommen Kinder oft in die Situation der sozialen Ausgrenzung, die Ihr Sohn gerade erfährt, weil es ihnen unheimlich schwerfällt, eine Erklärung dafür zu finden, wie es ihnen geht. Oder sie sind zu loyal ihren Eltern gegenüber. Sie wollen ihre Eltern sozusagen nicht noch mehr belasten.

Nicht moralisierend werden

Auch uns Erwachsenen ist die Erfahrung von belastenden Zeiten, Verletzlichkeit, Scheidung, einer schwerwiegenden Krankheit oder ähnlichem bekannt. Die Reaktionen, sowohl von Erwachsenen als auch Kindern, stehen im Gegensatz zu unserer allgemeinen Moral, deshalb hilft es nicht, diese auf einer moralischen Ebene anzugehen.

Ein weiterer Faktor ist die Schule. Es wäre großartig, wenn der Klassenlehrer oder ein anderer Lehrer Ihren Sohn und eine Gruppe von seinen Freunden auf ein Gespräch einlädt. Der Sinn dieses Gespräches sollte sein, dass Ihrem Sohn die Möglichkeit geboten wird, über seine Erfahrungen zu sprechen, wie es sich anfühlt, ausgeschlossen zu werden.

Meiner Erfahrung nach ist das anderen Kindern oft gar nicht bewusst, wie wichtig Freundschaften sind, trotzdem können sie sich wunderbar ausdrücken, wenn sie die Gelegenheit haben, darüber zu sprechen.

Sollten die Lehrer nicht zu diesem Schritt bereit sein, können Sie die Kinder zu Ihnen einladen. Seien Sie vorsichtig dabei, die anderen Kinder nicht zu verurteilen, dass sie sich so verhalten, denn damit würden sie sich verschließen. So bekommt Ihr Sohn ehrliche Rückmeldungen von seinen Freunden, die für Sie beide Sinn machen werden.

Manche Schulen versuchen mit Programmen und Regeln zu verhindern, was Ihr Sohn gerade erfährt. Ich stehe diesen Ideen sehr skeptisch gegenüber, denn es scheint, als würde diesen eine sozialromantische Moral zugrunde liegen, die Kindern für ihre künftigen Beziehungen wenig hilfreich sein wird. Der Hauptgrund dafür mag sein, dass Erwachsene nicht den gleichen Regeln folgen, und ihre "Gewerkschaften" Sturm laufen würden, wenn sie es plötzlich auch machen müssten.

Über Vergangenes sprechen

Zu Hause braucht Ihr Sohn Hilfe. Seine Gedanken, Erfahrungen und Gefühle bilden unentwegt eine Blase um ihn herum, und er braucht zumindest einen Erwachsenen, mit dem er darüber sprechen kann. Leider kann ich das Ausmaß, inwieweit Ihr Sohn Sie vor Schmerz, schlechten Erinnerungen oder Sorgen beschützen möchte, nicht beurteilen. Wenn es sich so darstellt, dass er sich bei Ihren Versuchen, mit ihm über Vergangenes zu sprechen, verschließt, so empfehle ich Ihnen, professionelle psychologische Hilfe anzunehmen.

Was Sie bereits tun können, ist mit ihm offen und ehrlich zu sprechen: "Ich weiß, dass es dir schon länger nicht gutgeht und es auch damit zu tun hat, dass wir mit XXX zusammenlebten. Ich weiß auch, dass es dir schwerfällt, darüber zu reden, deshalb möchte ich damit anfangen, wie es mir damit ergangen ist ..."

Bleiben Sie so objektiv wie möglich, während Sie sich auf dieses Gespräch vorbereiten. Dennoch teilen Sie bitte Ihre Gefühle mit ihm! Auch sein Vater kann es Ihnen ähnlich gleichtun. Er darf darüber sprechen, wie es für ihn war zuzusehen, was passiert und dabei hilflos zu sein.

Ihr Sohn braucht mehrere dieser Unterhaltungen, und Sie müssen geduldig sein in Bezug auf seinen Mut, sich frei auszudrücken. Jede Einladung zu einem Gespräch muss ein "Ich will wieder mit dir sprechen" sein, kein "Wenn du möchtest ..." oder "Nur, wenn du glaubst, dass du es brauchst". Geben Sie Ihrem Sohn immer in etwa eine Woche Zeit zwischen den Gesprächen, und vertrauen Sie darauf, dass er auch Nein sagen wird, wenn er wirklich nicht mag. So wie Sie Ihren Sohn kennen, werden Sie sicher merken, wie er sich langsam besser fühlt. Einen Schulwechsel würde ich nur dann in Betracht ziehen, wenn es ihm dadurch in der Schule nicht wesentlich besser geht.

So meine erste Einschätzung stimmt, gilt das auch für Ihre Angst, dass Sie die Probleme in eine neue Schule mitnehmen würden. Dann nämlich hätten Sie einen beinahe gebrochenen Sohn. Um sich aktiv für seine jetzige Schule zu entscheiden, braucht es für Ihren Sohn Licht am Ende des Tunnels. (Jesper Juul, 18.2.2018)